Inkassounternehmen:Drohen, einschüchtern, abzocken

Lesezeit: 3 min

Plötzlich ist da ein Brief, fordert jemand irre Beträge - und wissen viele Menschen nicht mehr, was sie machen sollen: Inkassounternehmen treiben immer häufiger und mit immer rabiateren Methoden zweifelhafte Forderungen ein. Verbraucherschützer sind empört - und verlangen Konsequenzen.

Daniela Kuhr

Das Schreiben, das Else Bachmann am 4. November erhält, beginnt höflich. "Sehr geehrte Frau Bachmann", heißt es dort. "Unser Mandant hat uns bevollmächtigt, die unten aufgeführte und gemahnte Forderung aus Ihrer telefonischen Anmeldung zum Dienstleistungsvertrag: 200 Gewinnspiele (..) einzuziehen." Der Name des Mandanten wird in Klammern angegeben. Zwar weiß Bachmann in dem Moment nicht, wovon die Rede ist, doch sie liest interessiert weiter.

"Die dubiosen Methoden von Inkassounternehmen haben sich mittlerweile zu einem Riesenproblem entwickelt." (Foto: dpa)

Nun aber wird der Ton in dem Schreiben zunehmend unfreundlich. Schließlich mündet er in der fett gedruckten Aufforderung, innerhalb der nächsten sieben Tage 108,40 Euro zu überweisen. Andernfalls, und spätestens hier lässt das Schreiben kein Missverständnis mehr zu, drohen: "Mahnbescheid, Vollstreckungsbescheid, Zwangsvollstreckung durch einen Gerichtsvollzieher, Pfändung Ihrer Bezüge, auch Arbeitslosengeld, Rente, Bankguthaben, Versicherungen usw.". Für den Fall der erfolglosen Zwangsvollstreckung wird gleich auch noch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und die Eintragung in Schuldnerverzeichnisse angekündigt. "Dadurch entstehen Ihnen natürlich weitere erhebliche Kosten, die Sie sich ersparen können", heißt es abschließend. Tja, wen wundert es: Else Bachmann (die in Wahrheit anders heißt) zahlte. Umgehend.

Zweifelhafte Verträge

Der Fall sei fast noch harmlos, stellt Christina Buchmüller fest, Referentin für Schulden und Insolvenz beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (Vzbv). Die Klagen über ein rabiates Vorgehen von Inkassobüros hätten in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. "Immer häufiger werden Verbraucher mit äußerst zweifelhaften Forderungen konfrontiert, die meist noch durch Phantasiekosten zusätzlich aufgebläht werden", so die Erfahrung der Verbraucherschützerin.

Um sich einen Überblick zu verschaffen, hat Buchmüller im Mai die Beratungsstellen der Verbraucherzentralen gebeten, Fälle von Betroffenen zu melden. Die Resonanz war überwältigend. "Innerhalb kürzester Zeit hatte ich 500 beisammen", sagt sie. Die Verbraucherzentralen sammeln noch bis 30. September gezielt weitere Fälle, um sie dann systematisch auszuwerten. Für Buchmüller steht jedoch jetzt bereits fest: "Die dubiosen Methoden von Inkassounternehmen haben sich mittlerweile zu einem Riesenproblem entwickelt."

Oft geht es dabei um angebliche Verträge, die der Verbraucher am Telefon oder im Internet abgeschlossen haben soll, Gewinnspiele, Abos oder Mitgliedschaften. "Doch selbst wenn die Forderung unzweifelhaft besteht, gehen Inkassounternehmen häufig unseriös vor", sagt Buchmüller. So addierten sie beispielsweise noch diverse Aufwandsposten dazu, die niemand nachvollziehen könne.

In einem der SZ vorliegenden Fall lag die Forderung ursprünglich bei 34,45 Euro - am Ende aber bei 880,18 Euro. Auf drei DIN-A4-Seiten wurde dem Schuldner detailliert aufgelistet, wofür die zusätzlichen Kosten angefallen sein sollen, zum Beispiel für "vorl. Zahlungsverb. GV UGV" oder für "KontoFK. 3/2006" oder für "VA mit EV Antrag", oder es handelt sich um Zinsen, die mal 5,12 Prozent, mal 13,25 Prozent und mal 6,62 Prozent betragen. "Genau das ist das Problem", sagt Buchmüller. "Der normale Mensch versteht kein Wort, kann die Rechnung daher auch nicht überprüfen, wird durch so eine Auflistung aber enorm eingeschüchtert."

Der FDP-Verbraucherschutzexperte Erik Schweickert hat das Thema bereits auf der Agenda. In einem Vier-Punkte-Papier, das er nach der Sommerpause von seiner Fraktion beschließen lassen will, betont er zwar, dass die Mehrheit der gut 700 in Deutschland tätigen Inkassounternehmen seriös arbeitet, aber längst nicht alle. Auch ihm liegen mehrere Fälle von Betroffenen vor. Daher weiß er, dass es nicht nur um Opfer von Telefon- oder Internetabzocke geht. "Auch Senioren werden systematisch durch schwarze Schafe der Inkassobranche belästigt und eingeschüchtert, nachdem man ihre Adressen durch Kaffeefahrten oder simplen Adresshandel akquiriert hat", heißt es in dem Papier. Oft würden die Verbraucher "vor der zum Teil massiven Drohkulisse" kapitulieren.

Schweickert fordert daher unter anderem, die Gebührensätze für Inkassounternehmen "auf einem angemessenen Niveau" festzuschreiben. Zudem sollen Zinsberechnung "in Bezug auf sämtliche Forderungen transparent und nachvollziehbar" dargestellt werden müssen. Dass diese Punkte geregelt werden, ist auch dem Vzbv wichtig. Vor allem aber fordern die Verbraucherschützer klare Regeln zum Inhalt von Zahlungsaufforderungen: "Das Schreiben des Inkassounternehmens muss alle Informationen enthalten, die der Verbraucher benötigt, um beurteilen zu können, ob er tatsächlich zur Zahlung verpflichtet ist", sagt Buchmüller. "Also wann genau soll er mit wem worüber und in welcher Form einen Vertrag geschlossen haben?" Für die Verbraucherschützerin ist es ein Unding, dass der gesamte Inkasso-Bereich bislang noch "ein nahezu rechtsfreier Raum" ist. "Und das, obwohl die Inkassounternehmen laut ihrem Branchenverband BDIU Forderungen im Wert von 24 Milliarden Euro halten."

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will das Thema nun aufgreifen. "Wir prüfen verschiedene Maßnahmen, um unlautere Inkasso-Praktiken einzudämmen", sagt eine Ministeriumssprecherin.

© SZ vom 20.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: