Süddeutsche Zeitung

HSH-Spitzelaffären-Opfer Roth im Interview:Als Feind in meiner Bank

HSH-Nordbank-Vorstand Frank Roth wurde zu Unrecht gefeuert. Ein Gespräch über die Paranoia der Bank, entfernte Handy-Batterien und den mühsamen Kampf eines Hilf- und Ahnungslosen.

Marc Beise und Klaus Ott

Seit 20 Monaten steht Frank Roth, 51, im Abseits. Sein mächtiger Gegner ist die HSH Nordbank, die den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehört. Auch auf Betreiben von Bankchef Dirk Jens Nonnenmacher war Roth fristlos aus dem Vorstand gefeuert worden - wegen angeblichen Geheimnisverrats. Jetzt wendet sich das Blatt. Die Vorwürfe gegen Roth waren fingiert, und Nonnenmacher soll wegen diverser Affären vorzeitig gehen. Im Gespräch mit der SZ berichtet der Manager Roth, wie es einem geht, der zunächst hilf- und ahnungslos am Pranger steht und dann den Kampf aufnimmt.

SZ: Herr Roth, Ihr Arbeitgeber gibt jetzt zu, dass Ihr Rauswurf Unrecht war. Was empfinden Sie? Genugtuung?

Roth: Noch nicht. Ich bleibe wachsam und wehrhaft.

SZ: Sie trauen der Bank nicht?

Roth: Ich bin erst beruhigt, wenn wir eine angemessene Vereinbarung haben und die Tinte trocken ist.

SZ: Hat sich Aufsichtsratschef Hilmar Kopper schon gemeldet? Früher hat er ja, als Chef der Deutschen Bank, bei Krisen Lehrgeld gezahlt und müsste wissen, wie man Konflikte entschärft.

Roth: Er hat sich nicht selbst gemeldet, sondern einen Anwalt beauftragt. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.

SZ: Wie meinen Sie das?

Roth: Die Vorgeschichte war ja so: Im Frühjahr 2010 gab es schon einen Bericht der Kieler Staatsanwaltschaft, dass an den Vorwürfen gegen mich nichts dran sei. Ich habe dann Kopper in seinem Büro bei der Deutschen Bank angerufen und vorgeschlagen, eine für beide Seiten gesichtswahrende, diskrete Lösung zu finden.

SZ: Und was hat Kopper geantwortet?

Roth: Bei einem weiteren Telefonat hat er gesagt, jetzt warten wir mal das Endergebnis der Staatsanwaltschaft ab. Das kam im Sommer ein Freispruch erster Klasse für mich.

SZ: Und dann?

Roth: Dann habe ich Kopper wieder angerufen und gesagt: "Eigentlich hätten Sie ja jetzt zum Hörer greifen müssen." Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass er demnächst auf mich zukomme.

SZ: Das tat er dann ja auch, mit einem Brief. Was haben Sie gehofft, als Sie ihn aufmachten?

Roth: Meine Frau hat ihn aufgemacht. Und an ihrem Gesicht habe ich gleich gesehen, was drin steht. Für eine Einigung mit mir gebe es "weder rechtlich noch moralisch Anlass". Trotz gegenteiliger Ermittlungsergebnisse! Dabei war ich schon über ein Jahr aus der Bank weg, mein Gehalt war gesperrt, ich war geächtet. Da fällt einem dann nichts mehr ein.

SZ: Lassen Sie uns in den April 2009 zurückgehen. Wie begann das alles?

Roth: Es war ein Alptraum, von einer Sekunde zur anderen. Ich hatte nach wochenlangem Warten endlich einen Termin mit Bankchef Nonnenmacher, bei dem wir vieles besprechen wollten.

SZ: Wie, der Bankvorstand hat nicht permanent miteinander geredet?

Roth: Nonnenmacher hat, nachdem er Vorstandschef geworden war, im Wesentlichen mit externen Beratern operiert. Und mit einem sehr kleinen Stab von persönlichen Mitarbeitern. Ein Termin mit ihm war schwer zu bekommen. Er wollte ja offenbar die meisten Vorstandskollegen loswerden. So haben wir es aus der Presse erfahren, was er nicht dementierte. Also haben die übrigen Vorstände es wohl für bare Münze genommen und wir haben uns gefragt, wie könnte das wohl geschehen.

SZ: Sie rechneten also ohnehin mit Ihrem Rauswurf?

Roth: Ja und nein. Ich war ja erst ein paar Wochen vorher zusätzlich noch Arbeitsdirektor geworden, also eigentlich gestärkt worden. Wir mussten damals, weil die Bank Riesenverluste gemacht hatte, mehr als ein Viertel der Belegschaft abbauen.

SZ: Da sollte man meinen, der Vorstandschef und sein Personalvorstand seien im ständigen Gespräch.

Roth: Weit gefehlt. Wir lebten in unterschiedlichen Welten. Ich rede mit den Leuten und versuche, Probleme gemeinsam zu lösen. Auf den Punkt gebracht: Ich bin Beziehung. Nonnenmacher ist Zahlen. Als Risikomanager hat er wohl eine Berufs-Bösgläubigkeit. Insofern hat er, meiner Wahrnehmung zufolge, vielen Verhandlungspartnern immer zunächst das denkbar Schlimmste unterstellt. So kann man nicht arbeiten.

SZ: Und dann also der Termin bei Nonnenmacher...

Roth: Da habe ich gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Alle waren ganz aufgeregt. Statt in sein Büro ging es in ein Besprechungszimmer, das "Nostalgiezimmer", auf alt gemacht in diesem neuen Waschbeton-Gebäude. Da saßen der damalige Aufsichtsratschef Peiner, Bankanwalt Erbe, und Nonnenmacher. Peiner hat mir gesagt, ich sei suspendiert, weil ich Informationen nach draußen gegeben hätte. Ich habe ihm spontan mein Ehrenwort gegeben, dass das nicht stimmt. Ich dachte mir, das kann nur ein Missverständnis sein.

SZ: Wie geht so etwas dann weiter?

Roth: Die nächsten Minuten liefen ab wie in einem schlechten Film. Ich musste meine Schlüssel und mein Handy aushändigen, und wurde vom Bankjuristen nach draußen begleitet. Im Aufzug habe ich ihn gefragt, wie geht es weiter, an wen muss ich mich wenden. Dann guckt er mich an und sagt mir ins Gesicht: "Ich bin jetzt Ihr Gegner." Eiskalt. Und dann stand ich draußen, an einem wunderschönen Frühlingstag, plötzlich wie in einer anderen Welt. Wie entrückt.

SZ: Und Sie sind vermutlich nach Hause gegangen, was auch sonst?

Roth: Ja, ich bin die Alster entlang nach Hause gegangen und habe meine Frau angerufen, die kam dann gleich heim. Und dann ging das Medieninferno los, mit ausführlichen Hintergründen über meinen Rauswurf, die in kürzester Zeit im Internet zu lesen waren. Mit vielen Details. Das war augenscheinlich alles vorbereitet. Da wurde mir klar, hier wird ein Plan umgesetzt.

SZ: Sie fühlten sich wirklich völlig unschuldig?

Roth: Ich habe mir wochenlang das Hirn zermartert. Könnte vielleicht doch etwas aus meinem Ressort in der Bank nach draußen gegangen sein und wie, obwohl ich ja Null Kontakt zur Presse hatte? Ich bin morgens um drei Uhr aufgewacht und dachte, Mensch, hast du nicht bei diesem bestimmten Termin vielleicht mal Deine Tasche stehen lassen? Bis mir nach zwei Stunden klar war, nein, an dem Tag hast du ja deine Tasche gar nicht dabei gehabt. Ich habe immer wieder alle Möglichkeiten durchgespielt, aber nichts gefunden.

SZ: Konnten Sie das nicht klären, Sie hatten doch viele Kontakte in die Bank?

Roth: Da wollte in dieser sensiblen Situation keiner mit mir sprechen, das verstehe ich. Es herrschte ein Klima der Angst. Entwarnung für mich kam erst nach sechs Wochen, als die Staatsanwaltschaft zur Hausdurchsuchung bei mir war. Die Bank hatte mich ja sogar noch angezeigt. Im Durchsuchungsbeschluss, den mir die Staatsanwältin zeigte, war das angebliche Corpus Delicti zu sehen ...

SZ: ... ein Brief aus London an Nonnenmacher...

Roth: ...der auf den ersten Blick als plumpe Fälschung zu erkennen war. Angeblich von der Zeitung Guardian, eine Seite zusammenkopiertes Material aus der HSH, auf dem der Name "Frank" stand. Wenn es nicht eine Staatsbank gewesen wäre, dann hätte die Staatsanwaltschaft die Strafanzeige vielleicht gar nicht erst ernst genommen.

SZ: Wie haben Sie reagiert?

Roth: Das war einer der besten Tage in dieser schwierigen Zeit. In der Sekunde war für mich klar, da hat sich jemand die Hände schmutzig gemacht. Ich war wirklich dankbar für diese Hausdurchsuchung, so blöd das klingen mag.

SZ: Und dann ging ihr Kampf aber erst richtig los, und das ohne Einkommen.

Roth: Ich habe vom ersten Tag an von der Bank keinen Euro mehr bekommen. Ich habe meiner Frau gleich gesagt, wir müssen uns auf einen langen Kampf einstellen. Wir müssen Entscheidungen treffen, die uns in die Lage versetzen, zwei, drei, vier oder gar fünf Jahre durchzuhalten. Ich musste mich ja auch auf ein Schiedsverfahren mit der HSH einstellen, bei dem alleine die Verfahrenskosten mehrere hunderttausend Euro betragen können.

SZ: Wie geht das, ohne Geld?

Roth: Wir hatten Reserven, die hätten aber nicht ausgereicht, um mit der gleichen Brennrate weiterzumachen. Wir haben zusammen mit den fünf Kindern überlegt, wo wir uns einschränken können, und das umgesetzt. Da mussten alle in der Familie Opfer bringen.

SZ: Da reicht eine geringere, wie Sie sagen, Brennrate?

Roth: Nein, natürlich nicht. Wir haben unsere Wohnung an der Alster verkauft und sonst noch einiges versilbert, und uns dann entschieden, nach Oberbayern zu ziehen. Wir haben hier ein altes Bauernhaus gekauft, das ich renoviert habe. Das war mein Projekt, seitdem wir von Hamburg weg sind.

SZ: Das Projekt Bauernhaus als neue Lebensaufgabe?

Roth: An zweiter Stelle. An erster Stelle kommt für mich die Gerechtigkeit. Ich habe mal gehört, dass in solchen Fällen 80 bis 90 Prozent der Leute aufgeben, weil sie das einfach nicht durchstehen. Das kam für mich nie in Frage.

SZ: Glauben Sie, dass Bankchef Nonnenmacher hinter all dem steckt?

Roth: Hier waren unstreitig konspirativ handelnde Personenkreise am Werk. Wer das konkret war und wer welche Rolle spielte, muss die Staatsanwaltschaft herausfinden.

SZ: Trauen Sie Nonnenmacher zu, das getan zu haben?

Roth: Ich kann ihn persönlich schwer einschätzen, der lebt womöglich in seiner eigenen Welt. Ich habe eigentlich erst in den vergangenen Monaten die Tragweite der ganzen Story erkannt.

SZ: Welche Tragweite?

Roth: Dass Nonnenmacher Dienstleister wie eine Sicherheitsfirma unter Vertrag nimmt, die womöglich an die Grenzen des Rechtsstaats und vielleicht darüber hinaus gehen. Für solche Berater scheint Nonnenmacher mit seiner Bösgläubigkeit wohl ein idealer Kunde gewesen zu sein.

SZ: Wie hat sich das auf das Klima in der Bank ausgewirkt?

Roth: In der HSH hat sich offenbar die reinste Paranoia breit gemacht, da gab es sogar Abhörschutzfolien an den Fenstern. Wenn sich ehemalige Mitarbeiter der Bank mit mir getroffen haben, dann haben sie zuerst die Batterie aus dem Handy genommen, aus Angst, sie könnten abgehört werden.

SZ: Jetzt soll Nonnenmacher ja gehen müssen.

Roth: Ja, und sein Nachfolger wird die Bank erstmal wieder in die normale Welt zurückführen müssen.

SZ: Und wie geht es für Sie weiter?

Roth: Mein höchstes berufliches Gut ist schon meine Arbeitskraft, und die lebt von meiner Reputation. Ich bestehe daher auf einer Entschuldigung und vollständigen Rehabilitierung.

SZ: Von wem? Nonnenmacher?

Roth: Nein, daran bin ich wirklich nicht interessiert.

SZ: Kopper?

Roth: Die Chance hat er ja gehabt. Eine Entschuldigung von ihm im Namen des Aufsichtsrats wäre ein Zeichen menschlicher Größe gewesen.

SZ: Bleibt nur noch der künftige Vorstandschef, der sich symbolisch für die Bank entschuldigen könnte, obwohl er damit persönlich ja gar nichts zu tun hat.

Roth: Das wäre zwar eine honorige Geste, die aber eigentlich vom Aufsichtsrat kommen müsste, vielleicht auch von den Personen im Präsidialausschuss, die damals meine fristlose Kündigung zu verantworten haben und teils heute noch dort sitzen. Wir werden sehen.

SZ: Und was muss die Bank zahlen?

Roth: Mein Vertrag muss natürlich ausbezahlt werden. Außerdem sind mir erhebliche Kosten entstanden, die müssen ersetzt werden.

SZ: Fordern Sie auch Schadenersatz?

Roth: Selbstverständlich. Am liebsten wäre mir es, wir können das zumindest jetzt vernünftig klären, ohne Streit vor dem Schiedsgericht. Danach sieht es momentan sogar aus. Am allerwichtigsten ist mir aber die vollständige Rehabilitierung. Ich will natürlich wieder arbeiten.

SZ: Welche Erkenntnis bleibt?

Roth: Ich wünsche niemanden, das erleben zu müssen, was mir widerfahren ist. Und ich rate jedem, dem so etwas passiert, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern den Kampf um seine Reputation mit aller Hartnäckigkeit aufzunehmen.

Steckbrief: Frank Roth wurde 1959 in Landau in der Pfalz geboren und hat Informatik an der Universität in Karlsruhe studiert, wo er auch mehrere Jahre als Assistent tätig war. 1986 ging Roth in die Autoindustrie nach Stuttgart: erst zu Daimler-Benz und dann zum Zulieferer Bosch. Dort stieg der Diplom-Informatiker in Führungspositionen auf, bevor er 2001 Ort und Branche wechselte und sich in München bei der Hypo-Vereinsbank verdingtete: erst im IT-Service, dann als Bereichsvorstand beim Investment-Banking. 2006 ging Roth zur Investmentbank Dresdner Kleinwort nach London, und von dort 2007 zur HSH Nordbank, wo er in den Vorstand aufrückte. Dort bekam er zusätzlich zur Verantwortung über IT, Zahlungsverkehr und Wertpapier-Abwicklung schließlich auch den Job als Personalvorstand.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1032304
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.12.2010/aum
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.