Immobilienpreise:Bis die Blase platzt

Immobilienpreise: Hoch und teuer: In Shanghai sind die Immobilienpreise allein im vergangenen Jahr um 45 Prozent gestiegen.

Hoch und teuer: In Shanghai sind die Immobilienpreise allein im vergangenen Jahr um 45 Prozent gestiegen.

(Foto: Johannes Eisele/AFP)

Selbst ein Apartment in Peking oder Shanghai kostet mittlerweile ein Vermögen. Käufer wetten darauf, dass die Preise in China weiter steigen. Wann kommt es zum Crash?

Von Christoph Giesen

Als Treffpunkt hat sie eine Austernbar in der französischen Konzession ausgesucht, dem alten Kolonialviertel Shanghais. Das Paar Austern kostet hier 55 Yuan (etwa sieben Euro) - Direktimport aus der Bretagne. Man dürfe alles schreiben, sagt sie, nur ihren richtigen Namen bitte nicht, denn noch habe sie den Kaufvertrag für ihre erste Wohnung nicht unterschrieben. Nennen wir sie also Wang Lu.

Sie ist 35 Jahre alt und arbeitet für ein Joint Venture, das ein amerikanisches Unternehmen mit einem Staatskonzern eingegangen ist. Seit Kurzem leitet sie dort den Einkauf. Große Mengen Aluminium und Stahl bestellt sie. Oft reist sie in die Vereinigten Staaten oder nach Europa, um mit Lieferanten zu verhandeln. Ihr Gehalt ist sehr ordentlich, es geht ihr gut, sie isst Austern. Und doch kann sie sich eine Wohnung in ihrer Heimatstadt Shanghai kaum leisten. Sie lebt bei ihren Eltern. Und das wird sich so schnell nicht ändern, auch dann nicht, wenn sie den Zuschlag für die neue Wohnung bekommen sollte. Der normale Wahnsinn in China.

In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise in den großen Städten der Volksrepublik massiv in die Höhe geschnellt. In Peking betrug der Anstieg im vergangenen Jahr 25 Prozent, in Shanghai waren es 45 Prozent und in Shenzhen, im Süden Chinas, gar 55 Prozent.

60 282 Yuan - so viel kostet inzwischen in Peking im Schnitt ein Quadratmeter - etwa 7700 Euro. Der durchschnittliche Lohn in Peking beträgt 7706 Yuan pro Monat. Acht Monate Arbeit für einen Quadratmeter Eigenheim.

Immobilien in China werden für 70 Jahre verpachtet - was danach geschieht, weiß niemand

Um sich eine Stadt wie Peking überhaupt noch leisten zu können, müssen die meisten weit weg vom Zentrum wohnen, da sind die Mieten noch bezahlbar. Über hundert Minuten dauert deshalb in Chinas Hauptstadt die durchschnittliche Anreise zum Arbeitsplatz. In keiner Stadt der Welt wird länger gependelt.

3,5 Millionen Yuan (knapp 450 000 Euro) soll Wang Lu für ihre Wohnung in Shanghai zahlen. Von der Austern-Bar sind es 15 Minuten mit dem Taxi nach Jing'an. Die Wohnung liegt in einem dieser vielen Hochhäuser, nicht besonders schön, aber zentral. 15. Stock. 40 Quadratmeter sind es - allerdings nach chinesischer Kalkulation. Und das bedeutet, die Mauern werden eingerechnet, dazu noch anteilig die Flächen für die Flure und die Fahrstühle. Was bleibt, ist nicht mehr als ein Zimmer. 35 Prozent des Kaufpreises muss sie anzahlen, um einen Kredit bei einer Bank zu bekommen. Für 6000 Yuan möchte sie das Appartement später einmal vermieten. "So viel kostet die Nachbarwohnung."

Sie zieht ihr Smartphone hervor und öffnet die App einer Immobilienfirma. "Wenn ich die Preise sehe, hätte ich am liebsten schon vor vier oder fünf Jahren gekauft. Damals fehlte mir aber das Geld für die Anzahlung." Um die Nachfrage zu dämpfen, müssen Erstkäufer in Peking oder Shanghai mindestens 35 Prozent Eigenkapital vorweisen. Wer schon eine Wohnung hat und eine zweite erwerben möchte, muss sogar 60 Prozent anzahlen. Und nicht jeder darf kaufen.

Berechtigt in Shanghai und Peking sind nur Bürger der jeweiligen Stadt - dieses Recht wird gewöhnlich vererbt. Sind die Eltern Shanghaier, ist auch das Kind Shanghaier. Egal wo es geboren wurde. Die andere Möglichkeit: Man muss mindestens fünf Jahre lang Einkommenssteuer gezahlt haben, bevor man etwa in Peking kaufen darf. Trotzdem ist die Nachfrage ungebrochen.

Wang Lu tippt auf den Taschenrechner auf ihrem Smartphone: "Knapp 50 Jahre muss ich warten bis ich die Wohnung durch die Mieteinnahmen abbezahlt habe", rechnet sie aus." "Ein sehr guter Wert", sagt sie. In der Tat.

In Shanghai werden ganz selbstverständlich winzige Zwei-Zimmerwohnungen für acht Millionen Yuan angeboten. Die zu erwartende Miete: 7000 bis 8000 Yuan im Monat. Statistisch bräuchte man also tausend Monate, um die Wohnung abzubezahlen - 83 Jahre. Und das, obwohl in China niemand eine Wohnung offiziell besitzen darf, das Bauland gehört dem Staat. China ist schließlich ein sozialistisches Land. Seit der Öffnungspolitik vor knapp 40 Jahren werden Immobilien lediglich für 70 Jahre verpachtet.

70 Jahre besitzen, aber 83 Jahre zahlen? Mit Mathematik lässt sich das, was in Chinas Metropolen gerade passiert nicht mehr fassen. Zudem ist der Leerstand gewaltig.

Offizielle Zahlen gibt es dazu nicht. Anhaltspunkte liefert die alljährliche Vermögensstudie, die eine Universität in Westchina mit Hunderten Freiwilligen erstellt. Befragt werden mehr als 40 000 Haushalte. Wie viele Schweine hat ein Bauer? Wie viele Autos leistet sich eine Familie? Gibt es ein Aktiendepot? Festgeldkonto? Juwelen? Und auch der Immobilienbesitz wird abgefragt.

Alle Versuche der Regierung, den Preisanstieg zu dämpfen, sind bisher gescheitert

Die überraschende Erkenntnis der Studie war, dass die Leerstandsquote knapp 20 Prozent beträgt, und das in einem Land, dessen Immobilienmarkt vollkommen entfesselt ist. In deren Städten längst Preise wie in London, Paris, New York aufgerufen werden.

Kaum hatten die Wissenschaftler die Ergebnisse veröffentlicht, regte sich Protest. Beamte, aber auch Banker und Makler, kritisierten die Befragung heftig. Ihre Rechnung ging so: Zwischen 2000 und 2010 seien zehn Milliarden Quadratmeter Wohnraum in den Städten geschaffen und drei Milliarden Quadratmeter abgerissen worden. Netto also sieben Milliarden Quadratmeter mehr Wohnfläche. Zudem seien im selben Zeitraum 70 Millionen Haushalte vom Land in die Städte gezogen. Das ergibt pro Familie 100 Quadratmeter nach chinesischer Berechnung - durchaus realistisch also. Wie erklärt sich dann der Leerstand?

Die Forscher schauten sich die Daten noch einmal an. Das Problem, stellte sich bald heraus, sind die 70 Millionen Haushalte. Nur etwa die Hälfte von ihnen war tatsächlich umgezogen. Gut 35 Millionen Familien blieben einfach in ihren Wohnungen und wurden eingemeindet. Aus Land wurde Stadt. Effektiv wurden 200 Quadratmeter pro Haushalt gebaut. Die Daten stimmten. Eine ganze Branche aber hat seit Jahren an die falschen Zahlen geglaubt und tut es noch immer. Auch Wang Lu.

"Eigentlich sind mir die Mieteinnahmen egal", sagt sie. "Mein Plan ist es, die Wohnung drei Jahre zu halten. Hoffentlich steigt der Wert dann noch einmal um eine Million Yuan." Millionen Chinesen denken, hoffen, ja bangen genauso. Aber ist das nicht längst eine Blase? "Natürlich ist es eine Blase", sagt Wang Lu, "trotzdem bin ich mir wie die meisten Chinesen sicher, dass die Regierung sie nicht platzen lassen wird."

Vor zwei Jahren, als die Börsen in Shanghai und Shenzhen abschmierten, dachten das auch die meisten Aktionäre. Im ersten Halbjahr 2015 legten die Wertpapieren an den Börsen um sagenhafte 150 Prozent zu. Die Parteipresse trommelte. Immer mehr Chinesen investierten. Dann kam der jähe Absturz. Und die Führung in Peking versuchte ihn aufzuhalten, mit allen Mitteln. Sie ließ etliche Milliarden in den Markt pumpen, ordnete Handelsverbote an und sperrte Fondsmanager als vermeintliche Sündenböcke ein. Vergeblich.

Auch die mächtige Kommunistische Partei Chinas kann kein Vertrauen erzwingen. Das ist die Erkenntnis. Wie lange trauen die Chinesen den astronomischen Preise also noch? Wie lange finden sich noch mehr Leute, die lieber kaufen wollen, statt zu verkaufen? "Ja natürlich, habe ich gesehen, was an der Börse passiert ist, aber was bleibt mir anderes übrig?", fragt Wang Lu "Ich habe jetzt die Anzahlung für den Kredit zusammen." Und eine Alternative zum Immobilienmarkt gibt es für die meisten Chinesen nicht.

Auf den Sparkonten ist die Rendite gering, die Staatsbanken halten die Zinsen klein. Vom Aktienmarkt haben sich viele nach dem Crash zurückgezogen. Und wegen der strikten Devisenkontrollen dürfen Chinesen nicht mehr als 50 000 Dollar pro Jahr ins Ausland transferieren. Der Wahnsinn in Chinas Städten geht also erst einmal weiter.

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