Peter Bofinger, 56, gehört seit 2004 zu den sogenannten Wirtschaftsweisen. Der Professor für Volkswirtschaftslehre ist Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Würzburg und vertritt eine Meinung, die unter den führenden Ökonomen selten geworden ist: Er ist Anhänger des Keynesianismus und einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Wie andere Wissenschaftler auch, kritisiert er das Verhalten der Politik in der Griechenland-Krise massiv. Ein Gespräch über die Sparbemühungen der Griechen, Bofingers Konzept von einer Währungsunion 2.0 und das Versagen der Politik - kurz bevor sich der hellenische Premier Giorgos Papandreou im Parlament der Vertrauensfrage stellt.
Die Griechen demonstrieren schon seit Tagen gegen die Sparforderungen (hier ein Bild vom 15. Juni).
(Foto: dpa)sueddeutsche.de: Herr Bofinger, die Euro-Finanzminister spielen auf Zeit. Sie wollen über neue Milliarden für Griechenland erst entscheiden, wenn Athen seine Sparzusagen beschließt. Was bedeutet diese Entscheidung?
Peter Bofinger: Ich habe den Eindruck, dass die Strategie des Durchwurstelns einfach weitergeht. Das ist eine Strategie, die für alle unbefriedigend ist. In Griechenland steigt die Unzufriedenheit, weil es keine konkreten Perspektiven für einen Erfolg der Sparpolitik gibt, in Deutschland steigt die Unzufriedenheit, weil die Menschen nicht verstehen, warum sie immer mehr für Griechenland haften müssen. Und zusätzlich steigt auch noch die Unsicherheit an den Finanzmärkten.
sueddeutsche.de: Ihr Groll auf die Politik scheint ja wirklich groß zu sein. Zusammen mit anderen führenden Ökonomen haben Sie am Wochenende massiv die Entscheidungsträger attackiert. Sie haben sogar vom "Versagen der Politik" gesprochen.
Bofinger: Das ist auch ein Versagen der Politik. Die Entscheidung vom Sonntagabend passt in die Linie, die seit Monaten verfolgt wird. Die Politik agiert immer nach dem Prinzip Hoffnung und hat nicht den Mut, eine große Lösung zu konzipieren.
sueddeutsche.de: Was wäre die große Lösung?
Bofinger: Ein großer Schnitt bei den griechischen Schulden. Wir reden hier andauernd von der Beteiligung privater Gläubiger. Doch das wichtigste Ziel muss es sein, Griechenland zu entlasten, dem Land eine Perspektive und den Menschen Hoffnung zu geben.
sueddeutsche.de: Konkret plädieren Sie für einen Schuldenschnitt von 40 Prozent, was etwa 150 Milliarden Euro entspricht.
Bofinger: Wenn wir eine Umschuldung angehen müssen, dann doch so, dass es Griechenland auch etwas bringt. Diese Ideen, die auf eine Laufzeitverlängerung der Staatsanleihen herauslaufen, oder ähnliche Vorschläge bringen dem Land doch gar nichts. Zumindest nichts Substantielles.
sueddeutsche.de: Aber diese Idee birgt doch mindestens zwei Gefahren. Erstens könnten mit einer solchen Entscheidung manche Banken in die Bredouille kommen.
Bofinger: Natürlich, ein solcher Schritt erfordert auch den Mut, zu sagen: Ja, im Notfall müssen wir den Banken helfen, müssen wir vor allem griechische Banken rekapitalisieren.
sueddeutsche.de: Denken Sie dabei auch an deutsche Banken?