Süddeutsche Zeitung

Jérôme Kerviel:"Perverses System" - wenn ein Banker auspackt

Frankreichs berüchtigtem Banker Kerviel drohen fünf Jahre Haft. Mit einem Enthüllungsbuch wirbt er um Sympathien.

Michael Kläsgen

In gut einem Monat beginnt sein Prozess. Höchste Zeit für Jérôme Kerviel, mit Interviews und einem Buch um Sympathien zu werben. Denn Banker wie er stehen gerade nicht hoch im Kurs, und es wäre verwunderlich, wenn die öffentliche Meinung nicht die Atmosphäre im Prozess beeinflussen würde.

Für ihn, den ehemaligen Händler der Société Générale, steht viel auf dem Spiel. Um fünf Milliarden Euro soll er die französische Bank Anfang 2008 mit betrügerischen Geschäften gebracht haben. Das wirft ihm die Bank, aber auch die Staatsanwaltschaft vor, und darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft.

Kerviel, 33, ist freilich anderer Meinung. Er hält sich für einen "Sündenbock" und für ein kleines Rädchen in einem kaputten System. Das Buch, das an diesem Mittwoch in Frankreich erscheint, trägt deswegen den Titel L'engrenage - Mémoires d'un trader, auf Deutsch: "Das Räderwerk - Memoiren eines Börsenhändlers".

Auf 270 Seiten steht dort, was Kerviel seit zwei Jahren und in diesen Tagen vor allem auch in etlichen Interviews beteuert: "Ja, ich trage einen Teil der Verantwortung, aber ich bin nicht schuldig im strafrechtlichen Sinn. Was ich getan habe, war vielleicht nicht erlaubt, es war aber geduldet und sogar erwünscht von meinen Vorgesetzten und dem Topmanagement. Denn es brachte der Bank viel Geld."

Vergleiche mit Prostituierten

Kerviel gewährt in mehreren Kapiteln Einblicke in das Alltagsleben von Aktienhändlern, er erzählt von deren "abgeschottetem Dasein" und ihrer "Realitätsferne", von den "phänomenal großen Summen", mit denen sie in Sekundenschnelle jonglieren, und von der "Perversität" des Systems.

Er bedient dabei auch Klischees. Zum Beispiel vergleicht er die Händler mit Prostituierten. Am Ende des Tages heiße es: "Zählerstand ablesen! Na, wie viel hast du heute gemacht? Ah, du warst heute eine gute Geldmaschine."

Auf dem Buchtitel blickt der Bretone Kerviel ernst und abgehärmt. Er ist nicht der einzige entzauberte Börsenhändler, der aus seinem persönlichen Scheitern oder dem Absturz der Finanzmärkte Kapital schlagen will, indem er nun Insider-Geschichten in Buchform auftischt und sich zum Anwalt der Kritiker macht.

In seinem Fall kommt noch hinzu, dass er mit der Offensive den Prozess zu beeinflussen versucht, was in Deutschland undenkbar, aber in Frankreich nichts Besonderes ist. Der Anwalt der Société Générale reagierte darauf lakonisch: "Kerviel behauptet, es habe eine Art Kollektivschuld gegeben, um statt mit einer Gefängnisstrafe mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen."

Dem ehemaligen Börsenhändler steht das Wasser bis zum Hals. Die Anspannung war ihm dieser Tage in einem Fernsehinterview in den Hauptnachrichten anzusehen. Das Buch ist auch ein Hilferuf. Kerviel appelliert an seine ehemaligen Kollegen, mit der Wahrheit herauszurücken. Sie sollen erzählen, wie es läuft im Handelssaal, am besten noch vor oder während des Prozesses.

Dabei weiß er, dass die Beweisaufnahme längst abgeschlossen und er der einzige Angeklagte ist. Trotzdem beharrt er auf dem Vorwurf, die Untersuchungsrichter hätten nicht alle Winkel ausgeleuchtet. Dabei dehnten sie ihre Untersuchungen sogar aus und vernahmen zusätzliche Zeugen. So hatten es Kerviels Anwälte, die er seit seinem Auffliegen dreimal wechselte, beantragt.

Bank entließ gesamte Mannschaft um Kerviel

Hartnäckig verweist Kerviel darauf, dass das Kontrollsystem der Bank nicht funktionierte. Das tat es tatsächlich nicht, zu dem Ergebnis kam ein interner Untersuchungsbericht der Société Générale. Womöglich wussten Kerviels Vorgesetzte sogar, dass er E-Mails und Dokumente fälschte und sich unter falschen Namen auf den Computern von Kollegen einloggte, um dort Scheingeschäfte zu tätigen.

Die Bank hat dafür die Verantwortung übernommen und die gesamte Mannschaft um Kerviel und sogar den Bankchef entlassen. Die Anklage lautet aber auf Vertrauensbruch, Fälschung und unbefugte Nutzung von Computersystemen. Das ist bislang nur Kerviel vorzuwerfen.

Promiverteidiger Metzner als Rettungsring

Nicht auszuschließen, dass einige seiner Kollegen ähnlich krumme Geschäfte machten. Aber offenbar verstieß nur er gegen das eiserne Gebot: Du darfst dich nicht erwischen lassen. Einer der bekanntesten Strafverteidiger Frankreichs soll ihn nun retten: Olivier Metzner.

Die Liste seiner Mandanten liest sich wie das "Who is Who" von Paris, Wirtschaftsgrößen wie der ehemalige Elf-Chef Loik Le Floch-Prigent oder Jean-Marie Messier von Vivendi finden sich darunter, die L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt und der frühere Premier Dominique de Villepin. Kerviel kann sich den Star-Anwalt nur leisten, weil er den Status eines Prominenten hat. Davon profitiert auch Metzner. Er verspricht "weitere Enthüllungen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.940860
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.05.2010/nog/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.