Süddeutsche Zeitung

Irland in Not:Wut auf fette Katzen

Vom irischen Wirtschaftswunder haben vor allem die Unternehmer-Clans, die "fat cats", profitiert. Die Rechnung dafür zahlen nun Arbeitslose und arme Familien.

Andreas Oldag

Am Tag eins nach dem Hilfegesuch Irlands an seine internationalen Partner geht das Alltagsleben in Dublin seinen gewohnten Gang. In der größten Einkaufsstraße, der Grafton Street, drängeln sich die Menschen, um bereits ihre Weihnachtskäufe zu erledigen. Auffallend viele Geschäfte locken mit hohen Preisnachlässen. Ein Zugeständnis an die Konsumenten, die infolge der Wirtschaftskrise in diesem Jahr deutlich weniger Geld im Portemonnaie haben. Von überschäumender Proteststimmung wie in Griechenland, als es im Frühjahr nach den harten EU-Auflagen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, ist in Dublin nichts zu spüren.

Die Iren schmeißen keine Steine in Schaufensterscheiben. Es ist stattdessen eher eine stille Wut, die sich zwischen Dublin und Cork unter den 4,5 Millionen Einwohnern breit macht. Das heißt allerdings nicht, dass sich Frust und Enttäuschung, auch über das Versagen der eigenen Politiker in der Krise, nicht eines Tages doch noch entladen können. So kam es bereits am Montag zu kleineren Protesten vor den irischen Regierungsgebäuden in der Dubliner Merrion Street. Ein Demonstrant trug ein Plakat mit der Aufschrift: "Weg mit den Verrätern". Damit war die Regierung gemeint. Die Iren sind zudem ein nationalbewusstes Volk, das Einmischungen gar nicht goutiert.

"Wir sind nur noch ein Protektorat der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds", meinte eine Passantin in der Grafton Street. Ein Satz, der so oder ähnlich in diesen Tagen auch immer wieder in den großen irischen Zeitungen Irish Times und Irish Independent zu lesen ist. Die Kommentatoren greifen gerne zurück in die Geschichte des Landes, das unter großen Opfern seine Unabhängigkeit vom Britischen Empire 1921 erlangte. Andererseits gelten die Iren als Pragmatiker, die in Krisen kühlen Kopf bewahren. Viele Menschen sehen die anstehende Überwachung der irischen Finanz- und Haushaltspolitik durch IWF und EU als notwendiges Übel an, um das Land aus dem wirtschaftlichen Schlamassel zu führen.

Umfragen zeigen, dass die Insulaner vor allem die regierende konservative Partei von Ministerpräsident Brian Cowen für das Übel verantwortlich machen. Sie habe viel zu lange auf die "fat cats" - auf die fetten Katzen - in der Banken- und Bauindustrie Rücksicht genommen, heißt es in Dublin. Die Kritik zielt auf die mächtigen Unternehmer-Clans in der irischen Gesellschaft, die den spekulativen Bau- und Immobilien-Boom angetrieben haben, der dann vor zwei Jahren zusammenbrach. Nun steht die Regierung Cowen mit dem Rücken zur Wand. Vorgehalten wird dem "Taoiseach", wie der Ministerpräsident in der irischen Sprache heißt, Wählertäuschung. Tagelang hatte er betont, Irland sei auf EU-Unterstützung nicht angewiesen. Dann kam die Kehrtwende und am Sonntag das Hilfegesuch an Brüssel.

Sparkonzept wird vorgestellt

Kaum jemand glaubt, dass sich die Regierung lange im Amt halten kann, zumal die Grünen, der kleine Koalitionspartner, jetzt vorgezogene Neuwahlen fordert. Doch wer auch immer im Dubliner Unterhaus, dem "Dail", künftig die Mehrheit hat: Er muss die Wähler auf harte Einschnitte vorbereiten. Brüssel, EZB und IWF werden da kein Pardon kennen.

Die noch amtierende Regierung Cowen will am Mittwoch ihren Sparplan vorlegen, der in den nächsten vier Jahren Haushaltskürzungen von 15 Milliarden Euro vorsieht. Das entspricht einer Summe von fast zehn Prozent des irischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Angesichts eines horrenden Budgetdefizits von 32 Prozent des BIP will Dublin den Rotstift unter anderem bei Sozialleistungen ansetzen, wie etwa bei Zuwendungen an Kinder und Arbeitslose. Auch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes müssen mit weiteren Kürzungen rechnen, obgleich sie schon Anfang des Jahres Gehaltseinschnitte hinnehmen mussten. Neben Kürzungen sind zudem Steuererhöhungen - etwa bei Immobilien - vorgesehen. Die niedrigen Unternehmenssteuern will Irland nicht antasten. Gewerkschaften, aber auch Wohlfahrtsverbände, warnen davor, dass die Einsparungen vor allem zu Lasten der Armen und Mittellosen gehen. Befürchtet wird eine Spaltung der Gesellschaft. "Die Elite hat vom vergangenen Boom am meisten profitiert. Jetzt trifft es wiederum die am unteren Ende der Gesellschaft", sagt Gewerkschaftsführer Jack O'Connor.

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SZ vom 23.11.2010/mel
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