Immobilienbranche in London:Eisberg-Haus voraus

Inside A Luxury Residential Property In Kensington As Prices Rise

Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt in Londoner Kellern: zum Beispiel ein geräumiges Privatkino.

(Foto: Jason Alden/Bloomberg)

Weil Hausbesitzer in vielen Vierteln Londons nicht in die Höhe bauen dürfen, wagen sie sich in die Unterwelt. Das bedeutet Lärm, Schutt und mögliche Umweltrisiken. Aber wo sollen Tanzsaal und Bowlingbahn sonst hin?

Von Björn Finke, London

Die Nachbarn waren nicht amüsiert. Die Fassaden ihrer Millionen Pfund teuren stuckverzierten Häuser sackten ab, nicht tief, aber tief genug, dass die Türen in den verzogenen Rahmen einklemmten. In Wänden sprangen Risse auf. Und das alles nur, weil ein neu zugezogener Bewohner ihrer edlen Straße Palace Gardens Terrace einen Tobe-Raum für seine vier Kinder sowie ein Gästezimmer brauchte.

Die Straße befindet sich in Londons Reichenviertel Kensington, fünf Minuten entfernt vom Kensington Palace, wo der kleine Prinz George mit seinen Eltern Kate und William lebt. Die Planungsvorschriften in Großbritanniens Hauptstadt sind streng - darum konnte der platzhungrige Zugezogene in dieser Straße voller Häuser aus viktorianischen Zeiten, also aus dem 19. Jahrhundert, nicht einfach eine Etage oben auf sein Heim draufsetzen oder den Garten zubauen. Er musste in die Tiefe gehen, musste den Keller erweitern. Das hatte unerwünschte Nebenwirkungen.

Nicht große, sondern riesige Erweiterungen

Stephen Merritt kennt diese Geschichte. "Einige Anbieter in der Branche machen leider keinen sehr guten Job", sagt der Chef von London Basement, dem größten Spezialisten für aufwendige Kellerausbauten in der Stadt. "Seit der Jahrtausendwende boomt das Geschäft mit großen Erweiterungen. Das hat viele Firmen angelockt, von denen manche schlampig arbeiten." In einigen Fällen ist der Begriff große Erweiterung untertrieben, riesig wäre passender. Da erstrecken sich die neu gebauten Keller über mehrere Stockwerke, beherbergen den Pool, den Heimkinosaal, eine Bowling-Bahn oder eine weitläufige Garage für die Ferrari-Sammlung.

Iceberg Homes - Eisberg-Häuser - nennen die Londoner Anwesen, bei denen der Keller nach der mehrstöckigen Erweiterung größer ist als das Haus über der Oberfläche. Was von außen zu sehen ist, stellt dann wirklich nur noch die Spitze des Eisbergs dar. Über diese Eisberg-Häuser ist nun eine Debatte entbrannt; die Gemeindeverwaltungen besonders betroffener Stadtteile wie Chelsea und Kensington oder Westminster erwägen, sehr große Ausbauten zu verbieten. Nachbarn fürchten den Baulärm und Schäden an den Fundamenten, Umweltschützer prophezeien Überflutungen, wenn direkt unter den Gärten gigantische Bunker verborgen sind, die das Versickern von Regenwasser verhindern.

Die Torschlusspanik der Buddel-Branche

Bislang haben die Londoner Stadtteil-Regierungen die verschärften Regeln noch nicht erlassen, aber die Aussicht, bald vielleicht nicht mehr endlos in die Tiefe buddeln zu dürfen, schürt Torschlusspanik. Allein in Chelsea und Kensington kletterte die Zahl der Bauanträge für Keller 2013 um die Hälfte auf 450. Das beschert London-Basement-Chef Merritt und seinen Konkurrenten viel Umsatz. Doch so beeindruckend manche Riesenkeller sind, so unspektakulär ist die Zentrale von London Basement. Ein dreigeschossiger grauer Klotz in einem kleinen Gewerbegebiet in Isleworth, im Westen von London. Alle paar Minuten donnert ein Flieger vorbei, der Flughafen Heathrow ist ganz in der Nähe.

Im ersten Stock empfängt Merritt in seinem Besprechungsraum. Ein langer brauner Tisch, an den Wänden Baupläne und Fotos von Baustellen und fertigen Kellern. Und eine riesige Karte von London, auf der Klebepunkte markieren, wo Merritts Firma in die Tiefe gegangen ist. Die Punkte ballen sich in den teuren und begehrten Vierteln wie Chelsea und Kensington, Fulham und Westminster. "Aber wir sehen über die Jahre, wie sich die Punkte langsam ausbreiten", sagt der Manager. Untergeschoss-Erweiterungen seien in immer mehr Stadtteilen gefragt.

Die Punkte auf seiner Riesenkarte spiegeln die Entwicklung der Hauspreise wider. Ein Kellerausbau ist teuer, Merritt nennt umgerechnet 6800 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche als Richtwert. Wer in einer billigen Gegend wohnt, wo die Hauspreise diesen Betrag nicht erreichen, ruft nicht bei London Basement an, wenn er mehr Platz für die Kinder braucht. Er verkauft sein altes Haus und zieht einfach in ein größeres in der Nachbarschaft. Doch die Immobilienpreise in London haben rasant zugelegt. Deswegen leben immer mehr Menschen in Vierteln, wo Hauskäufer Quadratmeter-Preise zahlen, die weit über den 6800 Euro Baukosten für einen Quadratmeter Keller liegen. Da lohnt sich der Ausbau in der Tiefe - allein schon, um die Nutzfläche und damit den Preis der eigenen Immobilie zu steigern.

Planungsregeln verhinden den Drang nach oben

In die Höhe zu gehen, also ein weiteres Stockwerk aufs Dach zu setzen, verhindern meist die Planungsregeln in den vielen schönen und beliebten Vierteln aus georgianischer, viktorianischer oder edwardischer Zeit. Angenehm für London Basement: Die Firma buddelt mit 110 Angestellten 30 bis 40 Keller im Jahr aus, der Umsatz betrug zuletzt 15 Millionen Euro, ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Das Unternehmen gräbt nur in London - "im Rest des Landes sind ja die Hauspreise nicht so stark gestiegen", erläutert Ober-Maulwurf Merritt. Im Durchschnitt schafften die Projekte 70 Quadratmeter Nutzfläche, sagt er. Der größte Keller der Firma lag bei 370 Quadratmetern, etwas weniger als anderthalb Tennisplätze. Eine halbe Million Euro zahlen Kunden im Schnitt an den Betrieb, manche investieren dreimal so viel.

Familienzuwachs ist der häufigste Grund

Ein häufiger Grund für Anfragen sei, dass die Familie größer geworden ist, sagt der Chef. In das erweiterte Untergeschoss kommt dann vielleicht ein Spielzimmer für die Kinder. Aber auch für Weinkeller, Pools, Heimkino-Räume oder einen Golfsimulator schuf London Basement bereits Platz. Und für ein Basketballfeld. Merritt berichtet von einem Kunden, der seine unterirdische Schwimmhalle auch als Tanzsaal nutzt: Der Pool-Boden lässt sich hoch- und runterfahren. Ist der Boden ganz oben, auf Höhe des Beckenrands, ergibt sich eine wundervolle Tanzfläche. Wie es sich für einen gescheiten Tanzsaal gehört, ist die Decke 3,50 Meter hoch. Das Becken ist zwei Meter tief - macht zusammen eine Kellerhöhe von 5,50 Meter. Da musste die Baufirma ganz schön viel wegbuddeln.

Um die Erde aus den Untergeschossen zur Straße zu transportieren, nutzen die Unternehmen Förderbänder. Für ein richtig großes Projekt, das drei neue Kellergeschosse schafft, können durchaus 1500 Lkw-Fuhren Aushub nötig sein, rechnet Merritt vor. Die Laster rumpeln dann durch die engen Sträßchen in den feinsten Vierteln der Stadt. Kein Wunder, dass Nachbarn auf Eisberg-Häuser nicht gut zu sprechen sind. Auf der anderen Seite hat Merritt festgestellt, dass sich das Buddelfieber wie ein Virus von Hausbesitzer zu Hausbesitzer verbreiten kann: "In einer Straße in Chelsea haben wir in einem Haus gebaut. Als der Keller fertig war und der Kunde ihn den Nachbarn gezeigt hat, wollten ein paar von denen auf einmal auch neue Keller haben", sagt er. Das Graben geht also weiter.

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