Integrationsprozess:Besser als ihr Ruf

Viertel mit einem hohen Migrantenanteil sind für Einwanderer oft keine End-, sondern eine Durchgangsstation.

Von Kristina Simons

"Ich bin Berlinerin durch und durch", erzählt Yonca Tül und strahlt. Sie ist Deutsche türkischer Herkunft und lebt seit ihrem fünften Lebensmonat in Berlin. 1972 sind ihre Eltern aus dem südtürkischen Adana in den Bezirk Kreuzberg gezogen. "Die Mutter meines Vaters und ein Onkel wohnten damals schon dort."

Integrationsprozess: Von zentraler Bedeutung für den Integrationsprozess sind zum Beispiel gemeinsame Werte, Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Von zentraler Bedeutung für den Integrationsprozess sind zum Beispiel gemeinsame Werte, Bildung und Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

(Foto: Foto: ddp)

So wie viele Immigranten wohnten die Tüls erstmal in einer Umgebung, in der auch viele andere Einwanderer lebten. Die häufig als "Ausländerghettos" stigmatisierten Wohngegenden sind nach Meinung einiger Soziologen besser als ihr Ruf. Für eine erfolgreiche Integration, so der Tenor, seien ohnehin ganz andere Faktoren als die Nachbarschaft zu Einheimischen entscheidend.

Zuwanderer suchten zunächst die Nähe von Landsleuten, die dort bereits lebten und ihnen bei der Wohnungssuche oder bei Behördengängen helfen könnten, sagt Hartmut Häußermann, Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Er erinnert in dem Zusammenhang an das New Yorker Viertel "Little Germany", das entstand, als viele mittellose Auswanderer aus Deutschland in die USA migrierten.

Vorzeige-Zuwanderer

In dem Maße aber, wie sich Zuwanderer ökonomisch, sozial und kulturell integrierten, würden sie in Viertel ziehen, in denen vor allem Einheimische lebten, meint Häußermann. Die Orte mit hoher Konzentration von Migranten seien dann in diesen Fällen keine Endstationen, wie in der öffentlichen Diskussion oft unterstellt, sondern Durchgangsstationen.

Die Familie Tül hat diesen idealtypischen Verlauf hinter sich. Vor Yoncas Einschulung ist sie in einen etwas besseren Teil Kreuzbergs gezogen, wo gerade eine Reihe moderner Neubauten entstanden war. Die Eltern legten von Anfang an viel Wert auf eine gute Bildung und Ausbildung ihrer beiden Töchter. Sie sprechen Türkisch und Deutsch fließend, haben Abitur gemacht und studiert. Migrationssoziologen hätten an den Tüls ihre wahre Freude.

Integration versus Segregation

Im Vergleich zu manchen amerikanischen Städten oder den Banlieues in Frankreich sind laut Häußermann ethnische Minderheiten hierzulande deutlich weniger segregiert. Anders sei das aber bei Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen Bildungsstand und einem geringen Einkommen. "Die Fortschritte bei der Integration sind abhängig von Bildung, Einkommen und Beruf, nicht vom Wohnort", sagt Häußermann.

Integration trotz Segregation

Und doch sei man sich auf politischer Ebene offenbar darin einig, dass Migrantenviertel einen Weg ins soziale Abseits bedeuten. Allein eine soziale und ethnische Mischung innerhalb eines Wohnquartiers bewirke aber keine erfolgreiche Integration, meint Häußermann. "Räumliche Nähe bedeutet nämlich nicht automatisch soziale Nähe, und räumliche Nähe hat auch nicht direkte Wirkungen auf das Denken und Handeln der Nachbarn." Als sich Ende 2007 Wohnungsunternehmen aus ganz Deutschland in Berlin auf einer Integrationskonferenz trafen, waren sich diese schnell darüber einig, sich mit der Realität auseinanderzusetzen: Es sollte nicht um Integration statt Segregation, sondern um Integration trotz Segregation gehen.

Bei Wohnungsbau und Stadtentwicklung sei ein Überdenken der übertriebenen Desegrationspolitik angebracht, meint Sebastian Beck, wissenschaftlicher Referent des Bundesverbands für Wohneigentum und Stadtentwicklung (vhw). Entscheidend sei schließlich auch, wie die Betroffenen ihre Situation selbst wahrnehmen. "Und auch bei denen, die so leben wollen, muss man sich fragen, ob das wirklich so problematisch ist", gibt Beck zu bedenken. Es würden ja auch ältere Menschen gerne dort hinziehen, wo bereits andere Ältere leben oder Familien die Nähe von anderen Familien suchen, ist die Erfahrung Matthias Gaenzers von der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Gesobau. Andere wiederum suchten ganz bewusst eine Wohnung in einem bunt gemischten Umfeld.

Um ein differenzierteres Bild zu bekommen, hat das Heidelberger Politik- und Marktforschungsinstitut Sinus Sociovision zwischen 2006 und 2008 Migranten zu ihren Lebenswelten befragt. An der Studie "Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland" hat sich auch der vhw beteiligt und dabei den Fokus auf die Wohnwünsche und -realitäten gelegt.

Integrationsleistung dokumentieren

Die Forscher beschreiben acht verschiedene Migranten-Milieus mit jeweils ganz unterschiedlichen Lebensweisen und Wohnwünschen. Sie lassen sich grob unterteilen in die am wenigsten integrierten "traditionsverwurzelten Milieus", die im wesentlichen gut integrierten "Milieus im Prozess der Modernisierung" und die "postmodernen Milieus", die sich weder in der deutschen Kultur noch in der ihres Herkunftslands zu Hause fühlen.

Viele Migranten gehören laut der Studie zu einer zahlungskräftigen Mittelschicht - und nur wenige von ihnen leben demnach aus eigenem Antrieb dauerhaft in ethnisch geprägten Wohnquartieren. Sie legen Wert darauf, in gemischten deutschen Wohnquartieren leben zu können und so die eigene Integrationsleistung zu dokumentieren. Wieder andere wollen dagegen ihre doppelte kulturelle Identität zur Schau stellen und bevorzugen ein multikulturelles Umfeld - allerdings stets mit gewisser Distanz zu stigmatisierten "Ausländerghettos".

Engagierte Migranten

Was die Wohnqualität angeht, besteht gerade bei Migranten mit höherem sozialem Status ein Missverhältnis zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Das fängt schon bei der Wohnungssuche an, wie die Soziologin Emsal Kilic in einer empirischen Studie am Beispiel Berlins herausgefunden hat. "Migranten sehen sich im Wohnbereich häufig Diskriminierungen ausgesetzt", sagt sie. Bei mehreren Bewerbern für eine Wohnung werde gerade in gehobeneren Vierteln meistens der deutsche Bewerber vorgezogen.

Nach Meinung des vhw wird beim Thema Integration zukünftig auch die Frage wichtig sein, inwieweit Migranten in die Mitgestaltung des Wohnviertels einbezogen werden. Denn auch das ist ein Ergebnis der Studie: Das Engagement von Migranten im Quartier ist zwar sehr viel größer als erwartet. Dennoch stecke hier noch sehr viel ungenutztes Potential.

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