Kampfzone zuhause:"Du Affe, verpiss dich"

Sie streiten über Windräder, Golfbälle, Haustiere. Dann bespritzen sie einander mit Wasser, beschimpfen sich - und ziehen schließlich vor Gericht: Verfeindete Nachbarn.

Manfred Hummel

Seit Jahren tobt in Nürnberg der "Golfkrieg". Immer dann, wenn ein Familienvater am Feierabend in den zwölf Meter langen und 4,5 Meter breiten Reihenhausgarten trat und auf dem Rasen Golfschläge übte, rief das seinen Nachbarn auf den Plan. Der Rentner griff zum Gartenschlauch und spritzte den Golfer nass - so lange, bis dieser triefend die Flucht ergriff. Das sei wie "ein Pistolenschuss", sagte der Rentner der Lokalzeitung, wenn der Nachbar Bälle mit einer Geschwindigkeit von bis zu 200 Kilometern abschlage. Er und seine Frau fänden keine Ruhe mehr: "Der Garten ist unser Leben." "Ich habe stets mit Softbällen geübt. Das hört man kaum", wehrte sich dagegen der Golfer in der Bildzeitung.

Kampfzone zuhause: Reicht als Auslöser eines Nachbarschaftskrieges völlig aus: der Gartenzwerg.

Reicht als Auslöser eines Nachbarschaftskrieges völlig aus: der Gartenzwerg.

(Foto: Foto: ddp)

Slapstickreife Videos wurden gedreht, Rechtsanwälte und Gerichte bemüht, ein 6000 Euro teures Lärmgutachten in Auftrag gegeben. Ergebnis: Die Abschläge sind nicht belästigend. Im Mai 2004 beendete das Amtsgericht Nürnberg den "Golfkrieg" mit einer einstweiligen Verfügung. Sollte der Rentner seinen Nachbarn weiterhin beschimpfen und bespritzen, droht ein Ordnungsgeld bis 250.000 Euro oder sechs Monate Ordnungshaft. Inzwischen sei das Gutachten schon wieder zerpflückt, die Parteien warten auf ein Urteil. Der Golfer golfe noch, ihr Mann spritze aber nicht mehr hinüber, berichtet die Gattin.

Der Streit wirft ein Schlaglicht auf eine der am meisten umkämpften Grenzen im Lande - die zwischen verfeindeten Nachbarn. Im Wilhelm Tell widmet sich Friedrich Schiller dem uralten Thema. "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Zum Schutz der eigenen "Höhle" scheint fast jedes Mittel recht zu sein. Hohe Mauern und Stacheldraht à la "Eiserner Vorhang", Bewegungsmelder, Überwachungskameras und Scheinwerfer verwandeln ganz normale Anwesen in uneinnehmbare Festungen.

Für das, was in einem Doppelhaus in Waldperlach ablief, fiel dem Amtsrichter denn auch nichts anderes ein als das Wort "Krieg". Zwei verfeindete Familien hatten um ihre Grundstücke meterhohe Schutzwälle gebaut und mit modernster Technik gesichert. Sie setzten Zimmer in der anderen Haushälfte unter Wasser, nebelten mit einem umgedrehten Staubsauger die Beete des Gegners mit Samenwolken ein, erzeugten aus Lautsprechern Lärmteppiche und warfen mit Steinen Fenster ein. Zum Waffenarsenal solcher Auseinandersetzungen gehören zudem Pfefferspray, Farbe und Säure. Manchmal klebt ein Ei oder noch Übleres an der Tür des Nachbarn, ist dessen Auto zerkratzt und der Briefkasten voller Ketchup.

Dagegen wirkt ein Konflikt im vornehmen Berg am Starnberger See vergleichsweise harmlos. Seit Jahren liegen sich dort ein Großgrundbesitzer und seine Anrainer in den Haaren. Gegen alle Widerstände betreibt er ein Windrad. Scheint die Sonne, wähnen sich seine Nachbarn, allesamt gesetzte Herrschaften, in einer Disko, so flimmert der Schlagschatten der Rotorblätter in den Wohnzimmern. Einem besonders hartnäckigen Nachbarn, ehemals Chef einer bayerischen Großbank, hat der vermögende Grundherr sogar einen Brunnen vor die Nase gesetzt und ihn darauf porträtiert: als kapitales Wildschwein. "Der Brunnen stört mich überhaupt nicht mehr", sagt der Ex-Banker heute. Zum Spaß hat er davon ein paar hundert Ansichtskarten drucken lassen, die er an Bekannte verschickt.

Papagei Kasimir - tot im Garten

Schon ein grinsender Gartenzwerg kann einen sensiblen Zeitgenossen zur Raserei bringen. Streckt er auch noch seinen blanken Hintern hinüber zum anderen Grundstück - wie beispielsweise auf einem Anwesen in Forchheim - wird die "Beleidigung" gerichtsmassig. Coburger Richter mussten sich gar mit einem Schneemann beschäftigen, dessen großer Penis in Richtung des Nachbarn zeigte. Die flugs alarmierte Polizei stellte das Beweisstück "fotografisch sicher". Der Fall wurde aber eingestellt. Bisweilen erscheint ein komplettes Gericht auch zum Probekochen, wenn es aus der Dunstabzugshaube des Nachbarn angeblich "bestialisch" stinkt.

Sind Tiere im Spiel, kochen die Emotionen besonders schnell hoch. Katzen, Hunde, Vögel und andere Haustiere werden vergiftet, ertränkt, erschossen oder kommen auf andere Weise zu Tode. So hetzte unlängst in einem Münchner Vorort ein Hundehalter einen Labrador und einen Rottweiler auf den Gockel Kasimir. Der war aus seinem Grundstück "ausgebrochen" und kauerte verängstigt in einem Gebüsch. Seine Besitzer hatten zuvor die Hundehaltung des 44-jährigen Nachbarn kritisiert. In einem anderen Fall lag plötzlich Papagei Kasimir tot im Garten. Ein Lehrer erschoss mit seinem Luftgewehr den Vogel jenseits des Zaunes, weil der ihn ständig beleidigt habe.

Stehen sich die Streithähne direkt gegenüber, beginnen die Kampfhandlungen meist mit dem Austausch von Verbalinjurien. "Du Affe, verpiss dich", oder "Geh' auf den Golfplatz, du Drecksau" wurde im Nürnberger Golfkrieg aktenkundig, "stinkende Schlampe" oder "¸arbeitsloser Wichser" im Waldperlacher Doppelhauskrieg. Als nächste Stufe der Eskalation folgen oftmals Spucken, Kratzen, Faustschläge, Attacken mit Stöcken, Bierflaschen, Hämmern, Kettensägen, Messern und Schusswaffen. Es gibt auch Faxe mit Todeskreuzen.

In Zorneding wurden vier Polizisten krankenhausreif geprügelt, als sie einen Nachbarstreit schlichten wollten. Im Chiemgau ging ein Arbeiter mit einem Baseballschläger auf eine Frau los. Sie hatte sich lediglich darüber mokiert, dass ihr Nachbar die "Kastelruther Spatzen" zu laut aufgedreht hatte.

Wenn alle Dämme brechen, schaut der Nachbar direkt in die Mündung einer Waffe. Im "Krieg der Stockwerke" wird wild herum geballert. "Sie feierten zu laut - zwei Partygäste durch Schüsse verletzt", steht in der Zeitung über einen Vorfall in Grafing bei München. In Altötting endete unlängst ein Nachbarstreit mit einem Mordversuch. Ein Mann stach mit dem Messer auf seinen Nachbarn ein.

Im Münchner Stadtteil Nymphenburg verletzte vor einem Jahr ein 66-Jähriger drei Mitbewohner eines Mietshauses mit Schüssen schwer. Auslöser des Streits war die Reinigung des Treppenhauses und Türenschlagen.

Die Ursachen für die Grenzkonflikte sind mannigfaltig. Ein Nachbar will seine Behausung vor dem Fremden, Unbekannten verteidigen und seine Grenze nach außen darstellen, analysiert Ursula Helle, Ärztin für Psychotherapie, solche Konflikte. Kenne ein Nachbar seine Grenzen nicht, müsse er sie sich in Form des Konflikts erarbeiten. Aggression lasse sich auch viel leichter bei anderen orten als bei sich selbst. Schuld sei immer der andere. Schlichter definieren Grenzen dagegen neutral, damit sie jede Partei akzeptieren könne.

Dabei kann gute Nachbarschaft so angenehm sein. Der nette Mensch von nebenan versorgt im Urlaub Briefkasten und Pflanzen und ist ein kostenloser Schutz gegen Einbrecher. Aber die Realität sieht, um mit Peter Ustinov zu sprechen, anders aus: "Die Kirche sagt, Du sollst Deinen Nächsten lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt."

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