Süddeutsche Zeitung

Inselparadiese:Endstation Sehnsucht

Ein Hamburger ist der weltweit größte Makler für Inseln - er handelt mit Träumen, die sich nicht nur Reiche leisten können.

Alexander Mühlauer

In grauen Schubladenschränken aus Blech lagern seine Sehnsüchte. 36 Jahre lang hat er sie gesucht, gefunden, gekauft, in dicken Mappen gesammelt, geordnet nach Alphabet und Regionen: Australien, Bahamas, Frankreich (Atlantik, Mittelmeer), USA Ostküste, USA Westküste und so weiter. In den Mappen liegen, penibel sortiert, Landkarten, Fotoabzüge, handschriftliche Notizen über Inseln. Gut 12.000 Inseln aus 40 Ländern hat Farhad Vladi in den grauen Schränken aus Blech gesammelt.

Langsam zieht der 63-Jährige eine Schublade heraus, nimmt eine Mappe in die Hand, verharrt einen Augenblick und sagt: "Da drin liegen meine Träume." Dann legt er die Mappe wieder sorgfältig zurück, schließt die Schublade und sagt: "Da drin liegt mein Leben."

Seehunde und Sonne

Seit drei Tagen ist Farhad Vladi wieder zurück in Hamburg, seiner Heimatstadt. Fünf Wochen war er, wie jedes Jahr, auf Forsyth Island. Seiner Insel im Pazifischen Ozean, 20 Helikopterminuten westlich von Wellington, der Hauptstadt Neuseelands. Fünf Wochen im Jahr kostet er den Traum aus, mit dem er sonst sein Geld verdient.

Vladi kauft und verkauft Inseln. Sein Büro mit den grauen Schubladenschränken aus Blech liegt im dritten Stock eines Hauses an der Hamburger Binnenalster. Entspannt sitzt Vladi in einem schwarzen Ledersessel, schaut ab und zu aus dem Fenster, die Sonne spiegelt sich im Wasser, von Schmuddelwetter keine Spur. Auch deshalb trägt er die lässige Garderobe eines Sommerurlaubers: türkises Polo-Hemd, hellbeige Hose, schwarze Mokassins.

Dieser Mann, braungebrannt, grau gelocktes Haar, ist, man muss es so sagen, einfach zufrieden. Sein Gesicht hat über fünf Wochen die konstante Mischung aus Sonne, Salzwasser und Schlaf abbekommen. Ihm ist erst mal danach, von Tieren und Pflanzen zu schwärmen. Morgens könne er den Seehunden und Delfinen beim Schwimmen zusehen. Zusammen mit seiner eineinhalbjährigen Tochter und seinem dreijährigen Sohn streichele Kaschmirziegen, Schafe und Lamas. Einen Pullover aus der Wolle seiner Kaschmirziegen hat er auch. Sie liefern nur 20 Gramm Wolle im Jahr. Deshalb hat es mit dem Pulli gedauert. Bei dem Alpakawollpulli für seinen Sohn ging es schneller, weil Lamas größer sind und sein Sohn kleiner als er.

Vladi sieht sich nicht einfach als Kaufmann, schließlich handle er mit dem Guten, Wahren und Schönen. Inselmakler, sagt Vladi, dieses Wort gefalle ihm nicht so gut, es habe "so einen Beigeschmack". Passender wäre doch: Kunsthändler der Natur, genau, das sei doch wirklich besser, findet er.

Wenn Vladi eine Insel beschreibt, dann spricht er von ihr wie von einem schönen Bild, oder wie von einer hübschen Frau. Anfangs, vom Hubschrauber aus, sieht man das Relief, die Form und die Kurven der Insel, den Sandstrand wie er vom kristallblauen Meer umspült wird, wie die Wellen hereinbrechen und sich wieder zurückziehen.

Alle seine Kunden, sagt Vladi, merken erst, wenn sie einen Fuß auf die Insel setzen, ob sie ihnen gefällt: "Es ist das gleiche Gefühl wie in der Disco, wenn ein junger Mann ein Mädchen sieht, das ihm gefällt." Es sei dieser erste Augenblick, in dem man merke: Die Insel ist mir sympathisch. Oder eben nicht.

Bis Vladi es sich leisten konnte, mit seinen Kunden vor Ort auszuprobieren, ob ihnen die eine Insel zusagt (oder eben nicht), musste er vor allem: sehr hart arbeiten und einfach mutig sein.

Der Wunsch, eine eigene Insel zu besitzen, kam dem Studenten Vladi in einem russischen Restaurant in München, als er in der Süddeutschen Zeitung las, dass sich ein Engländer für 5000 Mark eine Insel gekauft habe. Also steckte er 100 Mark in einen Umschlag und schickte ihn an eine Zeitung auf den Seychellen mit der Bitte, eine Anzeige zu drucken; Inhalt: Farhad Vladi sucht eine Insel! Der Hamburger dachte, dass 100 Mark für eine Kleinanzeige reichen müssten, aber das Blatt druckte eine ganze Seite.

Auf einen Schlag bekam er jede Menge Angebote; das Problem war nur: für 5000 Mark war nichts dabei. Ein Rechtsanwalt schrieb Vladi, dass sein Klient bereit sei, seine Insel für 300.000 Mark zu veräußern. "300.000 Mark - das war ein Schock für mich. Aber ich dachte, wenn ich diese Sehnsucht habe, dann haben andere die auch", sagt Vladi heute. Damals studierte er Volkswirtschaft an der Uni Hamburg und probierte einfach aus, was sich die meisten wohl nicht trauen würden. Er schrieb Briefe an die reichen Menschen seiner Stadt und zeigte die Unterlagen und Fotos der Seychellen-Insel Leuten, die zuviel Geld hatten.

Sein erster Erfolg: Drei wohlhabende Hamburger, einer von ihnen war der hanseatische Kaffeekönig Albert Darboven, wollten Cousine Island, eine der angebotenen Seychellen-Inseln, unbedingt haben. Kaufpreis: 300.000 Mark. Maklerprovision: drei Prozent, sprich 9000 Mark für Vladi. 9000 Mark - auf einmal hatte er das Gefühl, eine Geschäftsidee entdeckt zu haben.

Es war nicht nur der Traum vom Leben auf der Insel, der Vladi angesteckt hatte, sondern auch der Traum vom großen Geld, den ihn sein Kaufmannsvater vererbt hatte. Er setzte sich fast jeden Tag in die Buchhandlung Dr. Götze an der Binnenalster (die er später aus Anhänglichkeit vor der Pleite rettete) und studierte Landkarten.

Cage, Branson, Ross - alle kaufen

Er begutachtete die Küsten: Welche sind zerklüftet, wo kann man leicht hinkommen? Welche Gebiete sind vom Klima her angenehm, wie steht es um die Insektenplage und Infrastruktur, steht die Insel überhaupt zum Verkauf oder ist es ein Pachtobjekt? "Von zehn Inseln sind neun in Staatsbesitz. Da kommt man nicht ran", sagt Vladi.

Um herauszufinden, wem das Objekt seiner Sehnsüchte gehörte, rief er in den Vereinigten Staaten Finanzämter an, weil diese die Grundsteuern erheben und dort jeder ohne große Hindernisse Auskünfte bekommen kann. In Frankreich suchte er über einen Notar, in Schottland schaute er ins Grundbuch. Wenn gar nichts half, fragte Vladi die Fischer vor Ort. Unterwegs war er mit einem klapprigen VW Käfer. Die ersten zehn Jahre als Inselmakler, so Vladi, seien sehr, sehr hart gewesen.

Heute zählen Hollywood-Stars wie Nicolas Cage, der Virgin-Gründer Richard Branson und Sängerin Diana Ross zu seinen Kunden. Über ihre Vorlieben und was sie für ihre Käufe bezahlen, darüber redet er nicht. Seine Diskretion zahlt sich aus. Vladi hat es geschafft. Er ist der weltweit größte und mächtigste Makler auf seinem Gebiet. Farhad Vladi ist der Herr der Inseln.

Wenn ein Ehepaar aus Florida eine Bahamas-Insel kaufen möchte, muss sie einen Umweg machen - und landet in Vladis Hamburger Büro mit den grauen Schubladenschränken aus Blech. Dann zieht Vladi eine Schublade heraus, nimmt eine Mappe mit dem Vermerk Bahamas in die Hand und präsentiert den Kunden eine Handvoll Lebensträume. Er sucht für seine Klienten so lange, bis sie angekommen sind, auf ihrer eigenen Insel, ihrer persönlichen Endstation Sehnsucht.

Vladi weiß, dass das Kaufen und Verkaufen von Inseln ein riskantes Geschäft ist. Er hat seine Dissertation über das Thema Spekulation geschrieben.

Einer von Vladis Kunden investiert sein Geld stets in sieben Inseln. Nach vier bis fünf Jahren, so Vladi, habe sich das Geld verdreifacht. "Inseln sind eine sehr gute Geldanlage. Mit zehn Prozent Rendite im Jahr kann man rechnen", sagt er. Doch wer mit Inseln handelt, geht natürlich Risiken ein. Das Meer kann die Insel überschwemmen. Und so weiter.

Vladi hat Spaß am Abenteuer, er ist neugierig, auch wenn es mal in die Irre geht. Lange Zeit führte er ein Leben auf Kosten reicher Kunden, die bereit waren für ihn zu zahlen, um die passende Insel zu finden. Vielleicht ist er deshalb so bemüht, den Eindruck zu zerstreuen, er mache nur Geschäfte mit Reichen. Es gebe auch Eilande für den Preis eines Kleinwagens, die günstigste koste 15.000 Euro. Das ist aber die Ausnahme. Auf einer einsamen Insel gönnen sich vor allem diejenigen Ruhe, die es sich leisten können, genug zu haben von der Großstadt, den überfüllten Stränden, den nervernden Miturlaubern. Inselbewohner suchen eine Auszeit von der Zivilisation. Animation haben sie nicht nötig, die Natur ist ihr Animateur.

Die Insel ist eine Ikone der Einsamkeit, das Sinnbild für absolute Ruhe, eine Oase des Müßiggangs. Für Vladi ist das ein heikler Punkt: Man kenne ja kaum jemanden, der freiwillig gar nichts tue.

Im puritanischen Amerika etwa kommt der Müßiggänger, der genießt, einem asozialen Verbrecher gleich. Einfach ruhig sein, damit tut sich auch Vladi selbst schwer. Er kann nicht, Tag für Tag, absolut nichts tun. "Herr Doktor Vladi ist ein Workaholic", erzählt einer seiner Mitarbeiter.

Neben seiner Firma und seiner jungen Familie hat Vladi eine neue Liebe entdeckt: historische Landkarten. Er sammelt sie und handelt damit. Zurzeit besitzt Vladi Kartenmaterial im Wert eines siebenstelligen Betrags. Das Geschäft mit den Karten läuft gut, er ist zufrieden. Einer, der den Inselmakler gut kennt sagt: "Wenn es kein Geld bringen würde, würde er es ganz sicher nicht machen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.282224
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.03.2008/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.