Ilse Aigner im Interview:"Die Verbraucher machen es den Konzernen sehr leicht"

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner kritisiert die monopolistische Machtstruktuern - aber auch die Verbraucher. Diese seien zu gemütlich und informierten sich zu wenig über günstigere Strompreise.

Daniela Kuhr und Michael Bauchmüller

Das Büro von Ilse Aigner, 46, ist sonnendurchflutet und sehr warm. "Moment", sagt die CSU-Ministerin beim Eintreten, "ich stelle die Klimaanlage an." Ihr Pressesprecher macht sie scherzend darauf aufmerksam, dass das nicht gerade umweltfreundlich ist. Aigner zögert kurz, zuckt dann mit den Schultern und sagt: "Tja."

Pressekonferenz Bundesverbraucherschutzministerin Aigner zum Safer Internet Day

Es gebe zu viele selbst ernannte kaffeesatzlesende Experten zum Thema Atomausstieg, die Zahlen in die Welt posaunen, so Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner.

(Foto: ddp)

SZ: Frau Aigner, wovor müssen Sie die Verbraucher mehr schützen: vor Atomkraftwerken oder vor steigenden Strompreisen?

Aigner: Man kann nicht den einen Aspekt gegen den anderen ausspielen. Ich will beides - sichere Energie zu bezahlbaren Preisen.

SZ: Wie soll das gehen? Mit dem Atomausstieg wird Strom knapper. Wenn ein Gut knapp wird, wird es teurer, das ist doch logisch.

Aigner: Sicher, die Preise ziehen an, wenn weniger Strom auf dem Markt ist. Aber gerade deshalb müssen wir uns genau überlegen, wie schnell wir tatsächlich komplett auf Atomenergie verzichten können. Die Konzerne werden versuchen, alle mit der Energiewende verbundenen Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Je schneller wir aussteigen, ohne bereits genügend Alternativen zu haben, umso stärker könnten die Preise steigen.

SZ: Wie teuer wird denn der Ausstieg für die Verbraucher?

Aigner: Seriös kann das jetzt noch keiner sagen.

SZ: Verschiedene Institute haben schon mal gerechnet. Eines kommt zum Ergebnis, dass Privatkunden in 15 Jahren fast 60 Prozent mehr für Strom bezahlen müssen.

Aigner: Wir haben doch noch gar nichts beschlossen. Mich ärgert, dass selbsternannte Experten jeden Tag auf's Neue irgendwelche Zahlen in die Welt setzen. Solche Preisprognosen sind pure Kaffeesatzleserei. Schließlich gibt es noch jede Menge offene Fragen: Bis wann genau wollen wir weg vom Atomstrom? Wie kann er ersetzt werden? Welche Leitungen benötigen wir? Wer finanziert sie? Wie viel Strom können wir noch einsparen? Also: Wie viel Strom benötigen wir überhaupt?

SZ: Tatsächlich viele offene Fragen für gerade mal vier verbleibende Wochen. Anfang Juni will das Kabinett über die Energiewende entscheiden.

Aigner: In der Tat ein ehrgeiziger Zeitplan. Aber da wir alle das gleiche Ziel haben, werden wir eine Lösung finden.

"In der Landwirtschaft wird falsch gefördert"

SZ: Haben Sie denn wirklich alle das gleiche Ziel? Ihr Parteivorsitzender Horst Seehofer will, dass Bayern schon 2020 frei von Atomkraft ist. Andere halten das für utopisch.

Aigner: Im Ziel sind wir uns einig: möglichst rasch weg vom Atomstrom. Ob am Ende ein Jahr mehr oder weniger herauskommt, werden wir sehen. Mir ist nur wichtig: Wir dürfen die Verbraucher nicht aus den Augen verlieren, denn sie sind von den Konsequenzen des Atomausstiegs direkt betroffen.

SZ: Angeblich würden durch so einen schnellen Ausstieg allein in Bayern 100.000 Arbeitsplätze gefährdet.

Aigner: Schon wieder so eine dubiose Zahl. Man kann doch auch mal die Chancen erwähnen, die mit dem Ausstieg verbunden sind. Durch die Entwicklung neuer Technologien entstehen auch neue Arbeitsplätze und womöglich neue Exportschlager.

SZ: Nehmen Sie die Warnungen der Energieversorger vor Stromausfällen denn gar nicht ernst?

Aigner: Derzeit sind elf Meiler vom Netz und nur noch sechs in Betrieb. Die Warnungen waren völlig überzogen und ziemlich durchsichtig. Statt mit Blackouts zu drohen, sollten sich die großen Konzerne endlich konstruktiv an der Diskussion beteiligen. Mir zeigt das nur wieder, dass man Energieversorger gar nicht genug beobachten kann. Sie nutzen doch noch immer ihre monopolistische Marktmacht und haben überhaupt kein Interesse, niedrige Preise an die Kunden weiterzugeben. Leider machen wir Verbraucher es ihnen aber auch sehr leicht.

SZ: Was meinen Sie?

Aigner: Wenn mehr Menschen sich über günstige Tarife informieren und ihren Anbieter auch mal wechseln würden, dann stünden die Versorger unter größerem Druck, ihre Preise zu senken. Aber leider zögern hier viele Verbraucher. Vielleicht haben manche auch einfach Angst, plötzlich im Dunkeln zu sitzen - auch wenn das völlig unbegründet ist.

SZ: Sie sind ja nicht nur Verbraucherschutz-, sondern auch Landwirtschaftsministerin. Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat gerade Vorschläge für eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorgelegt. Danach stünden die Landwirte vor harten Einschnitten. Was sagen Sie dazu?

Aigner: Wir haben festgestellt, dass die Förderung an manchen Stellen die falschen Anreize gesetzt hat. Eigentlich wollten wir die Landwirte dafür belohnen, dass sie Ökostrom erzeugen. Die Folge war aber, dass immer mehr Mais für Biogasanlagen angebaut wurde statt für Tierfutter. Das ändern wir. Bei Neuanlagen werden wir stärker belohnen, wenn ein Landwirt seine Biogasanlage mit Abfallprodukten wie Gülle oder Grünschnitt betreibt. Wer dagegen Mais einsetzt, bekommt weniger Geld.

SZ: Löst dies das Problem? Die Frage bleibt doch, ob Landwirte nun Nahrung herstellen sollen oder Energie.

Aigner: Sie übertreiben. In Deutschland werden bisher 15 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für die Energieerzeugung genutzt. Wir können doch nicht stets sagen, dass wir erneuerbare Energien wollen, aber wenn es konkret wird, immer "nein" sagen. Windkrafträder sind manchen zu laut, Photovoltaik verschandelt die Landschaft, und Biogas ist auch nicht gut. Wenn wir wirklich weg wollen vom Atomstrom, können wir uns diese Scheinheiligkeit nicht länger leisten.

Interview: Daniela Kuhr und Michael Bauchmüller

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