Immobilienboom:Wer wohnen will, muss leiden

Menschenschlangen bis auf die Straße, Stapel an Interessentenbögen und ein fünfminütiger Schnelldurchlauf durch alle Zimmer: Wer auf der Suche nach einer Immobilie ist, braucht gute Nerven - egal ob Haus oder Apartment, ob zum Kauf oder zur Miete. Menschen aus verschiedenen Städten Deutschlands erzählen, wie es ihnen ergangen ist.

Pia Ratzesberger

In den deutschen Städten boomt der Immobilienmarkt: Die Mietpreise steigen und steigen, es mangelt an Wohnraum. Vier Jahre lang hat eine Architektin in Hamburg nach einer Wohnung gesucht, ein Jurist aus Erlangen hat ein Grundstück inklusive Mieter ersteigert und eine Studentin in Frankfurt täuscht für ihre Vermieterin eine Beziehung vor. Ein Einblick in den Wahnsinn der Immobilienwelt.

Jurist, 37 Jahre, Erlangen:

2014 werde ich mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern endlich in unser eigenes Haus ziehen - mit vier Jahren Vorlaufzeit. Schon vor zwei Jahren hatten wir angefangen Zeitungen und Internet nach Anzeigen zu durchforsten, doch letztendlich sind wir bei einem Sommerspaziergang fündig geworden. Beim Gespräch über den Gartenzaun erzählte uns ein Mann von einem Grundstück in Erlangen, das die Stadt versteigert. Darauf stehe ein Einfamilienhaus aus den 50er Jahren, der Mietvertrag der Bewohner laufe 2012 aus, hieß es. Bei der Besichtigung war uns gleich klar, dass uns das Grundstück gefällt - wir jedoch die Schrottimmobilie auf jeden Fall abreißen und neu bauen müssen. Ungefähr neunzig Leute haben bei der Stadt anschließend Gebote abgegeben.

Unser Glück war, dass der Bebauungsplan für das Grundstück nur ein Einfamilienhaus vorsieht - sonst hätten sich den Grund sicher sofort Bauunternehmen gekrallt. Alle, die in die engere Auswahl kamen, ließen sich letztendlich von dem noch laufenden Mietvertrag abschrecken. "Wer weiß, ob die dann wirklich gehen, womöglich muss man die noch raus klagen", hörte ich oft. Doch das könnte ich im Notfall ja selber machen, somit ließen wir uns nicht verunsichern. Das Grundstück war wirklich ein Glücksgriff, der Preis lag deutlich unter dem auf dem Markt üblichen. Ab und an schauen wir immer noch aus Neugierde die Anzeigen durch. Das ist jedes Mal eine Bestätigung, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Für zwei Kinder ist unsere derzeitige Drei-Zimmer-Wohnung mit 74 Quadratmetern einfach zu klein. Wenn wir im Frühjahr 2014 endlich einziehen, werden wir mehr als doppelt so viel Wohnfläche haben.

Studentin, 22 Jahre, Frankfurt am Main:

Kurz vor Semesterbeginn im Oktober habe ich angefangen, mich nach einem WG-Zimmer umzusehen. Die Angebote waren recht spärlich - schon nach zwei Wochen habe ich beschlossen lieber gleich eine Wohnung zu mieten. Ein Freund aus dem Studium und ich machten uns gemeinsam auf die Suche. Zwei bis drei Zimmer, für jeden nicht mehr als 400 Euro Miete - das waren unsere Vorstellungen. Doch wir merkten schnell, dass wir als Studenten gegenüber den Frankfurter Großverdienern mit Aktentasche und Anzug keine Chance hatten. Bei einer Wohnungsbaugesellschaft meinte die Vermittlerin nur trocken: "Wenn sie kein eigenes Einkommen haben, müssen sie den Interessentenbogen gar nicht erst ausfüllen".

Auch wenn ich den Maklern versucht habe klar zu machen, dass wir keine eskalierende Party-WG gründen wollen und unsere Eltern für uns bürgen - alle ließen durchblicken, dass Studenten nicht gerne gesehen sind. Letztendlich blieb uns nun keine andere Wahl, als uns als Pärchen auszugeben. Die Idee entstand aus einem Missverständnis heraus: Der Vormieter dachte, mein Kommilitone und ich wären bereits ein Paar. Am Telefon meinte er, dass er sich deswegen für uns bei der Vermieterin einsetzen würde. Als der Mann nachhakte: "Sie sind doch ein Pärchen, oder?", schaltete ich schnell und bejahte einfach. Schließlich haben wir den Vertrag unterschrieben: Um die 600 Euro kalt, plus Nebenkosten. Die getrennten Betten wird ja wohl keiner kontrollieren."

"Absagen, wieder und wieder"

Journalistin, 33 Jahre, München:

Eigentlich wollten mein Mann und ich eine zentrale Stadtwohnung. Das war vor drei Jahren. Ich war gerade schwanger und die Vermieter signalisierten uns sehr deutlich: "Wir wollen kein Kind in unserem schönen Altbau". Also haben wir vor einem Jahr mit der Suche nach einem Haus begonnen. Obwohl wir beide Vollverdiener sind, war es mit einem Preislimit von 450.000 Euro extrem schwierig, etwas Passendes zu finden - in München gibt es eben viele sehr reiche Leute, die keine Grenze nach oben haben. Außerdem wollten wir unbedingt in den Münchner Osten ziehen und in keinen Neubau.

Letztendlich haben wir über das Jahr nur um die fünf Immobilien besichtigt, im August hat es dann geklappt. Einen Tag lang stand das Angebot für die Doppelhaushälfte mit Garten im Internet, 120 andere hatten sich beworben. Die letzten fünf mussten dem Makler ein persönliches Angebot schicken - wir haben nun also 430.000 Euro statt den im Angebot stehenden 420.000 Euro gezahlt. Unser dreijähriger Sohn war diesmal Pluspunkt statt Knock-Out-Kriterium, Familien werden bei Häusern wohl lieber genommen als bei Wohnungen. Ein gewisses Risiko war aber dabei: Schließlich wurden wir bei der Besichtigung mit zwanzig anderen nur einmal kurz durch das Haus geschleust - Zeit für Nachfragen oder Mängelprüfung blieb da nicht. Im Nachhinein würde ich das nicht nochmal machen. Aber in München geht es eben nicht anders: "Take it or leave it", heißt es hier.

Studentin, 30 Jahre, Leipzig:

Seit vielen Jahren wohne ich in Leipzig. Wohnungen gibt es in Hülle und Fülle, die Mieten sind günstig. Gründerzeitbauten für alle. Doch in der Stadt hat sich viel verändert. Nach der Trennung von meinem Freund musste ich für mich und meinen Sohn eine neue Bleibe suchen. Ich hätte nie gedacht, dass das in Leipzig inzwischen so ein Problem sein könnte. Ich arbeite viel und studiere an der Uni in Halle, deshalb muss ich oft zum Hauptbahnhof. Der Kindergarten von meinem Sohn liegt ebenfalls im Zentrum. Die Wohnung durfte also nicht zu weit außerhalb liegen. Vier Monate lang habe ich täglich viele Stunden Immobilienbörsen studiert, jede Woche mindestens zwei Wohnungen besichtigt. Ich wusste, dass ich durch mein geringes Einkommen und mein kleines Kind schlechte Karten auf dem Markt hatte. Ich bekam Absagen, wieder und wieder. Schließlich habe ich über eine Privatanzeige eine Wohnung gefunden, zum Glück ohne Provision. Maklergebühren sind neu in Leipzig. So etwas war noch vor einigen Jahren undenkbar. Die hohen Preise und die Wohnungsknappheit in den begehrten Stadtvierteln auch.

Autorin, 26 Jahre, München:

Ich suche seit drei Monaten eine bezahlbare Wohnung in München - es ist eine Katastrophe. Als ich hierher zog, war ich auf der Suche nach einem hellen Appartement mit separater Küche, zwischen 30 und 40 Quadratmetern, gerne mit Balkon. Ausgeben wollte ich bis zu 650 Euro warm, was mir realistisch erschien. Mittlerweile habe ich meine Ansprüche reduziert: Ich suche eine Wohnung, gerne mit Fenstern und nicht unbedingt hinter dem Flughafen. Fast jeden zweiten Abend verbringe ich mit Wohnungsbesichtigungen und lasse mich von neugierigen Maklern zu meinem Gehalt ("So wenig. Da brauchen wir aber eine Elternbürgschaft."), meinem Liebesleben ("Sind Sie in einer festen Beziehung? Planen Sie in den nächsten zwei Jahren zu heiraten? Wissen Sie, es geht uns um eine langfristige Vermietung.") und meinen Essensvorlieben ("Ich möchte niemandem im Haus haben, der häufig indisch kocht, das riecht immer so.") ausfragen. Nur Blutwerte oder Röntgenbilder wollte bisher noch niemand sehen. Vergangene Woche habe ich mir eine tolle Wohnung angeschaut, eine Stunde hörte ich der Vermieterin, einer alten Dame in Chanel-Jacke zu, die von ihrem Sohn erzählte ("Er ist so ein toller, erfolgreicher Mann, frisch geschieden."). Am Ende gingen wir Arm in Arm zur Tram. Wenn es mit der Wohnung nichts wird, lasse ich mir die Nummer von dem Sohn geben.

"Berlin-Mitte ist teurer als München-Mitte"

Architektin, 39 Jahre, Hamburg:

Vier Jahre lang habe ich nach einer Wohnung gesucht - dass es so lange gedauert hat, lag sowohl an mir als auch dem Immobilienmarkt. Aus meinem vorigen Apartment wollte ich nur ausziehen, um einen kürzeren Weg zur Arbeit zu haben. Ansonsten war alles perfekt: Hell, Altbau, Balkon - und das für 530 Euro warm. Mittlerweile gehen die Preise für eine solche Wohnung ab 700 Euro los. In diesen vier Jahren habe ich mir 30 bis 40 Immobilien angeschaut, vielleicht zehn waren dabei, die ich genommen hätte. Oft zogen sich die Bewerberschlangen vor dem Haus die ganze Straße entlang - nur ein Mal habe ich mich angestellt. Doch als ich es endlich nach innen geschafft hatte, waren die Interessentenbögen schon aus. Von Freunden habe ich gehört, dass den Maklern oft heimlich Geld zugesteckt wird.

Außerhalb von Hamburg ist das Angebot natürlich viel größer, doch gerade in beliebten Vierteln wie Eimsbüttel oder der Schanze hat man eigentlich nur über Mund-zu-Mund Propaganda eine Chance. Die Angebote, die dann im Internet landen, will keiner. Im September ist ein Kollege von mir umgezogen, dessen Wohnung habe ich nun übernommen und zahle für meine zwei Zimmer genauso viel wie vorher - und habe sogar zehn Quadratmeter mehr.

Journalistin, 34 Jahre, Berlin:

Mein halbes Leben lang will ich in die deutsche Hauptstadt ziehen. Einen Studienplatz hatte ich dort schon, Jobangebot ebenfalls, nach und nach sind fast alle Freunde in die Hauptstadt gezogen. Doch Berlin, dachte ich, geht später immer noch - und blickte aus Paris, Köln und München 15 Jahre lang wehmütig gen Osten, wo die Mieten immer billiger, die Wohnungen stets größer und die Wohnungssuchenden immer viel zufriedener waren. Sie schwärmten von Drei-Zimmer-Altbau-Wohnungen mit Holzdielen, Riesenküche, Badewanne mit Löwenfüßen, Flügeltüren - und das alles zu Spottpreisen, für die ich in Paris ein Loch, in Köln ein WG-Zimmer mit Blick auf die Bahn und in München mit viel Glück eine halbe Wohnung zahlen konnte. Jetzt, dachte ich, bin auch ich dran, und ziehe endlich nach Berlin.

Ich suche: Mitte, zwei Zimmer, Küche, Bad. Hell, schön, Altbau und wenn möglich nicht teurer als meine aktuelle Miete in München. Ich bekomme: Tatsächlich viele Angebote über ein Mietportal im Internet, fast täglich kommen neue hinzu. Allein: Das ist alles nichts. Wohnlöcher. Studentenbuden. Winzig, düster und nicht renoviert. Alles ohne Kücheneinbau. Oder mit einem Abstand für eine heruntergekommene Küche, der jeder Erwähnung spottet. Oder mit Provisionen zu Phantasiepreisen. Oder gleich alles zusammen. Gerne möchte auch der Vormieter seine verranzte Einrichtung loswerden - zu völlig überhöhten Preisen. Berlin-Mitte ist teurer als München-Mitte. Ich habe es inzwischen aufgegeben und suche nur noch über private Kontakte nach Wohnungen in Berlin. Da kann ich wenigstens sicher sein, dass ich nicht nur eine von Tausenden bin.

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