Süddeutsche Zeitung

Jugendliche und Geld:Keine Lust auf Borgen

Teenager haben den Ruf, ihr Geld zu verschwenden und danach Familie und Freunde anzupumpen. Bei den meisten stimmt das nicht. Die Finanzkrise hat auch bei ihnen die Einstellung zu Geld verändert.

Von Pia Ratzesberger

Sie wollen alles, kaufen alles, verprassen alles. Jugendliche stehen in Verruf. Ihr Guthaben schon am Anfang des Monats zu verschwenden, ihr Taschengeld um Wochen vorzuziehen. Ihre Freunde anzupumpen und sich zu kaufen, was immer im Schaufenster gefällt, auch wenn das Konto schon lange leer ist. Manchmal heißt es sogar, in Deutschland wachse eine Generation von Schuldnern heran - Elene Mamaladze, Gymnasiastin aus Nürnberg, würde dem vehement widersprechen.

Der 16-Jährigen sind selbst zehn Euro Schulden schon zu viel. Wenn die ersten Unterrichtsstunden geschafft sind, der Gong die Mittagspause ankündigt und die Schüler sich durch die Klassenzimmertüren drängen, machen sich Elene und ihre Freunde auf zum Supermarkt gegenüber. Für Salzbrezeln und Cola werden dann schon einmal zwei, drei Euro von Hand zu Hand gereicht. Doch mehr nie.

Auch nicht, wenn es am Nachmittag weiter in die Stadt geht, vor die großen Auslagen mit den teuren Handys und verlockenden Werbeschildern. Nicht, weil man selbst genügend im Geldbeutel hätte, sondern aus Prinzip: Gib nur so viel aus, wie du hast. Das Taschengeld bis auf den letzten Cent verprassen und von den besten Freunden oder den Eltern Neues leihen, ist für Elene keine Option - und für die meisten anderen in ihrem Alter auch nicht.

Jugendlicher Leichtsinn scheint jugendlicher Sorgfalt gewichen zu sein

Nach einer Studie aus dem vergangenen Jahr, die das Marktforschungsinstitut GfK im Auftrag der Schufa durchgeführt hat, empfinden fast 80 Prozent aller 15- bis 20-Jährigen Schulden als belastend und nehmen deshalb nur ungern einen Kredit auf. Der jugendliche Leichtsinn scheint zumindest in Geldfragen jugendlicher Sorgfalt gewichen zu sein. Wenn sie etwas unbedingt kaufen möchten und das Geld nicht reicht, wartet mehr als die Hälfte lieber ab als sich den Betrag zu borgen. Auch Elene.

Fragt man sie und ihre Klassenkameraden, was sie sich am liebsten kaufen würden, hört immer wieder die gleichen Antworten: Smartphone, Kamera, Computer. Doch deshalb verschulden? Lieber nicht.

Die Zahl der Schuldner unter 20 Jahren hat sich im vergangenen Jahr in Deutschland leicht verringert, nach dem Schuldneratlas von Creditform ist sie im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 Prozent auf 213 000 Fälle gesunken. Von 2004 bis 2011 hatte sich die Zahl mehr als vervierfacht.

"Schulden sind mir unangenehm"

In dieser Zeit haben auch die Gelegenheiten, sich bereits in jungen Jahren zu verschulden, immens zugenommen: "In Online-Shops oder in App-Stores kauft man schnell mehr als man eigentlich ausgeben kann. Früher waren solche Möglichkeiten einfach nicht da", sagt Josefa Fernandez von der Schuldnerberatung der Caritas in Berlin. Das Bewusstsein, wie leicht aus ein paar nicht gezahlten Rechnungen ein großer Haufen Probleme werden kann, wachse bei Jugendlichen mittlerweile.

Elene spart gerade auf einen Laptop, 300 Euro fehlen ihr noch. Das Geld möchte sie trotzdem alleine zusammenkriegen. Nach der Schule gibt die Nürnberger Gymnasiastin Nachhilfe und assistiert in einem Schwimmkurs, zehn bis fünfzehn Euro kommen so in der Woche zusammen. Von sich selbst sagt Elene: "Ich gebe Geld am liebsten schnell zurück, wenn ich mir etwas leihe. Das ist mir sonst unangenehm".

Ihre Schulfreundin Sophie Rohr, die in die gleiche Klasse geht, sieht das genauso: "Am Wochenende hat mir in der Stadt eine Freundin ein paar Euro für ein T-Shirt gegeben, weil ich zu wenig dabei hatte. Noch am gleichen Tag hab ich das Geld wieder zurückgezahlt", erzählt die 15-Jährige nicht ohne Stolz in der Stimme.

Viele Jugendliche haben Angst, Schulden nicht einschätzen zu können

Es geht Elene und Sophie darum, anderen nicht auf der Tasche zu liegen, mit ihrem Geld selbständig umzugehen. Gegenseitig etwas leihen, das machen sie deswegen nur unter engen Freunden - bloß kein Risiko eingehen.

"Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass Jugendliche in Sachen Schulden heute stark emotionalisiert sind. Sie haben das Gefühl, dass es da etwas gibt, was sie nicht einschätzen können. Das kommt zum einen durch für sie eher abstrakte Ereignisse wie die Finanzkrise, aber auch durch die Medien. Und sie lernen natürlich wie bisher durch Erlebnisse im näheren Bekanntenkreis, was Schulden konkret bedeuten", sagt Veit Rößner, Professor und Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Dresden.

Auf dem Schulhof funktionieren Kredite vielleicht auch deswegen bereits ähnlich wie bei den großen Banken. Wer sein Geld mehrmals nicht zurückgezahlt hat, findet am Pausenkiosk nur noch schwer einen Gläubiger: "Eine war bekannt dafür, dass man sein Geld nachher nie wiedergesehen hat. Ihr hat fast niemand mehr was geliehen", sagt Sophie.

Manchen fehlt das finanzielle Grundverständnis

Jugendliche wie sie und Elene gehen mit ihrem Geld bereits um wie manche Erwachsene. Vorausschauend, kalkulierend - und ein wenig misstrauisch gegenüber anderen. Trotzdem gibt es natürlich auch diejenigen, die schon in gleichem Alter die Kontrolle über ihre Finanzen verlieren. Die sich durch zu viele abgeschlossene Handyverträge, überzogene Konten oder mehrmaliges Schwarzfahren immens verschulden.

"Die Beträge beginnen ab ein paar Hundert Euro und gehen in extremen Fällen bis zu 10 000 Euro hoch", sagt Dorothée Bünner von der Schuldnerberatung der Caritas in Berlin. Meistens fehle dann ein finanzielles Grundverständnis. Manche junge Leute hätten keine Ahnung, wie viel sie für einen Lebensmitteleinkauf einplanen müssen, wie viel für die Handyrechnung oder eine Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Dann helfe nur Aufklärung, meint Bünner, mithilfe eines einfachen Prinzips: Gib nur so viel aus, wie du hast. Elene und Sophie haben das bereits verstanden.

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SZ vom 14.06.2014/ipfa
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