Inkasso:Verbraucherschützer: Mehr als die Hälfte der Mahnbriefe unberechtigt

Firmen dürfen Mahngebühren verlangen, aber nicht unbegrenzt hoch.

Mahnkosten sind erlaubt - aber nicht unbegrenzt.

(Foto: dpa)
  • Die Verbraucherschutzzentralen haben Inkassoschreiben ausgewertet. Mehr als die Hälfte der Forderungen seien unberechtigt.
  • Stichproben ergeben, dass die Aufsichtsbehörden nicht gegen unseriöse Firmen vorgehen.

Von Kristiana Ludwig

Die Eskalation kommt im Telegrammstil. "+++GERICHT STEHT BEVOR+++", schreibt die Firma Diagonal Inkasso GmbH an Werner Leucht: "+++ZAHLEN SIE SOFORT NUR MIT DIESEM BELEG+++". Leucht trägt dunkle Rollkragenpullover und eine silberne Armbanduhr. Sein Beruf ist es, das Vermögen von Münchner Mittelständlern in Fonds zu investieren. Von seinem Innenstadtbüro aus gibt er für sie einige Millionen im Jahr aus, seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Leucht kennt sich mit Rechnungen aus. Aber diese hier ist etwas Besonderes: sie beträgt exakt sechs Cent - zuzüglich 134 Euro und 80 Cent Mahngebühren.

Seit rund eineinhalb Jahren bekommt Werner Leucht wegen dieser Forderung Mahnbriefe. Sein Vater starb im Jahr 2010. Kurz vor seinem Tod, steht in den Schreiben, habe er angeblich sechs Cent zu wenig an die Linecall Telecom überwiesen. Leucht sagt, er habe die Telefonrechnungen seines Vaters immer beglichen. Dabei bleibt er, auch wenn ihm fünf Jahre später ein Inkassounternehmen mit der Pfändung seines Besitzes droht. In den Briefen sieht er vielmehr eine Masche, sagt er: "Ich bin selbst Unternehmer. Ich laufe doch nicht sechs Cent hinterher."

Auch für die Verbraucherzentrale sind die Briefe an Werner Leucht typisch für das Verhalten unseriöser Inkassounternehmen und für ihre überzogenen Forderungen. Von bundesweit knapp 1500 Beschwerden über Inkassoschreiben, die zwischen Mai und August in 15 Verbraucherzentralen eingingen, beurteilten sie mehr als die Hälfte der Forderungen als unberechtigt. Jedes fünfte Mal handele es sich dabei um angebliche Außenstände von Telekommunikationsunternehmen, sagen die Verbraucherschützer. Andere dubiose Gläubiger seien Gewinnspielanbieter, Versandhändler, E-Mail-Dienste, Dating-Portale und Abo-Fallen im Netz.

Bertelsmann-Töchter fallen besonders auf

Zwar schrieben registrierte Unternehmen überwiegend korrekte Angaben zu den Kosten und Gebühren in ihre Mahnungen, die Aufstellungen seien allerdings für 68 Prozent der Verbraucher nicht verständlich. Zudem seien die Gebühren der Firmen "oft unangemessen hoch". Im Schnitt steige die Forderung durch das Einschalten eines Inkassodienstleisters um 26 Prozent. Gerade bei Bagatellforderungen wie bei Werner Leucht würden "Kosten unverhältnismäßig in die Höhe getrieben". Mehrfach auffällig wurden dabei gleich zwei Tochterfirmen des Bertelsmann-Konzerns: Infoscore Forderungsmanagement und BFS Risk & Collection.

In einem Drittel der Briefe setzten die Firmen die Verbraucher unter Druck: Gerichtsverfahren, Zwangsvollstreckung, Strafanzeige - "Drohgebärden" nennen das die Verbraucherschützer. Wer sich schließlich auf eine Ratenzahlung einlasse, unterschreibe meist auch gleich ein Schuldeingeständnis. So machten die Firmen es Verbrauchern unmöglich, unberechtigte Forderungen gerichtlich anzufechten.

Aufsichtsbehörden reagieren nicht

Eigentlich hatte die Bundesregierung vor zwei Jahren ein Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken erlassen, um gerade den nicht registrierten Firmen beizukommen. Die Verbraucherschutzzentrale kritisiert jedoch, dass die bundesweit 58 Amts- und Landgerichte, die für die Überwachung von Inkassounternehmen zuständig sind, "die neu eingeführten Handlungsmöglichkeiten regelmäßig nicht gesehen und nicht genutzt" hätten. Die Fälle, die ihnen die Verbraucherschützer stichprobenartig vorlegten, leiteten die Aufsichtsbehörden zwar meist an Staatsanwaltschaften weiter - trotzdem blieben die Beschwerden folgenlos: Weder die Gerichte noch die Ermittler hätten einen einzigen Betrug beanstandet.

Es wurden "keine Maßnahmen getroffen, die verhindert hätten, dass nicht registrierte Inkassodienstleister ihren Betrieb fortsetzen", bemängelt die Verbraucherschutzzentrale in ihrer Auswertung. Sie fordert deshalb eine effektivere Aufsicht von der Politik. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat angekündigt, das Gesetz im kommenden Jahr zu überprüfen. "Gegenstand der für 2016 geplanten Evaluation werden auch die Regelungen zur Aufsicht über Inkassounternehmen sein", sagte sein Sprecher.

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