Kampf gegen das Wegwerfen:Helfer im Chaos

Ob Therapie, Putzplan oder Aufräumdienst: Wie Messies wieder Ordnung schaffen können.

Von Lars Klaaßen

Tobias will es ganz akkurat haben. Er ist Filmfan und sammelt seine Lieblingsstreifen auf Videobändern oder DVDs. Er nimmt ständig neue Sendungen aus dem Fernsehprogramm auf, im Laufe der Jahre ist sein Archiv enorm gewachsen.

Kampf gegen das Wegwerfen: Messie-Syndrom: Die Muße und das Können, seine Wohnung in Ordnung zu halten, sind irgendwann gänzlich verloren gegangen.

Messie-Syndrom: Die Muße und das Können, seine Wohnung in Ordnung zu halten, sind irgendwann gänzlich verloren gegangen.

(Foto: Foto: GNU)

Wie es sich für eine richtige Sammlung gehört, sollen nicht nur der Titel, sondern auch die wichtigsten Darsteller, das Herkunftsland und das Erscheinungsjahr auf den Hüllen vermerkt werden. Deshalb bewahrt Tobias auch Fernsehzeitschriften auf, in denen diese Daten aufgeführt sind.

Was ein harmloses Hobby zu sein scheint, hat sich mittlerweile zu einem großen Problem ausgewachsen: Tobias' Wohnung ist vollgestopft mit Stapeln: Kassetten, DVDs und Magazine stapeln sich bis zur Decke seiner Zwei-Zimmer-Wohnung. Mit dem Beschriften der Filme kommt Tobias schon lange nicht mehr hinterher.

Die Muße und das Können, seine Wohnung in Ordnung zu halten, sind irgendwann gänzlich verloren gegangen. Weil bei Tobias alles im Chaos versinkt, schämt er sich - und lässt niemanden mehr herein. Auch seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen.

Mit dem Alltag überfordert

Das Problem, unter dem Tobias leidet, ist als "Messie-Syndrom" bekannt. "Mess" bedeutet auf Englisch so viel wie Unordnung, Dreck oder Schwierigkeiten. Die deutsche Selbsthilfegruppe Anonyme Messies geht von mehr als 1,8 Millionen Menschen aus, die hierzulande davon betroffen sind. Wissenschaftlich belegt ist diese Zahl jedoch nicht.

Zudem ist die Grenze zwischen unordentlichen Menschen und Messies fließend. Eine klare Definition des Begriffs gibt es nicht. Dem Syndrom können unterschiedliche psychische Störungen zugrunde liegen. Es kann sich um eine Störung der Selbstregulation, eine Zwangskrankheit, eine Depression oder Persönlichkeitsstörung handeln.

Dass immer mehr Menschen unter diesem Syndrom leiden, liegt auch an der Alltagskultur - noch nie war die Herausforderung größer, mit so vielen Gegenständen klarzukommen. Vieles davon ist unnützer Kram. Aber was? Das Wegwerfen setzt voraus, die Bedeutung von Dingen gewichten zu können. Diese Fähigkeit fehlt manchen Menschen.

Nicht jede unordentliche oder dreckige Wohnung ist ein untrüglicher Hinweis auf einen Messie: "Es handelt sich bei den Betroffenen nicht um verwahrloste Menschen im üblichen Sinn", erklärt Gunter König. Der Psychologe arbeitet regelmäßig mit Messies. "In den meisten Fällen wollen diese Menschen Ordnung halten. Sie sind damit aber überfordert."

Helfer im Chaos

Tobias' Verhalten ist typisch für einen Messie: aus Scham keinen Besuch mehr zu empfangen. "Ein wichtiger erster Schritt ist die Erkenntnis: Ich kriege das nicht mehr geregelt und brauche Hilfe", sagt König. In der Kindheit nach Ursachen für das Problem zu suchen, sieht er zunächst nicht als drängendste Aufgabe: "Davon wird die Wohnung noch nicht ordentlicher."

Es gelte vielmehr, einen Plan zu erstellen, wie das Problem ganz pragmatisch hier und jetzt angepackt werden könne. Sich zunächst zum Beispiel kleine Ordnungsinseln zu schaffen und diese bewusst genießen zu können. "Perfektionismus sollte dabei vermieden werden", sagt König, "80 Prozent Erfolg reichen auch schon."

Wer alleine sein Chaos nicht mehr in den Griff bekommt, findet eine Reihe professioneller Aufräumdienste.

Auch Andrea Balzer bietet solche Dienstleistungen an. Die Architektin räumt auf Anfrage mit ihrem Team bundesweit Wohnungen auf und aus, bringt alles auf Vordermann. "90 Prozent meiner Kunden sind weiblich", berichtet sie. Drei Viertel seien Akademiker, die Hälfte davon Lehrer.

Zwölf Mitarbeiter hat ihr Unternehmen, das seit mehr als zehn Jahren für Ordnung sorgt. Sie kommen aus sozialen und pädagogischen Berufsrichtungen, haben handwerkliche oder kaufmännische Ausbildungen. "Für diesen Job braucht man manchmal Nerven wie Stahlseile", sagt Balzer. Was weg soll, wird im Vorfeld einvernehmlich besprochen.

Vor allem Singles

Dafür braucht es Regeln. Grundsätzlich gilt: Was eklig ist, kommt in den Müll. Auch Recyclingmaterial - Altpapier, Altglas oder Verpackungen - ist fällig. Ausnahmen können aber vereinbart werden. Will jemand seine Gartenkataloge oder Reiseprospekte behalten, werden diese geordnet und aufbewahrt.

Balzer kennt viele Wege, ihre Kunden zu überzeugen. Wer beispielsweise eine halbe Stunde über eine Streichholzschachtel debattieren möchte, wird darauf aufmerksam gemacht, dass jede dieser Schachteln ein Vermögen kostet - weil dafür die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen bezahlt werden muss. Einen Singlehaushalt mit drei Zimmern aufzuräumen und die Grundlagen zu schaffen, die Ordnung auch dauerhaft beibehalten zu können, bewerkstelligen im Durchschnitt drei Mitarbeiterinnen an drei Tagen.

Etwa drei Viertel von Balzers Kunden sind Singles: "Nicht viele Menschen sind willens, mit einem Messie die Wohnung zu teilen." Das verstärkt die Krise der Betroffenen, die oft ein großes Harmoniebedürfnis und ein geringes Selbstwertgefühl haben.

Die eigene Wohnung spiegelt wider, dass im Inneren der Persönlichkeit nicht alles in Ordnung ist. Unordnung ist für Therapeuten ein Symptom, dessen Ursachen mit dem Aufräumen nicht behoben sind.

Wo die Gründe genau verortet werden können, darüber herrscht allerdings keine Klarheit. Menschen, die Hilfe suchen, um ihr Chaos in den Griff zu bekommen, sollten sich an Psychologen, oder aber auch an eine der zahlreichen Messie-Selbsthilfegruppen in Deutschland wenden.

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