Süddeutsche Zeitung

IWF: Nachfolge von Strauss-Kahn:Ein deutsch-französisches Machtspiel

Die Schwellenländer haben die Dominanz des Westens beim Internationalen Währungsfonds satt - aber ihre Hoffnungen auf einen eigenen Kandidaten als Nachfolger von Strauss-Kahn dürften vergebens sein. Berlin und Paris durchkreuzen diese Pläne.

Nikolaus Piper

Dominique Strauss-Kahn lobte seine Gastgeber überschwänglich. "Indien ist dabei, eine Führungsmacht zu werden", sagte er bei einem Besuch in Neu Delhi. "Das Land ist ein echtes ökonomisches Kraftwerk." Als Konsequenz, so der Direktor des Internationalen Währungsfonds, sollten Indien und andere Schwellenländer beim IWF und der Weltbank mehr Einfluss haben.

"Lassen Sie uns ehrlich sein", meinte Strauss-Kahn vor indischen Journalisten, "die sogenannte Vereinbarung zwischen den USA und Europa, wonach der IWF-Direktor Europäer sein muss und der Weltbankchef Amerikaner, ist vorbei." Es wäre nur "fair", wenn die nächsten Chefs der beiden Institutionen aus anderen Weltgegenden kämen.All das trug sich im Dezember 2010 zu, als Strauss-Kahns Welt noch in Ordnung war. Alle Welt ging davon aus, dass der IWF-Chef entweder seine reguläre Amtszeit 2012 zu Ende bringen oder aber im Sommer zurücktreten und für das Amt des französischen Staatspräsidenten kandidieren werde.

Jetzt ist alles ganz anders. Strauss-Kahn muss überstürzt zurücktreten, und die Vertreter der 187 Mitgliedsstaaten des Fonds suchen hastig nach einem Nachfolger. Für langfristige weltpolitische Überlegungen ist da wenig Zeit. Es geht um Macht. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wollen mehr Einfluss - und zum ersten Mal in der Geschichte wollen sie auch einen IWF-Direktor stellen. Dank der Reformen, die Strauss-Kahn bereits eingeleitet hatte, erhöht sich nun auch das Stimmgewicht der Neulinge.

China wird demnächst Deutschland als drittgrößten Anteilseigner des IWF - nach den Vereinigten Staaten und Japan - ablösen. Auch die Europäer wissen, dass andere Regionen mehr Einfluss brauchen, um Glaubwürdigkeit und Relevanz des Fonds zu erhalten. Aber jetzt auch noch das althergebrachte Vorrecht auf den IWF-Direktor aufgeben?

Diesem Ansinnen sind die Europäer erstaunlich schnell und entschieden entgegengetreten. Sie haben sich offenbar auf die plausibelste Kandidatin, Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde, geeinigt. Lagarde ist international hoch angesehen, sie spricht hervorragend Englisch, hat in der Finanzkrise Führungsqualitäten bewiesen - und wäre die erste Frau an der Spitze einer der internationalen Organisationen. Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien müssten sich schnell auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten verabreden, um gegen Lagarde überhaupt eine Chance zu haben. Bis Donnerstagabend sah es nicht danach aus.

Das kluge Machtspiel in Paris und Berlin ändert aber nichts daran, dass die Affäre um Strauss-Kahn auch den Bedeutungsverlust Europas auf internationaler Ebene illustriert. Die Volkswirtschaften des alten Kontinents fallen im internationalen Vergleich zurück, die EU ist zudem durch die Schuldenkrise in Griechenland, Portugal und Irland geschwächt. Europa ist Hilfsempfänger des IWF, zum ersten Mal seit 1977. Und unter diesen Umständen tritt nun auch noch der europäische Direktor des Fonds unter demütigenden Umständen zurück. Das muss Folgen haben.

Ursprünglich waren Weltbank und Fonds fast ausschließlich europäisch-amerikanische Institutionen. Als die späteren Siegermächte des Zweiten Weltkriegs im Juli 1944 in Bretton Woods (New Hampshire) eine neue Währungsordnung entwarfen, planten sie den Fonds als Bank, welche die Zahlungsströme zwischen der neuen Supermacht USA und Europa regulieren sollte - mit dem Dollar als Leitwährung.

Die Weltbank sollte den Wiederaufbau des zerstörten Europa finanzieren. Als die Finanzordnung der Nachkriegszeit 1971 zusammenbrach, weil die USA die Bindung des Dollars an das Gold aufkündigten, weiteten IWF und Weltbank ihre Aufgaben aus: Sie wurden zu Institutionen, die den Aufstieg der Dritten Welt hin zur Prosperität begleiten und Zahlungsbilanzkrisen in einer immer komplizierteren Welt verhindern sollten.

Der Erfolg war sehr begrenzt. IWF und Weltbank galten oft als Agenten, welche die Interessen der Industrieländer in der Dritten Welt durchsetzten, sie waren dort entsprechend verhasst. Weil es immer leichter wurde, sich auf dem freien Markt Geld zu besorgen, drohte der IWF in den neunziger Jahren sogar in die Bedeutungslosigkeit zu sinken.

Das änderte sich mit dem Ausbruch der Finanzkrise und dem Amtsantritt von Strauss-Kahn 2007. Der Fonds wurde zum Zentrum der globalen Krisenpolitik. Für die Rettung Islands, Lettlands und jetzt Griechenlands waren die Experten und das Geld des IWF unersetzlich.

Strauss-Kahn wollte den Fonds zu einer globalen Krisenpolizei umbauen. Er wusste, dass er dafür die Zustimmung der zunehmend selbstbewussten Entwicklungs- und Schwellenländer brauchte. Das wird unter einer potentiellen Direktorin Lagarde nicht anders sein. Die Frage der angemessenen Vertretung der früheren Dritten Welt wird nicht verstummen, selbst wenn Europa seine Vorrechte noch einmal sichern konnte.

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SZ vom 20.05.2011/aum
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