Süddeutsche Zeitung

Irland in der Rezession:Absturz aus dem Paradies

In Dublin konnten Banken spekulieren, Steuern sparen und Risiken auslagern - doch damit ist es jetzt vorbei: Irland gerät als erster Euro-Staat in eine Rezession.

Andreas Oldag

Mit leisem Summen gleitet der Fahrstuhl nach oben. Im oberen Stockwerk der Depfa Bank an der Dubliner Commons Street betritt der Besucher einen kühl gestylten Empfangsraum. Rote Ledersessel gruppieren sich um einen Glastisch. Von draußen ist der gedämpfte Autolärm vom Custom House Quay zu hören - eine große Verkehrsader, die am Fluss Liffey entlang durchs Dubliner Finanzviertel führt. Depfa-Besucher lesen im Geschäftsbericht 2007: Das Institut habe einen "starken unternehmerischen Geist", heißt es in dem 188 Seiten dicken Wälzer. So war sie, die schöne, heile Bankenwelt, die in diesen Tagen untergegangen ist.

Die strauchelnde Bank steht im Mittelpunkt eines Sturms, den die Münchner Muttergesellschaft Hypo Real Estate (HRE) in eine Schieflage gebrachte und die Bundesregierung zu einer beispiellosen Rettungsaktion veranlasste. Zum Verhängnis wurde dem Dubliner Finanzierungsspezialisten für Schulen, Krankenhäusern und Straßen ein kapitaler Fehler: Depfa hatte in großem Stil langfristige Kredite mit solchen finanziert, die nur wenige Wochen laufen. Das ging so lange gut, wie andere Banken ausreichend Geld gaben. Doch angesichts der Finanzkrise behalten die Institute lieber die Mittel im eigenen Haus.

Sinken wie die Titanic

Erklärungen für das Desaster hat man in Dubliner Depfa-Zentrale nicht. Eine deutsche Mitarbeiterin eilt aus den hinteren Fluren herbei. Ihren Namen nennt sie nicht. Sie rudert mit den Armen. "Sie sehen doch. Wir arbeiten noch", sagt die blonde junge Frau und blickt dem Besucher treuherzig in die Augen. Dies klingt fast so wie auf der Titanic. Das auf der Belfaster Werft Harland & Wolff vom Stapel gelassene Traumschiff versank 1912 in den Fluten des Nordatlantiks - mit Pauken und Trompeten: Die Musikkapelle auf dem Oberdeck spielte bis zuletzt.

"Hier versinken die Banken jetzt im Fluss Liffey", meint ein irischer Banker mit ironischen Grinsen. Der junge Mann im dunkelgestreiften Anzug verschwindet im pompösen Glaspalast der amerikanischen Citybank-Filiale, wenige hundert Meter vom Sitz der Depfa Bank entfernt. Dublin ist ein Tummelplatz für ausländische Finanzdienstleister. In den Dublin Docklands, dem alten Hafengebiet entlang des Liffey, in dem einst Arbeiter dreckige Kohlendampfer entluden, glitzern heute die Fassaden von 300 Banken und Investmentfirmen. 25.000 Menschen arbeiten in der Branche.

"Wilde Westen der europäischen Finanzindustrie"

Zu den Spezialitäten des Dubliner Finanzplatzes gehören so genannte Investment-Vehikel und Zweckgesellschaften von großen internationalen Bankkonzernen, die auf diese Art risikoreiche Geschäfte aus ihren Bilanzen auslagern.

So jonglierte die Sachsen LB über die Gesellschaft Ormond Quay mit Milliarden auf dem amerikanischen Immobilienmarkt - eine kolossale Fehlspekulation. Auch bei der Pleite des italienischen Lebensmittelkonzerns Parmalat waren irische Finanzkonstruktionen beteiligt. Dublin sei der "Wilde Westen der europäischen Finanzindustrie", mokierte sich daraufhin die New York Times.

Der Motor des irischen Wirtschaftswunders

Bislang ließen sich die pragmatischen Iren durch solche Kritik allerdings nicht beeindrucken. Für sie geht es um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Investoren genießen konkurrenzlos günstige Unternehmenssteuern von 12,5 Prozent auf der Insel und außerdem eine sehr liberale Börsen- und Finanzmarktaufsicht. Dafür hat das Land Tausende von Jobs für ihre in Europa überdurchschnittlich junge Bevölkerung erhalten.

Kein Zufall, dass die Finanzindustrie zum Motor des irischen Wirtschaftswunders wurde. Dies katapultierte das einstige Armenhaus Europas mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern an die Einkommensspitzengruppe in der EU - deutlich vor Deutschland. In den Dublin Docklands erreicht die Luxuswagen-Dichte vorwiegend deutscher Fabrikation mittlerweile das Niveau des Londoner Finanzviertels.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Irland ist als erstes Land in der Eurozone in eine Rezession gestürzt - die erste seit 25 Jahren.

Fast die Hälfte des irischen Bruttoinlandsprodukts entfällt auf das Dienstleistungsgewerbe. "Wir hatten eine Menge, junger fleißiger Leute, aber kein Geld. So nahmen wir gerne das Geld deutscher Banken", sagt der junge irische Bestseller-Autor David McWilliams, der ein Buch mit dem Titel "Die Kinder des Papstes" über den beinahe sagenhaften ökonomischen und sozialen Aufstieg seines Landes in den vergangenen zwei Jahrzehnten geschrieben hat.

Doch nun, im Zeichen der weltweiten Finanzkrise, macht sich unter den Bankern und Brokern Katerstimmung breit. Die Party auf der grünen Insel ist zu Ende. Mehr noch: Die Finanzgiftküche, die in den Docklands angerührt wurde, hat die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Hinzu kommen drastisch fallende Immobilienpreise und eine Abschwächung des Baubooms. So ist der "keltische Tiger" als erstes Land in der Eurozone in eine Rezession gestürzt - die erste seit 25 Jahren.

Hohe Arbeitslosigkeit erwartet

Die Aussichten sind alles andere als rosig. Das irische Wirtschaftsforschungsinstitut Economic and Social Research Institute (ESRI) schätzt, dass die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr auf acht Prozent steigen wird.

Alles das könnte zudem den Gegnern des EU-Vertrags weiteren Auftrieb geben, fürchten die Experten. Der Wahlslogan zum EU-Referendum über den Vertrag von Lissabon lautete eingängig: "No to Lisbon". Viele Iren wenden sich gegen eine als zu stark empfundene Bevormundung durch Brüssel, obgleich die Insel jahrelang von Subventionen der EU profitierte.

400-Milliarden-Euro teure Bürgschaftserklärung

Im oberen Stock der städtischen Entwicklungsbehörde Dublin Docklands Development Authority (DDDA) blickt Camel Smith auf den träge dahin fließenden Liffey. Das Wasser glitzert in der warmen Herbstsonne. Segelschiffe haben am Kai festgemacht. Darunter ist auch das deutsche Schulschiff der Bundesmarine "Gorch Fock", das auf Stippvisite in Dublin weilt. Die gewaltigen Masten der Bark recken sich in den Himmel. Es ist ein idyllisches Bild. ´

Nur: An diesem Tag breiten sich wieder einmal die Schockwellen des weltweiten Börsenkrise rund um den Globus aus. Auch irische Banken geraten weiter in den Abwärtsstrudel, obwohl der irische Finanzminister Brian Lenihan gerade eine 400-Milliarden-Euro teure Bürgschaftserklärung für die großen Geldhäuser des Landes abgegeben hat.

"Wir sind eine kleines Land. Wir mussten uns immer behaupten", sagt die Docklands-Managerin. Sie zeigt auf das gegenüberliegende Ufer: Dort drehen sich die Baukräne über einem mehrstöckigen, grauen Betonskelett. Dort ent-steht eine neue Zentrale für die Anglo Irish Bank. "Ich bin froh, dass kräftig gebaut wird. Das gibt den Docklands Hoffnung. Wir müssen in die Zukunft blicken", sagt Smith. Sie ist stolz darauf, dass Genehmigungsverfahren für die Ansiedlung von Investoren gerade nur sechs Wochen dauern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Iren mit der angespannten finanziellen Lage umgehen.

Hoffnung ist auch das Wort, das Damien Hennelly immer wieder benutzt. Der Manager der staatlichen Investitionsförderagentur IDA (Investment and Development Agency) räumt ein, dass das Land in einer schwierigen Phase steckt. "In der Finanzbranche herrscht große Unsicherheit. Davon ist auch Irland betroffen. Doch wir hoffen, dass die Krise bald überstanden ist", sagt der IDA-Vertreter.

Er weist Kritik zurück, dass Irland durch niedrige Abgaben und laxe Regulierung Spekulanten und allzu riskante Finanzgeschäfte geradezu angezogen habe. "Unsere Steuersätze verstoßen nicht gegen die EU-Regeln. Unsere Finanzaufsicht ist sehr effektiv", sagt Hennelly. Er ist sichtlich besorgt um das Image Irlands als europäischer Finanzplatz. Deutlich wird auch, dass sich die Insulaner schon gar nicht in die Rolle eines Sündenbocks für das Finanzdesaster drängen lassen wollen.

Rechtfertigung und Trotz

So reagiert man denn auch auf den langen Fluren der obersten Finanzaufsicht am College Green in der Dubliner Innenstadt verschnupft über entsprechende Vorwürfe aus Brüssel, dass den Iren bei der Bewältigung der Krise die Jacke näher sei als die Hose - sprich: ein solidarisches Vorgehen aller EU-Mitglieder durchkreuzen würden. "Wir wurden für unsere Bankengarantie an den Pranger gestellt. Doch dann haben Deutsche und Briten etwas ähnliches gemacht, um ihren Banken zu helfen", klagt ein Behördenmitarbeiter.

So ist es kein Zufall, dass gerade viele junge Iren, die in den vergangenen Jahren zu den Hauptprofiteuren des Wirtschaftsbooms gehörten, beinahe trotzig auf wirtschaftliche Untergangsszenarien in den irischen Medien reagieren. "Ich mache mir nicht so wahnsinnig viele Gedanken. Ich weiß, wenn ich meinen Job verliere, suche ich mir einen anderen suchen. Irgendwie wird es schon weiter gehen", sagt Catherine McLane. Die 32-jährige Bankangestellte schlendert zusammen gerne mit ihrer Freundin durch das Dubliner Nobelkaufhaus Brown Thomas. Die Louis Vuitton Handtasche für 2200 Euro kann sie sich zwar nicht leisten. Aber auf das neue Prada-Modell habe sie schon ein Auge geworfen, lacht die junge Frau.

"Kleeblatt wird wieder blühen"

Im Dubliner Pub-Viertel am Temple Bar, dort wo schon nachmittags das Guinness-Bier in Strömen fließt, hockt Michelle Goode in einem kleinen, schummerig beleuchteten Stoffzelt. Es steht in einem Raum, in dem Glaskugeln von der Decke hängen. Kerzenduft breitet sich aus. Goode ist Wahrsagerin - ein krisenfester Job, der bei den traditionell abergläubischen Iren hohen Respekt genießt. "Meine Kunden kommen aus vielen Bereichen. Da sind auch erfolgreiche Bankleute darunter. Die wollen doch wissen, wie es jetzt mit der Karriere weitergeht", sagt die Frau mit den grauen Haaren. Ihre Augen flackern dabei lustig. Das Geschäft laufe gut, sagt sie. Goode legt ihren Klienten die Karten oder liest aus der Hand. Und wie sieht die Gesamtprognose fürs Land aus? "Kleeblatt wird wieder blühen", ist sich Goode sicher.

Nicht ganz so sicher scheint dabei Karin Bacon zu sein. Die Leiterin der Internationalen Schule in Dublin muss um die Finanzierung der Ausbildungsstätte fürchten. Die erfolgreiche Privatschule an der Pembroke Street war bislang vor allem für Kinder ausländischer Manager beliebt. 8200 Euro kostet einer der 25 Plätze pro Jahr.

Doch nun gibt es ein Problem: Die Schule wurde bislang von der Depfa Bank im erheblichen Maße gefördert. Ob sich das Institut einen solchen Luxus noch leisten kann, ist mehr als unsicher. Die Bankenkrise zieht ihre Kreise.

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SZ vom 11.10.2008/kim/jkr
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