Süddeutsche Zeitung

Kerviel vor Gericht:Nervöses Zucken auf der Anklagebank

Um fast fünf Milliarden Euro hat der Börsenhändler Jérôme Kerviel die Société Générale erleichtert, jetzt steht er vor Gericht - und unter Strom.

Michael Kläsgen, Paris

Der mit Spannung erwartete erste Verhandlungstag beginnt mit einem Johlen. Es eilt Jérôme Kerviel voraus, noch bevor er den Gerichtssaal betritt. Dort sitzen sie bereits alle, die Ankläger, die Anwälte, die Nebenkläger, die Zeugen und die Presse.

Kerviel, weißes Hemd, grauer Anzug, dezent rosa gestreifte Krawatte, versucht ein Lächeln, aber er ist zu verkrampft, als dass es ihm gelänge. Der gefeuerte Börsenhändler muss auf dem einzigen Stuhl direkt vor der Richterbank Platz nehmen. Er schlägt die Beine übereinander, weiß nicht so recht, wohin mit seinen Armen. Mal wischt er sich den Schweiß von der Stirn, mal dreht er den klobigen silbernen Ring am rechten Mittelfinger.

Die Stimme bricht weg

Um 4,9 Milliarden Euro soll er seinen ehemaligen Arbeitgeber, die französische Großbank Société Générale, vor zweieinhalb Jahren mit unerlaubten Scheingeschäften erleichtert haben. Fünf Jahre Haft drohen ihm jetzt und 375.000 Euro Geldbuße. Der Richter nimmt seine Personalien auf. Kerviel tritt vors Mikrofon. Seine Stimme ist hell und kaum hörbar. Der Richter verliest die Anklagepunkte. Kerviel kreuzt die Arme, fasst sich an die Nase und zupft an seinem Anzug. Nein, er möchte hier nicht sein. Und in wenigen Minuten wird er auch nicht mehr zu sehen sein.

Um ihn herum versammeln sich die Zeugen, die der Richter nach und nach aufruft. So viele sind es, dass ihre Masse Kerviel für einen Augenblick verschlingt. Der Richter bemängelt, dass viele Zeugen abwesend seien. Dann teilt er den mehr als 40 Männern und Frauen Termine zu. Viele von ihnen sind ehemalige Vorgesetzte Kerviels. Es entzündet sich ein Wortgefecht darüber, ob auch der infolge des Milliardenverlustes entlassene Bankchef Daniel Bouton als Zeuge vernommen werden soll. Der Richter kommt zu dem Ergebnis, darüber je nach Verlauf des Prozesses entscheiden zu wollen.

Eine Nebenklägerin bittet, den Bildschirm zu verrücken, der ihr den Blick auf den Richter nimmt. Kerviel springt vom Stuhl auf und macht sich am Bildschirm zu schaffen. Lachen brandet auf, und für eine Sekunde wirkt Kerviel gelöst. Später wird er noch einmal lächeln: Als der Richter seine Arbeit beschreibt und mit Worten jongliert, die ihm fremd sind: Warrants, Futures, Forwards. Kerviel scheint in diesem Augenblick so etwas wie Hoffnung zu verspüren.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2010/mel
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