Innovation City:Wende zum Mitmachen

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Bottrop ist Pilotgebiet für den klimagerechten Stadtumbau. Aber wie bringt man Hauseigentümer dazu, ins Energiesparen zu investieren?

Von Stefan Weber

Die Sache liegt lange zurück. Aber Burkhard Drescher erzählt trotzdem immer mal wieder gerne, wie er als Oberbürgermeister von Oberhausen Mitte der Neunzigerjahre die Zeit ein wenig zurückdrehte, um seiner Stadt ein Stückchen mehr Zukunft zu geben: Indem er gegen viele Widerstände darauf drängte, dass die Ruhrgebietskommune ein neues Straßenbahnnetz konzipierte. Ausgerechnet Oberhausen, eine jener Städte, die den Schienenverkehr in den Sechzigerjahren Schritt für Schritt eingestellt hatten. Ein Fehler, wie Drescher fand. "Wenn Autofahrer an einer roten Ampel warten müssen und Straßenbahnen an ihnen vorbeiziehen, begreifen sie, dass es Sinn machen kann, umzusteigen. Das ist gut für die Stadt und gut für die Umwelt."

Querdenken, eigene Ideen entwickeln und dabei beharrlich bleiben. Wohl auch wegen dieser Eigenschaften hat der Initiativkreis Ruhr, ein Zusammenschluss von etwa 70 führenden Wirtschaftsunternehmen des Ruhrgebiets, Drescher 2011 eine Aufgabe übertragen, die verlangt, ausgetretene Pfade zu verlassen. Es ging darum, Lösungsansätze für das Leben in den Städten der Zukunft zu entwickeln. Und das nicht etwa am Reißbrett, mit Modellberechnungen und Hochglanzprospekten, sondern ganz praktisch. Am Beispiel einer Industriestadt sollte gezeigt werden, wie eine Kommune ihren Kohlendioxid-Ausstoß innerhalb von zehn Jahren halbieren kann. "Innovation City" haben sie das Projekt genannt. Das klingt nach Zukunft, passte aber zunächst so gar nicht zu der Stadt, die unter 53 Bewerbern als Modell für einen klimagerechten Umbau ausgesucht wurde: Bottrop. Eine der letzten typischen Ruhrpott-Kommunen, 120 000 Einwohner, lange Bergbau-Tradition. Seit mehr als 150 Jahren wird hier Kohle gefördert. Doch in diesem Herbst wird mit Prosper-Haniel die letzte Grube schließen. Schichtende für 5000 Bergleute.

Drescher sitzt in einem kleinen Konferenzraum der Innovation City Management GmbH (ICM) gleich gegenüber des Bottroper Bahnhofs. Er ist der Chef hier. Vorgesetzter eines mehr als 30-köpfigen Teams von Energie- und Immobilienspezialisten, deren Arbeit längst über Bottrop hinausgeht. Die Ruhrgebietsstadt hat die Laborphase verlassen, sie gilt als Blaupause für einen klimagerechten Stadtumbau - Vorbild und Ansporn für andere Kommunen im Ruhrgebiet, die bereits entsprechende Konzepte in Auftrag gegeben haben, auch außerhalb des Reviers. In Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und in Bayern, ja sogar im Ausland gibt es Interesse am Innovation-City-Konzept. Als im vergangenen November der UN-Klimagipfel in Bonn tagte, ließen sich viele Delegationen aus den USA, Russland und China in Bottrop zeigen, wie man es schaffen kann, den Ausstoß von Treibhausgas markant zu reduzieren. Zur "Halbzeit" der Projektphase 2015 war er 38 Prozent oder etwa 100 000 Tonnen CO2 niedriger als zu Beginn. Das Ziel, bis 2020 eine Reduktion um 50 Prozent zu schaffen, ist greifbar nahe.

An diesem Tag hat Drescher hat 35 Folien vorbereitet, um das Konzept Innovation City zu erklären. Aber eigentlich genügt dieser eine Satz, den er zu Beginn seines Vortrags zunächst eher beiläufig sagt, um zu begreifen, worum es geht: "Wer die Energiewende will, muss an der Basis ansetzen, bei den Bürgern, und nicht Ziele verordnen wie es die Politik in Berlin gerne macht."

Energiewende von unten, von Haus zu Haus, von Quartier zu Quartier - das ist der Ansatz der ICM. Das Pilotgebiet in Bottrop mit 70 000 Einwohnern und 12 500 Wohngebäuden wurde im ersten Schritt in sieben Quartiere eingeteilt. Dann ging es weiter ins Detail. In 18 Monaten analysierten die ICM-Mitarbeiter die sozialen, baulichen und energietechnischen Strukturen der Piloträume. Sie erstellten eine energetisch und soziodemografische Datenbasis, über die weder Stadtwerke noch Ingenieurbüros verfügen. Dazu gehörte, die Menschen in den Quartieren zu fragen, welche Wünsche und Handlungsmöglichkeiten sie rund um das Thema Energiesparen haben. Auf dieser Basis wurden individuelle Ideen und Maßnahmen zur Optimierung der Gebäude entwickelt - für Wohn- und Bürohäuser, Gewerbebetriebe, Schulen, Tankstellen.

Aber wie motiviert man Immobilieneigentümer, in die energetische Modernisierung zu investieren? Natürlich mit finanziellen Anreizen. Dafür ist es gut, viele Fördertöpfe zu haben, die auch für Einzelmaßnahmen wie etwa die Dämmung der Kellerdecke, neue Fenster oder die Verbesserung der Haustechnik Zuschüsse gewähren. Die Stadt Bottrop war kreativ, entwickelte eine spezielle Förderrichtlinie, die einen Zuschuss von bis zu 25 Prozent aus Mitteln der Städtebauförderung möglich machte.

Wichtiger aber als die absolute Höhe der Förderung sei ihre Abwicklung, sagt Drescher. Einfach und unbürokratisch müsse es zugehen, sonst schreckten Hauseigentümer zurück. Der Ansatz des Bundesbauministeriums, das nur bei maximalen Dämmwerten Gelder über die bundeseigene Förderbank KfW gewährt, steckt für ihn voller ideologischer Denkfehler: "Diese Messlatte ist für Sanierer viel zu hoch. Folglich lassen sie es ganz bleiben. Besser ist es, auch für kleinere Maßnahmen Förderimpulse zu geben. Denn auch die helfen, den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken."

Im Bottroper Modellgebiet kann jeder Hauseigentümer per Mausklick durch Eingabe seiner Adresse und der beabsichtigten Sanierungsvorhaben erfahren, ob und in welcher Höhe Fördergelder zur Verfügung stehen. Bei einer kostenlosen Erstberatung erhält er eine Liste mit qualifizierten Handwerkern, Architekten und Energieberatern vor Ort. Aufträge gehen bevorzugt an Industriepartner des ICM. Aber Drescher betont: "Wir sind keine Auftragsagentur für unsere Mitglieder."

Die ICM-Mitarbeiter haben bisher mit etwa 3000 Immobilienbesitzern Beratungsgespräche über eine energetische Modernisierung geführt. Mehr als die Hälfte von ihnen hat die Maßnahmen umgesetzt. Eine solche Quote ist einzigartig. Etwa 18 Prozent aller Wohngebäude im Pilotgebiet sind energetisch bereits auf Vordermann gebracht. Viel gewonnen ist, wenn es den Immobilien- und Klima-Experten gelingt, eine große Wohnungsgesellschaft wie zum Beispiel Vonovia, die im Revier große Bestände hat, zu überzeugen. Dann werden gleich mehrere Objekte oder gar ganze Häuserzüge in einem Quartier umgebaut - was wiederum andere motiviert, nachzuziehen. "Wir machen Eigentümern und Wohnungswirtschaft klar: Klimagerechter Stadtumbau ist in eurem Interesse. Ihr stabilisiert damit euer wirtschaftliches Eigentum und verbessert die Vermietbarkeit eurer Wohnungen", sagt Drescher. Und wer trägt die Kosten? ICM und Wohnungsgesellschaften betonen, dass kein Mieter nach einer Modernisierung höhere Warmmieten zahlen müsse. Zwar steige die Kaltmiete. Aber die niedrigeren Energiekosten sorgten dafür, dass die Belastung in der Summe gleich hoch bleibe.

Bottrop, der alten Bergbau-Stadt, tut es gut, Vorreiter zu sein für ein so wichtiges Thema wie dem klimagerechten Stadtumbau. Das hilft, das Image zu korrigieren - weg vom Bild einer Kommune, in der mit dem Ende der Kohleförderung bald vermeintlich viele Lichter ausgehen. "Innovation City" hat dazu beigetragen, dass sich hier viele junge Unternehmen der Energiewirtschaft angesiedelt haben. Das hat für Beschäftigung gesorgt. Aktuell weist Bottrop die niedrigste Arbeitslosenquote aller Ruhrgebietsstädte aus. Vielleicht geht der Aufschwung weiter. Das Modellprojekt wird zwar 2020 beendet sein. Aber Stadtväter und Wirtschaftsförderer hoffen, dass der Ruf, hier eine Klimawende von unten geschafft zu haben, noch lange nachhallen wird.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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