Interview mit Friedrich Thießen zur Finanzkrise:"Das ist wie eine Hetzjagd"

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Warum es sich bei der Finanzkrise "nur" noch um eine Ängstlichkeitskrise handelt und warum der ungehemmte Strom von Verkaufsaufträgen durch besorgte Anleger gefährlich ist, erklärt der Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre Friedrich Thießen.

Melanie Ahlemeier

Friedrich Thießen ist Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der Technischen Universität Chemnitz und Begründer des ersten Studiengangs für Investment Banking in Deutschland.

Pure Nervosität: Die Händler der New York Stock Exchange kommen derzeit nicht zur Ruhe. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Thießen, Deutsche Bank und UBS müssen infolge der US-Finanzkrise für das erste Geschäftsquartal abermals Milliarden abschreiben. Wie sehr werden die Großbanken im laufenden Jahr noch leiden müssen?

Friedrich Thießen: Das kann man überhaupt nicht einschätzen. Zum einen werden die wahren Quellen der Verluste meist nicht genau bekanntgegeben. Zum anderen entstehen Verluste in der jetzigen Marktphase, weil immer mehr Anleger und Investoren ängstlich werden und sich von Wertpapieren trennen. Infolge des Verkaufsdrucks sinken die Preise. Andere Finanzmarktteilnehmer haben ähnliche oder gleiche Titel im Depot - deren Werte sinken auch, das Eigenkapital wird gemindert (Mark to Market). Weitere Anleger beobachten diese und werden ängstlich. Es kommt zu einem kumulativen Wertverfall. Solange die Menschen ängstlich und pessimistisch sind, hält das an.

sueddeutsche.de: Diesen Pessimismus gibt es derzeit überall auf den Weltmärkten. Die US-Regierung hat inzwischen reagiert: Die US-Notenbank wird gestärkt, sie soll künftig Hedgefonds, Versicherungen und große Finanzkonzerne kontrollieren dürfen. Reicht das aus, um Anlegern die Angst zu nehmen?

Thießen: Ich glaube nicht, dass diese Vorschläge in Europa allzu ernst genommen werden. Viele der Vorschläge werden schon lange diskutiert. Die Amerikaner haben die Beaufsichtigung von Hedgefonds früher abgelehnt - im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Seite. Viel wichtiger ist es, jetzt den Pessimismus zum Stillstand zu bringen. Man muss Maßnahmen treffen, die sofort Sicherheit schaffen und die Ängstlichkeit der Anleger beseitigen.

sueddeutsche.de: Was müsste konkret geschehen?

Thießen: Banken in der Bredouille könnten durch den Staat aufgefangen werden, wie einige vorgeschlagen haben. Solch ein Netz würde sicherlich ein gewisses Sicherheitsniveau schaffen. Aber es gibt viel mehr Instrumente.

sueddeutsche.de: Der Präsident der Bundesbank, Axel Weber, will noch keine Entwarnung geben. Er sagt, "die Vertrauenskrise ist noch nicht überstanden". Müssen Banken vorübergehend verstaatlicht werden, um wieder das Vertrauen der Anleger herzustellen?

Thießen: So schrecklich solche Maßnahmen klingen - man kann durchaus daran denken. Aber es gibt einfachere Lösungen.

sueddeutsche.de: Deutsche-Bank-Chef Ackermann hat erst kürzlich an die US-Regierung appelliert, einzugreifen ...

Thießen: ... ja, und dafür ist er quasi ausgelacht worden. Ich finde es sehr schade, dass Herr Ackermann dermaßen kritisiert wurde. Die Deutsche Bank gilt in Krisenzeiten immer als "sicherer Hafen" und wird von quasi jedem, der ängstlich ist, angesprochen. Die Bank weiß, wie die Stimmung im Markt aussieht und wer noch verkaufsbereit ist. Wenn immer mehr Menschen Papiere abstoßen, treibt das die Krise weiter voran. Wir haben keine reale Krise, sondern nur eine Ängstlichkeitskrise.

sueddeutsche.de: Dafür, dass es sich - wie Sie es nennen - "nur" um eine Ängstlichkeitskrise handelt, sind die Verluste und damit die Abschreibungen der Banken aber sehr real und groß.

Thießen: Die eigentliche Subprimekrise - und damit die Ausfälle der amerikanischen Hypothekenschuldner - ist von Herrn Ackermann im vergangenen Sommer auf 200 Milliarden Dollar geschätzt worden. Das war ad hoc schon eine recht gute Schätzung. Jetzt spricht man von 400 bis 500 Milliarden Dollar - mehr können es auch gar nicht werden, so groß ist das Volumen nicht. Bezogen auf die weltweite Börsenkapitalisierung von 40 Billionen US-Dollar ist das nur ein Prozent. Die Aktien- und Rentenmärkte haben aber schon das Zigfache an Wert verloren. Letztlich sind die Krise und alle denkbaren Folgen wie Konjunktureinbruch et cetera. in den Kursen längst verdaut. Jetzt erleben wir den ungehemmten Strom von Verkaufsaufträgen aller möglichen Wertpapiere durch die ängstlichen Anleger, und das ist gefährlich.

Lesen Sie weiter, wie mit der Angst der Anleger Geld verdient wird.

sueddeutsche.de: Der gefährliche Strom reißt vor allem Bankentitel mit nach unten: Das ehemalige Flaggschiff Bear Stearns ist durch Fehlspekulationen auf dem US-Hypothekenmarkt ebenso in Schieflage geraten wie mehrere deutsche Landesbanken. Verhindert nur eine Verstaatlichung den Bankrott?

Professor Friedrich Thießen lehrt an der Technischen Universität Chemnitz. (Foto: Foto: oH)

Thießen: Nein, es gibt viele andere Instrumente, die helfen könnten. Aber hier wird auch Politik gemacht: Die einen sehen zu, dass der Staat die Verluste trägt; die anderen sehen zu, dass sie ihren Job behalten. Die dritten fürchten um ihr persönliches Vermögen. Und dann gibt es die Aggressiven, die die Kurse mit Gerüchten hoch- und runtertreiben.

sueddeutsche.de: Ein Geschäft mit der Angst der Anleger?

Thießen: Ja, das ist im vollen Gange, ebenso das Geschäft mit den Stellen. Den Chef der UBS, Marcel Ospel, hat es jetzt getroffen. Das treibt auch das Verhalten vieler Banken an. Im vergangenen halben Jahr hat das leider dazu geführt, dass es so wenige wahre Informationen gab.

sueddeutsche.de: Mit UBS-Chef Ospel tritt ein gestandener Banker ab. Trifft es weitere Spitzenbanker?

Thießen: Das ist wie eine Hetzjagd. Dieses Ausmaß der Krise hat niemand vorhergesehen, da hat auch kein einzelner Bankvorstand Schuld. Mit dem Rückzug einzelner Vorstandsmitglieder wird nichts gelöst.

sueddeutsche.de: Die UBS geht einen galanten Weg: Das Geschäft mit den Ramsch-Hypotheken wird einfach ausgelagert - ganz legal.

Thießen: Solche Einteilungen in solides Kerngeschäft und Problemportfolios sollen Stabilität und Vertrauen schaffen. Man schafft eine Kernbank mit dem normalen Geschäft, das Sicherheit, Solidität und eine normale Ertragskraft aufweist. In einer Sondereinheit werden die problematischen Kredite gebündelt - nicht, um sie zu verstecken, sondern um zu zeigen, dass man die problematischen Kredite beherrscht. Ein Verstecken ist dann nicht mehr möglich.

sueddeutsche.de: Die Auslagerung rettet nicht nur die Glaubwürdigkeit des Instituts, sondern vor allem die Bilanz.

Thießen: Ja, man schafft sich sozusagen künstlich eine schöne Bilanz im "sauberen" Teil, den man extrahiert hat.

sueddeutsche.de: Wie kann nach mehr als einem Dreivierteljahr Krisenstimmung Ruhe in die nervöse Finanzszene kommen?

Thießen: Vielleicht sind wir schon kurz davor. Man kann den öffentlichen Diskussionen nicht trauen. Die Menschen denken oft etwas anderes als was sie aussprechen. Oft sind es dann ganz banale Ereignisse, die plötzlich und scheinbar unerwartet zur Beruhigung führen. Wenn die Krise anhält, kann man auch an ein Instrument denken, das oft verwendet wird, wenn Eigenkapital durch externe Ereignisse fehlt: Ausgleichsforderungen. Die Institute bekommen vom Staat Ausgleichsforderungen zugeteilt - damit werden Lücken in der Bilanz geschlossen. So entsteht automatisch Eigenkapital, das jeweilige Institut ist sicher. Anleger müssen sich nicht länger ängstigen, Sicherheit entsteht. Der Staat wird nicht belastet, weil die Institute die Forderungen im Laufe vieler Jahre aus eigenen Erträgen tilgen. Restforderungen werden im Wege einer Umlage getilgt.

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