Süddeutsche Zeitung

Hypo Real Estate:Für ein paar Milliarden mehr

Zwei Männer, zwei Systeme, zwei Rettungsversuche: Finanzminister Steinbrück und HRE-Chef Funke stehen im Zentrum des Dramas um den Dax-Konzern. Ihr gemeinsames Ziel hat sie zu erbitterten Gegnern gemacht.

G. Bohsem, N. Fried und T. Fromm

Es ist früh am Morgen, und am Abend zuvor war es ziemlich spät geworden. Nach einer so kurzen Nacht überrascht es nicht, dass Peer Steinbrück leicht erregbar ist. Wie in einem Schraubstock, so sagt es der Finanzminister selbst, erlebe die Politik diese Tage der großen Krise. Einerseits müsse sie Geld zur Rettung von Banken ranschaffen, andererseits dafür die Zustimmung der Bürger gewinnen. Und dann würden die handelnden Politiker auch noch "als Idioten dargestellt, die mit der Situation nicht fertig werden". Dass die ganze Legitimation für das, was zu tun sei, bei der Politik abgeladen werde, "das berührt einen schon", sagt Steinbrück. "Da kriegt man auch mal einen dicken Hals."

Nicht, dass er wehleidig wäre. Die Aussage des FDP-Politikers Rainer Brüderle zum Beispiel, das Finanzministerium habe schlampig gearbeitet und Steinbrück habe den Bundestagsfraktionen in der vergangenen Woche falsche Zahlen über die Lage der Hypo Real Estate genannt, findet der Minister zwar unsäglich. "Das geht mir aber auch an einem bestimmten Körperteil vorbei." Die Schuldzuweisungen allerdings, die er am Wochenende in den Zeitungen gelesen habe, die finde er einfach "ungeheuerlich". Dass er verantwortlich sein solle für neue Milliardenlöcher, "weise ich klar zurück".

Man muss an dieser Stelle kurz innehalten und sich ein paar Dinge vergegenwärtigen. Da ist in der Nacht zum Montag eine Bank zum zweiten Mal vor der Pleite bewahrt worden. Eine Pleite, die gewaltige Folgen für das ganze Land und seinen Zahlungsverkehr hätte haben können. Wie schon beim ersten Mal vor einer Woche war es eine schwierige Operation, an deren Ende eine komplizierte Einigung stand. Aber doch eine Einigung. Trotzdem ist die Stimmung, mal ganz allgemein gesprochen, ziemlich mies. Und bei Peer Steinbrück auch ganz speziell.

Ein Affront mit Konsequenzen

Sein Zorn richtet sich vor allem gegen die Verantwortlichen der Hypo Real Estate. Und damit, so behauptet er, stehe er nicht alleine. Das Management der anderen Banken, die Bundeskanzlerin und er seien entsetzt gewesen, als am Samstag die neuen Löcher bekannt wurden. Am Sonntagabend nach der eigentlichen Verhandlung habe man dann noch im Finanzministerium beisammengesessen. Und nun drängten alle Beteiligten auf die Ablösung des Managements und des Aufsichtsrates der Hypo Real Estate, sagt Steinbrück. Und er ganz besonders, das ist ihm leicht anzumerken.

Der Mann, den Steinbrück im Visier hat, heißt Georg Funke. Er ist Vorstandsvorsitzender der Hypo Real Estate. Von ihm und seinem Aufsichtsratschef Kurt Viermetz fühlt er sich hintergangen. "Zu optimistisch" seien die Annahmen der Hypo Real Estate gewesen, als vergangene Woche das erste Mal verhandelt wurde, sagt Steinbrück. Was er wohl wirklich sagen will: Diese Männer haben das Vertrauen der Bundesregierung missbraucht. Sein Vertrauen. Dieser Affront soll Konsequenzen haben.

Die Chefs der Hypo Real Estate werden vielleicht noch ein paar Tage gebraucht, um den Rettungsdeal unter Dach und Fach zu bringen, doch danach müssen sie gehen. Das ist für Steinbrück die logische, die zwingende Konsequenz. In der Politik, in seiner Welt, würde das vielleicht nicht ohne weiteres, aber letztlich doch sehr schnell gehen. Das sieht man an Kurt Beck, an Erwin Huber und an Günther Beckstein.

Symbiotische Beziehungen

Doch in der Welt der Wirtschaft läuft das anders, hier braucht es das Einverständnis des Aufsichtsrates und der großen Aktionäre, um einen Vorstand rauszuschmeißen. Es muss über Abfindungen gesprochen werden, über goldene Handschläge, Optionen, Altersvorsorgen. Was in der Politik ruckzuck geht, dauert in der Wirtschaft seine Zeit.

Diese Unterschiede existieren seit eh und je, doch die Finanzkrise bringt sie umso deutlicher hervor. Der Konflikt zwischen Steinbrück und Funke ist auch ein Beispiel dafür, wie fremd sich Politik und Wirtschaft oftmals sind, wie unterschiedlich die Akteure denken, wie ihre Interessen voneinander abweichen, ihre Sozialisation, ihr Maßstab für Erfolg, die Sprache. Und das in einer Zeit, in der Politik und Finanzdienstleister "in symbiotischer Beziehung" miteinander stehen, wie es Steinbrück formuliert. "Beide brauchen einander."

Steinbrück und auch der Kanzlerin ist klar, dass der Staat die Hypo Real Estate retten muss, weil der Finanzmarkt in Deutschland sonst zusammenbrechen würde, mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Wirtschaft, für Arbeitsplätze und Wohlstand. Die Politik aber muss das Vorhaben vermitteln, den Fraktionen im Bundestag, den Parteien, den Wählern, den Steuerzahlern. Merkel und Steinbrück müssen eine Antwort haben auf die Frage, warum der Staat eine Bürgschaft von 26,5 Milliarden Euro übernimmt und gleichzeitig das Kindergeld nur zögerlich erhöht oder an der Kürzung der Pendlerpauschale festhält. Das alles dauert sehr lange und viel länger als in einem Unternehmen. Sechs Stunden zog Steinbrück zusammen mit Bundesbankpräsident Axel Weber am Montag vergangener Woche durch die Fraktionen im Bundestag. Sie mussten reden, reden, reden.

Lesen Sie im zweiten Teil, welche Fehler Hypo-Real-Estate-Chef Funke gemacht hat - und wie das erste Rettungspaket für den Konzern platzte.

Georg Funke, den Chef der Hypo Real Estate, zeichnet dieser Tage vor allem eines aus: Schweigen. Mit Beginn der Krise vor mehr als einer Woche war er untergetaucht. Der ansonsten gar nicht so maulfaule Manager ließ fortan nur noch seinen Pressesprecher und seine Berater für sich reden. Er selbst tat so, als ob nichts wäre. Und arbeitete lieber. In diesen Tagen, berichten enge Mitarbeiter, sei er nie vor ein oder zwei Uhr nachts nach Hause gegangen. In der Nacht zum Montag blieb er bis halb vier morgens, um kurz vor acht war er schon wieder da. Das passt zu ihm. Die halbe Welt fordert seinen Rücktritt, und er stürzt sich in die Arbeit. "Funke klebt nicht an seinem Job, aber er kämpft wie ein Löwe", heißt es aus seinem Umfeld.

Gleichzeitig ist klar, dass er bald gehen muss. "Funke weiß auch, dass seine Zeit vorüber ist." Wer ihn kennt, weiß, dass es ihm schwerfällt loszulassen. Vor allem, weil er zu denen gehört, die nicht nur sagen, dass sie alles richtig gemacht haben. Sie glauben es auch selbst.

"Alles Quatsch"

Das war schon im Januar dieses Jahres so. Da ging Funke hin und erklärte öffentlich, dass sein Hypothekenfinanzierer Millionenabschreibungen aus der Finanzkrise schultern müsse. An solche Mitteilungen hatte man sich in der Finanzbranche zwar längst gewöhnt. Nur dass sich eben jener Funke noch wenige Wochen zuvor hingestellt und erklärt hatte, dass sein Unternehmen gestärkt aus der Finanzkrise hervorgehe. Die Aktie fiel um fast 40 Prozent, dem Management wurde ein laxer Umgang mit der Wahrheit vorgeworfen.

Und was tat Funke? Der schimpfte auf alle und jeden - nur nicht auf sich selbst. Selbstkritik ist seine Sache nicht. Die Kursreaktion an der Börse? Überzogen. Vertrauensverlust? Nicht gerechtfertigt. Der Konzern an sich? "Super geschlagen." Niemand hätte ahnen können, dass es an den Finanzmärkten so weit kommen würde. Warum ausgerechnet er?

Wenn Funke sich aufregt, rutscht seine Brille auf die Nasenspitze und er schaut mit großen Augen über sie hinweg. Er ist Gelsenkirchener, und das hört man besonders, wenn er richtig aufgeregt ist. Dann werden die Vokale lang und länger, und aus einem s wird dann schnell mal ein t. "Dat ist doch alles Quatsch." Für einen Moment lang glaubt man dann, den bodenständigen Ruhrpottler vor sich zu haben. Aber dann fällt der Manager wieder in den gewohnten Banker-Slang zurück und erklärt, wie komplizierte Wertpapiere funktionieren oder benutzt technische Abkürzungen wie "CDOs" und "CDS" und "SIV". Und dann weiß man: Funke lebt vor allem in einer Welt - in seiner.

Banker ohne Glamour

Damals im Januar, da war Funke schon fast abgemeldet. Viele Aktionäre konnten sich nicht vorstellen, dass der 53-Jährige die Vertrauenskrise überleben würde. Doch er konnte. "Wir werden weiterhin belegen, dass wir in unserem Kerngeschäft erfolgreich und solide sind", sagte er damals. "Dass wir eine stabile und vielleicht langweilige Bank sind." Das Bild der langweiligen Bank und ihres langweiligen Chefs, das war ein Bild, mit dem Funke immer gerne kokettierte. Lange Zeit konnte er es auch bedienen.

Funkes Aufstieg vom einfachen Azubi bei der Westdeutsche Wohnhäuser AG in Essen zum Hypo-Real-Estate-Chef war gradlinig und unspektakulär. Sein Privatleben bürgerlich, verheiratet mit einer Irin, drei Kinder, keine Partys, keine illustren Freunde. Mögen andere Dax-Chefs in Fernseh-Talkshows ihre Weisheiten zum Besten geben oder mit ihren Damen auf Gala-Abenden Walzer tanzen. Funke ist der Typ, der lieber zu Hause bleibt. Für Small-Talk-Einsätze bietet er sich nicht an. Was soll er auch groß sagen? Er verkauft keine schnellen Autos, sondern gewerbliche Immobilienfinanzierungen. Da ist der Glamour-Faktor beschränkt.

Am vergangenen Samstag prallten diese beiden Welten aufeinander, die Welt der Politik und Funkes Welt. Da platzte das erste Rettungspaket. Die Mitteilung der Hypo Real Estate überraschte sowohl Merkel als auch Steinbrück. Der Finanzminister erfuhr davon per SMS. Seine Antwort: "Warum haben die uns das nicht gesagt?" Für Merkel war die Situation noch schwieriger. Die Kanzlerin hatte gerade beim Treffen der vier europäischen Länder im Club der sieben führenden Industrienationen (G7) den deutschen Rettungsplan verteidigt. Sie hatte die Wünsche der Franzosen nach einem europäischen Sicherungsfonds abgelehnt und dafür plädiert, dass jedes Land für seine Banken sorgen solle, so wie Deutschland es mit der Hypo Real Estate demonstriert hatte. Vorbildlich, sozusagen. Die Mitteilung der Bank machte alles zunichte. Fast mehr noch als Steinbrück muss Merkel das als Affront verstanden haben.

Lesen Sie im dritten Teil, wie sich die Hypo Real Estate mit Finanzminister Steinbrück anlegte - und was sich hinter dem Begriff "Abwickeln" verbirgt.

Als Mann der anderen Welt, als Mann der Wirtschaft dürfte Funke nur schwer verstehen, in welche Lage er die Kanzlerin und den Minister gebracht hat. Für ein börsennotiertes Unternehmen sind solche sogenannten Ad-Hoc-Mitteilungen Tagesgeschäft. Mit ihnen stellen die Firmen sicher, dass sie alle Aktionäre, Händler und Geldgeber gleichzeitig informieren. So sichern sie sich gegen Klagen ab und verhindern Insider-Geschäfte. Hätte er die Politik vorher informieren sollen, diesen geschwätzigen Berliner Haufen, in dem kein Geheimnis lange geheim bleibt?

Funke gehört seit Jahren zu den Top-Leuten der deutschen Wirtschaft. Von 1989 bis 1998 leitete er die Londoner Niederlassung der damaligen Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank. Gut vernetzt soll er daher in Londoner Finanzkreisen sein. Besser womöglich als in der alten Deutschland AG. Vielleicht, sagen Insider, hätten ihm in den vergangenen Tagen wichtige Drähte zu wichtigen Leuten in der Branche gefehlt.

Das bekommt er jetzt zu spüren. Dieselben Leute, mit denen Funke über die milliardenschwere Rettungsaktion verhandelt hat, fordern heute seinen Rücktritt. Andere, die auch mit dabei waren, stellen sich jedenfalls nicht schützend vor ihn. Das ist ein schlechtes Zeichen. Viele glauben, dass Funke nicht das ganze Ausmaß der Krise der Hypo Real Estate auf den Tisch gelegt hat. Bisher hat er zu den Vorwürfen geschwiegen. Würde Funke etwas sagen, könnte es so klingen: "So'n Quatsch".

Umstrittenes Krisenmanagement

Paradoxerweise ist er in diesem Punkt Peer Steinbrück so unähnlich nicht. Der poltert auch gerne, nicht selten gerade dann, wenn ihm Fehlverhalten vorgeworfen wird. Vergangene Woche hatte er wiederholt davon gesprochen, die Bank werde "abgewickelt". Ein Sprecher der Hypo Real Estate hatte diese Äußerung am Samstag für die neue Liquiditätslücke verantwortlich gemacht. Das war so zu verstehen, dass nun andere Banken noch weniger bereit seien, mit Krediten zu helfen. Offensichtlich hat die Hypo Real Estate dem Minister sogar mit rechtlichen Konsequenzen gedroht: "Dass eine Bank, die wir stützen, anschließend in einen anwaltlichen Briefverkehr mit uns tritt", schimpft Steinbrück, "das prägt".

Mit dem Begriff der Abwicklung sei er von seinen Fachleuten "gefüttert" worden, sagt der Minister. Aber er habe "davon nichts zurückzunehmen". Aus seiner Sicht soll ihm nun ein Strick daraus gedreht werden, dass er die Dinge beim Namen genannt und nicht technokratisch rumgeschwallt hat, wie er es hasst und als Politiker für grundfalsch hält. Doch Steinbrück ist lange genug dabei, um zu wissen, dass solche Vorwürfe in seiner Welt der Politik irgendwo fruchtbaren Boden finden. Und das nicht nur in der Opposition.

In einer Zeitung kann er am Montag lesen, die Kanzlerin gehe bereits auf Distanz zu ihm, sei unzufrieden mit seinem Krisenmanagement. Im engeren Umfeld Angela Merkels wird das zurückgewiesen. Aber es gibt eben immer auch ein weiteres Umfeld, dass eher parteitaktisch denkt. Es ist nicht schwer herauszufinden, dass der Minister zum Beispiel manchem Abgeordneten der Unions-Fraktion auf die Nerven geht mit seiner selbstbewussten Art, die manche vor allem als selbstgefällig wahrnehmen.

Neue Duzfreunde

Einstweilen aber wollen sich Merkel und Steinbrück nicht auseinanderdividieren lassen. Richtig ist offenbar, dass die SPD am Sonntag darauf bestand, Steinbrück mit Merkel vor die Kameras zu schicken, um die beruhigende Botschaft von der staatlichen Garantie für alle Spareinlagen zu verkünden. Von anderen Verspannungen aber will niemand von denen etwas wissen, die es wissen müssten. Im Gegenteil: Die Abstimmung zwischen Kanzleramt und Finanzministerium laufe gut, heißt es, Steinbrücks Staatssekretär Jörg Asmussen und Merkels wirtschaftspolitischer Berater Jörg Weidmann seien mittlerweile zu Duzfreunden geworden. Und Merkel habe Asmussen auch mit zum Finanzgipfel nach Paris genommen. Auf dem Rückflug sprachen die Kanzlerin, Weidmann und Steinbrücks Staatssekretär über die Konsequenzen des geplatzten Rettungspakets. Alles in Butter.

Und wenn alles noch einmal passiert? Wer kann schon garantieren, dass diesmal alle Zahlen stimmen. Ob es nicht sein könne, dass man am nächsten Wochenende wieder zusammensitze, um über ein neues Rettungspaket zu beraten, wird Steinbrück an diesem Montagmorgen gefragt? Er stutzt kurz und antwortet dann: "Da bin ich nicht da." Dem folgt ein hartes, ein etwas angestrengtes Lachen.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2008/tob
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