Hypo Real Estate: Ermittlungen:Die Akte Funke

Massive Vorwürfe gegen Georg Funke: Seit zwei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen den früheren Chef der Hypo Real Estate. Nun werden die Anschuldigungen konkret.

Klaus Ott

Kein Bankenchef in Deutschland hat in der Finanzkrise einen größeren Scherbenhaufen hinterlassen als Georg Funke mit der Hypo Real Estate (HRE). Rund 100 Milliarden Euro an Kapital und Bürgschaften kostete den Staat die Rettung des maroden Instituts. Um so viel zu verdienen, müssen drei Millionen Menschen in Deutschland ein ganzes Jahr arbeiten. Das Debakel könnte für Funke und die Finanzbranche weitreichende Folgen haben.

Der Münchner Staatsanwaltschaft liegen zahlreiche Erkenntnisse vor, die den früheren HRE-Chef schwer belasten. Seit bald zwei Jahren ermitteln die Strafverfolger gegen den gesamten ehemaligen HRE-Vorstand sowie gegen Ex-Aufsichtsratschef Kurt Viermetz. Nun werden die Anschuldigungen sehr konkret, wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung ergaben.

Zeugenaussagen sowie Protokolle und E-Mails aus der HRE wie auch Dokumente der Bankenaufsicht haben den Verdacht der Staatsanwaltschaft erhärtet, dass der ehemalige Vorstandschef Bankvermögen veruntreut, nicht wie ein gewissenhafter Kaufmann agiert und die Aktionäre getäuscht habe.

Die schwersten Vorwürfe kommen von einem früheren Vorstandsmitglied und einem Ex-Manager der Deutschen Bank sowie von einem Wirtschaftsprüfer der KPMG: Sie berichteten den Ermittlern von fachlichen Mängeln in der HRE, von riskanten Geschäften, wildem Wachstum und einer unvollständigen und undurchsichtigen Mitteilung an die Aktionäre. "Das wird ein Musterprozess, der bis zum Bundesgerichtshof führt", glaubt ein Finanzexperte, der die HRE und das Ermittlungsverfahren gut kennt.

Vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gibt es neuerdings erste Hinweise, dass bei den Banken nach den Exzessen der vergangenen Jahre künftig ein strengerer Maßstab angelegt werden soll. Bekommt Funke das nun als Erster zu spüren, stellvertretend für seine Branche, die mit waghalsigen Spekulationsgeschäften beinahe die Weltwirtschaft in den Abgrund gerissen hätte? Wird er als erster ehemaliger Bankchef wegen Verlusten in Milliardenhöhe angeklagt?

Gefangen in der eigenen Strategie

Der in Gelsenkirchen geborene Funke hatte sich einst um Sozialwohnungen in Essen gekümmert, ehe er als Finanzmanager international Karriere machte und schließlich in München die HRE seit deren Abspaltung aus der Hypo-Vereinsbank im Jahr 2003 bis zu Fast-Pleite 2008 führte. Eins und eins sei mehr als zwei, bejubelte der Westfale die Zellteilung bei der Hypo, bevor er anschließend die Expansion der auf Immobilienfinanzierungen spezialisierten HRE betrieb und 2007 auch die in Irland ansässige Pfandbriefbank Depfa übernahm.

Er verkaufte dies als großes Geschäft, tatsächlich war es der Beginn des Niedergangs. Die Depfa war darauf ausgerichtet, Kommunen und Staaten rund um den Globus Kredite zu gewähren, die in der Regel Jahrzehnte liefen. Das Geld dafür lieh sich die Depfa ihrerseits kurzfristig auf den Finanzmärkten. Sie zahlte niedrige Zinsen für die von ihr geborgten Milliarden und kassierte höhere Zinsen für die von ihr langfristig ausgereichten Kredite. Ein riskantes Geschäftsmodell, das in der Krise nicht mehr funktionierte.

Aber war das auch strafbar? Leichtfertig war es allemal, meint der wichtigste Zeuge: Michael Endres, 72, früher Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Nach der Rettung der HRE sprang der Pensionär dort als Aufsichtsratschef ein und half von Dezember 2008 bis August 2009, die Bank zu konsolidieren. Danach sagte er bei der Staatsanwaltschaft als Zeuge aus.

Im Widerspruch zu Funke

Er widersprach dabei Funkes Darstellung, die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 sei schuld an der HRE-Pleite gewesen. Die großen Institute liehen sich danach untereinander kaum noch Geld. Damit habe niemand rechnen können, sagt Funke. Endres entgegnete bei seiner Zeugenvernehmung durch die Staatsanwaltschaft, Lehman sei nur der Anlass, aber nicht der Grund für den Zusammenbruch der HRE gewesen. Denn die HRE habe trotz der Krise ihr Geschäftsmodell beibehalten und sich weiterhin kurzfristig Geld geborgt.

Das sei eine "wilde Wachtumsstrategie gewesen. Der Bankvorstand sei schließlich in der eigenen Strategie "gefangen" gewesen. Außerdem habe die Bank keine Zusagen anderer Institute gehabt, im Falle von Liquiditätsengpässen genügend Geld zu bekommen. Wer diese Sicherheiten nicht habe, aber trotzdem an einem solchen Geschäftsmodell festhalte, der handele leichtfertig, rügte Endres. Dass ein langjähriger Top-Manager aus der Geldbranche bei der Justiz so deutlich gegen einen Kollegen aussagt, hat Seltenheitswert.

Der frühere Deutsche-Bank-Vorstand stützt die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft auch in einem weiteren wichtigen Punkt. Mitte August 2008 hatte der HRE-Vorstand um Funke den Aktionären im Geschäftsbericht für das erste Halbjahr mitgeteilt, man habe alles im Griff. Selbst in einem Szenario mit dem denkbar schlimmsten Fall sei "sichergestellt, dass die HRE-Gruppe sowie ihre Tochterbanken jederzeit uneingeschränkt zahlungsfähig sind". Das war wenige Wochen, bevor der HRE das Geld ausging und der Staat einspringen musste.

Stresstests nur mangelhaft

Die Staatsanwaltschaft hält den Geschäftsbericht des HRE-Vorstandes vom August 2008 für falsch und wird darin durch Endres bestärkt. Der gab zu Protokoll, er hätte einen solchen Bericht wie den der HRE vom August 2008 nicht unterschrieben. Die sogenannten Stresstests bei der HRE, in denen drohende Risiken durchgespielt worden waren, seien nämlich mangelhaft gewesen - Vorwürfe, die neben Funke auch andere frühere Vorstandsmitglieder treffen.

Auf einen solchen Zeugen ließe sich in einer Anklage bauen. Vor allem, da dessen Aussagen durch einen weiteren Experten gestützt werden, der im September 2008 an der Rettung der HRE mitgewirkt hatte: Knut Pohlen, damals Vizechef der Abteilung Refinanzierung (Treasury) in der Deutschen Bank. Pohlen ist Experte für Geldbeschaffung, und als solcher staunte er über das, was er bei den Krisensitzungen über die HRE zu sehen bekam: Bei Funke und weiteren HRE-Managern habe es klare fachliche Mängel bei der Liquiditätsanalyse und der Liquiditätssteuerung gegeben. Die HRE-Spitze habe offenbar die Risiken der eigenen Bankengruppe nicht gekannt. Bestimmte Stresstests hätten bei der HRE völlig gefehlt, berichtete Pohlen der Münchner Staatsanwaltschaft.

Verschwörung gegen Funke

Funke hatte im September 2008 Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann um Hilfe gebeten, man verhandelte in Frankfurt, erst untereinander, dann mit weiteren Instituten, mit der Bankenaufsicht und mit der Bundesregierung. Nach der Rettung musste der HRE-Chef auf Druck der Frankfurter Großbanken und der Regierung gehen.

Im Umfeld der alten HRE-Spitze wird erzählt, die Deutsche Bank hätte sich gegen Funke verschworen, um einen Konkurrenten weniger zu haben. Bislang spricht freilich nichts für diese These. Vielmehr werden die Berichte der früheren Deutsche-Bank-Manager Endres und Pohlen bei der Münchner Staatsanwaltschaft durch Aussagen eines Experten der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG und durch viele Dokumente untermauert. Die KPMG hatte die Bilanzen der Münchner Bank testiert.

Bedenkenträger Bafin

Bei einer Sitzung des HRE-Vorstands im März 2008 schlug ein KPMG-Prüfer laut Protokoll vor, einen "Liquiditäts-Katastrophenplan" aufzustellen, wie das andere Banken bereits getan hätten. In einem internen Risikobericht der Bank vom Juni 2008 sind Bedenken der Bankenaufsicht Bafin vermerkt. In der Niederschrift einer Vorstandssitzung vom Juli 2008 steht, das Liquiditätsrisiko bei bestimmten Geschäften werde als zu hoch erachtet. Wenige Tage später, am 31. Juli 2008, wurden Funke und einige seiner Vorstandskollegen zur Bafin nach Bonn zitiert. Die Bankenaufsichtsbehörde beanstandete "gravierende Defizite" und forderte Korrekturen.

Bayerns Landeskriminalamt (LKA) wertet für die Staatsanwaltschaft zwei dicke Ordner mit dem Schriftverkehr zwischen Bafin und HRE im Jahr 2008 aus. Auch die LKA-Akten mit den Nummern 19.000/1 und 19.000/2 könnten Funke zum Verhängnis werden. Doch der unfreiwillige, erst 54 Jahre alte Frühpensionär kämpft: um sein Geld, seinen Ruf und seine Ehre. Funke hat beim Landgericht München Klage gegen die fristlose Kündigung eingereicht. Der frühere HRE-Chef sehe sich als "Opfer der internationalen Finanzkrise", wie es einer seiner Anwälte einmal formulierte.

Bei der Staatsanwaltschaft hat Funke mehrere Tage lang ausgesagt und alle Vorwürfe zurückgewiesen. Und er hat seine These wiederholt, am Desaster der HRE seien andere schuld. Zum Beispiel Investmentfonds unter den HRE-Anlegern, die ihm Anfang 2008 nicht verziehen hätten, dass er damals nicht nur 390Millionen Euro Abschreibungen mitgeteilt, sondern auch gleich eine Kürzung der Dividende von 1,50 Euro auf 50 Cent pro Aktie vorgeschlagen habe.

Das habe den Fonds nicht gepasst, sagte Funke aus. Es sei falsch gewesen, die Dividende zu kürzen. Der HRE-Vorstand sei auf diese Weise gleichsam "mit der Zigarre in die Pulverkiste" gegangen. Geschadet habe der HRE auch, dass man immer als erstes Institut schlechte Nachrichten veröffentlicht habe. Andere Banken hätten später viel höhere Abschreibungen verkündet, aber das habe dann keinen mehr interessiert. Funkes Anwälte wollten sich auf Anfrage der SZ nicht äußern. Die Staatsanwaltschaft hat noch nicht entschieden, ob Funke angeklagt wird. Sie teilte mit, man vernehme weitere Zeugen und werte noch Unterlagen aus. Ein Ende des Ermittlungsverfahrens sei noch nicht absehbar.

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