Insolvenzverwalter Irving Picard:Madoffs Schatten

Insolvenzverwalter Irving Picard versucht, möglichst viel Geld für die Opfer des Milliardenbetrügers Bernard Madoff einzutreiben. Er tut das höchst erfolgreich - wie verschiedene Großbanken derzeit merken.

Moritz Koch, New York

Der Mann sieht müde aus, abgekämpft scheint er zu sein. Tiefe Falten umrahmen sein Gesicht. Dicke Tränensäcke schwellen unter seinen Augen hervor. Doch der Eindruck der Erschöpfung täuscht. Irving Picard strotzt vor Tatendrang.

Madoff Judge Hears Arguments In Dispute Over Victims' Claims

Der Insolvenzverwalter Irving Picard sieht müde aus, doch er strotzt vor Tatendrang.

(Foto: Bloomberg)

Der Insolvenzverwalter der Fonds des Jahrhundertbetrügers Bernard Madoff befindet sich auf einem Feldzug durch das Finanzsystem. Und er ist zum Äußersten entschlossen. Selbst Großkonzernen stellt er nach. Kaum ein Tag vergeht ohne eine neue, spektakuläre Klage. Zwei Milliarden Dollar fordert Picard von der Schweizer UBS, neun Milliarden von der britischen HSBC und 6,4 Milliarden von dem amerikanischen Finanzkonglomerat JP Morgan. Am Mittwoch startete Picard seine jüngste Offensive. Sieben weitere Banken nahm der Treuhändler ins Visier, darunter Citibank, Nomura und Merrill Lynch.

Der Grund für den Eifer ist die schwindende Zeit. Nur noch bis Samstag kann Picard Ansprüche geltend machen. Sonst ist der Fall verjährt. Und so hetzt Picard auch Freunden, Familienangehörigen und früheren Angestellten von Bernard Madoff hinterher. Niemand, der mit dem Betrüger Geschäfte machte, ist vor dem Geldeintreiber sicher. Kein Betrag ist ihm zu klein, fast jedes Mittel ist ihm recht. So wurden bei Versteigerungen zugunsten der Madoff-Opfer nicht nur die Armbanduhren des Betrügers verhökert, sondern auch seine Unterhosen. Es ist makaber, aber was bleibt Picard auch anderes übrig?

Kaum etwas hinterlassen

Madoff, der gefallene Starinvestor, der seinen Anlegern in jeder Marktlage stabile Renditen versprach, hat kaum etwas hinterlassen. Nur die Trümmer seiner Lebenslüge und tausende geprellte Anleger. Die Liste der Betrogenen ist 162 Seiten lang. Unternehmer, Rentner, Witwen, Stiftungen, Hedgefonds und Banken sind darunter. Doch gerade die Finanzfirmen spielten in der Affäre oft ein doppeltes Spiel.

Zwar legten sie selbst Geld bei Madoff an, andererseits aber profitierten sie von seinem Schneeballsystem, indem sie neue Anleger für seine Fonds anwarben und dafür Gebühren kassierten. Teils haben die Banken auch eigene Fonds aufgelegt, mit denen die Kassen des Betrügers gefüllt wurden. Picard wirft den Banken vor, dass sie Warnzeichen ignoriert hätten, um ihr Geschäft nicht zu gefährden. Darum zerrt er sie nun vor Gericht. Mehr als 100 Klagen sind schon anhängig. Picard kennt kein Pardon.

Viele prominente Fälle

Kaum einer kennt sich in der Konkursmasse von Anlagefirmen besser aus als Irving Picard. Vor seinem Jurastudium studierte er Finanzwirtschaft an der renommierten Wharton School in Pennsylvania. Kein anderer Treuhänder in den USA hat so viele Brokerpleiten abgewickelt wie er.

Das Madoff-Verfahren stellt alles in den Schatten

Mit seinen inzwischen fast 70 Jahren war Picard außerdem als Insolvenzanwalt in so prominente Fälle wie den Bankrott der Fluggesellschaft TWA involviert. Doch das Madoff-Verfahren stellt alles in den Schatten.

Die vergangenen Jahre sind auch an Picard nicht spurlos vorbeigegangen. Er ist sichtbar gealtert, kein Wunder, wenn man bedenkt, dass er von allen Seiten angefeindet wird. Von den Banken, Hedgefonds und Madoff-Vertrauten, die sich zu unrecht an den Pranger gestellt fühlen. Aber auch von den Opfern des Betrügers, denen die Suche nach den Resten ihres Vermögens nicht schnell genug geht. Doch Picard erträgt Anfeindungen der Opfer, deren Verlust er mindern soll, ohne Groll. "Ich habe meinen Mitarbeitern gesagt: Bei so einem Schmerz kann man kein "Dankeschön" erwarten, keine Gratulation", sagte er schon im vergangenen Jahr.

Als sich Bernard Madoff Ende 2008 der Polizei stellte, standen 65 Milliarden Dollar in den Büchern seiner Fonds. Doch ein Großteil dieser Summe waren vorgegaukelte Gewinne und Luftbuchungen. Der tatsächliche Schaden der Madoff-Investoren wird auf etwa 20 Milliarden Dollar geschätzt. Davon hat Picard 2,6 Milliarden Dollar eingetrieben.

Ein Bruchteil, aber immerhin ein Anfang. Und zuletzt häuften sich die Vergleichserfolge des Geldeintreibers. Die Familie des 97-jährigen Unternehmers Carl Shapiro, ein Madoff-Investor der ersten Stunde und einer der wenigen, der sein Geld rechtzeitig vor dem Zusammenbruch des Schneeballsystems samt Scheingewinnen abheben konnte, einigte sich mit Picard auf eine Zahlung von 625 Millionen Dollar zugunsten der geprellten Anleger. Auch die Schweizer Privatbank UBP beugte sich Picards Druck.

Wo es besonders weh tut

Insgesamt könnte es Picard gelingen, die Hälfte der verschollenen 20 Milliarden Dollar zusammenzukratzen, vermutet man an der Wall Street inzwischen. Doch bis es soweit ist, gibt es noch viel zu tun. Die Schwergewichte der globalen Finanzbranche sind ein anderes Kaliber als Privatbanken und greise Investoren.

UBS, HSBC, JP Morgan, Merrill Lynch und Citibank werden sich nicht kampflos ergeben. Schlimmstenfalls könnten sich die Verfahren über Jahre hinziehen. Doch Picard kann hoffen, dass es ihm gelingt, sie schon bald zur Kapitulation zu zwingen. Er trifft sie mit seinen Klagen dort, wo es besonders weh tut. Ihr Ruf ist durch die Finanzkrise ohnehin schwer beschädigt. Je länger die Prozesse dauern, desto größer ist die Gefahr, dass die Öffentlichkeit sie als Madoffs Komplizen wahrnimmt, als Helfershelfer in einem der größten Betrugskandale der Geschichte. Das kann sich keine Bank leisten. Auch wenn sie noch so viele Milliarden auf dem Konto hat.

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