Süddeutsche Zeitung

Milliardenpanne bei HRE-Bad-Bank:Was wusste Schäuble wann?

Finanzminister Wolfgang Schäuble will erst am 4. Oktober von der Rechenpanne bei der HRE erfahren haben. Aber kann das stimmen? Nach einem Schreiben, das sueddeutsche.de vorliegt, waren die Zahlen zumindest seinem Staatssekretär schon am 13. September bekannt.

Thorsten Denkler und Jannis Brühl

Der Rechenfehler ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Um 55,5 Milliarden Euro haben sich die Buchhalter der FMS Wertmanagement vertan. Irgendwie plus mit minus verwechselt, so scheint es. Zum Glück zugunsten des Staates. Die gesamtstaatliche Verschuldung der Bundesrepublik liegt jetzt um 55,5 Milliarden Euro niedriger als angenommen, denn die FMS ist die Bad Bank der verstaatlichen Hypo Real Estate (HRE) - dort sind deren riskanten, schwer verkäufliche Papiere ausgelagert, zum Beispiel Finanzderivate.

Und dennoch, so etwas darf nicht passieren. "Wir nehmen diesen Vorgang sehr, sehr ernst", sagte ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble an diesem Vormittag. Am Nachmittag bekräftigt das Ministerium auf Nachfrage: "Wir haben erst am 4. Oktober erste Hinweise erhalten, dass es sich um einen Rechenfehler handeln könnte", sagte ein Sprecher zu sueddeutsche.de.

Die endgültig von den Wirtschaftsprüfern korrigierten und bestätigten Zahlen hätten die FMS am 11. Oktober (betreffend die Halbjahreszahlen) und am 13. Oktober (betreffend den Jahresabschluss 2010) bekanntgegeben und dem Ministerium mitgeteilt, betonte das Haus am Abend einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa zufolge.

Im Anschluss "an diese erst dann verfügbare klare Information" habe man zunächst den Bundestag informell informiert. Die dann vorgesehene Information des Bundestagesfinanzausschusses am 21. Oktober habe entfallen müssen, da die Sitzung aufgrund der ursprünglich angesetzten Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Euro-Gipfel und Fraktionssitzungen am gleichen Tag abgesagt wurde. In der nächsten Sitzung des Gremiums am 28. Oktober sei der Ausschuss dann mündlich unterrichtet worden.

Aber kann das stimmen? Nach Informationen von sueddeutsche.de sind an dieser Darstellung erhebliche Zweifel aufgekommen. Das geht aus einem Schreiben von Schäubles Parlamentarischem Staatssekretär Hartmut Koschyk an Linken-Chef Klaus Ernst hervor. Der Brief datiert vom 13. September.

Darin aufgeführt ist eine Tabelle, in welcher der Beitrag einzelner Kreditinstitute zur Staatsverschuldung aufgelistet ist. Der Beitrag der HRE-Bad-Bank daran wird in dem Schreiben für das Jahr 2010 mit 216,5 Milliarden Euro angegeben. Für das Jahr 2011 liegt die Schätzung bei 161 Milliarden Euro. Die Differenz: genau jene 55,5 Milliarden Euro, die jetzt als Peinlichkeit im Raum stehen.

Linke-Chef Ernst droht mit Untersuchung

Im BMF laufen jetzt die Drähte heiß, wie diese neuerliche Unstimmigkeit zustande gekommen sein könnte. Eine erste Erklärung: Die Schätzung für 2011 basiert auf einer schon etwas älteren Prognose des BMF. Die Differenz von 55,5 Milliarden Euro soll ihre Ursache angeblich in "temporären Effekten" bei der FMS haben. So hätten es die FMS-Prüfer den Ministerialbeamten erklärt. Die temporären Effekte seien jetzt jedoch als ebenjener Rechenfehler enttarnt worden, der das ganze Land beschäftigt.

Ein temporärer Effekt in einer derartigen Größenordnung? 55,5 Milliarden Euro, damit ließen sich eineinhalb Jahre lang alle Hartz-IV-Ansprüche bezahlen. Das hätte doch eigentlich erhebliche Nachfragen bei den Wirtschaftsprüfern auslösen müssen.

Linke-Chef Klaus Ernst, Empfänger des Schreibens vom 13. September, hält das alles für wenig glaubwürdig: "Das Finanzministerium belügt fortgesetzt Parlament und Öffentlichkeit", sagte er zu sueddeutsche.de. Für die HRE trage der Bund die Verantwortung. "Wir haften am Ende für alle Risiken." Ernst hält es "für denkbar, dass das Chaos bei der HRE zum Gegenstand einer umfassenden Untersuchung im Bundestag wird".

Und auch Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, will keine Ausflüchte mehr hören. Sein Urteil: "Schäubles Ministerium täuscht die Öffentlichkeit." Entgegen der öffentlichen Darstellung kenne das Bundesfinanzministerium seit mindestens Mitte September 2011 den Korrekturbedarf in den Bilanzen der HRE-Abwicklungsanstalt.

Oppermann sagt: "Schäuble hat den Überblick verloren." Für ihn steht fest: Der "Korrekturbedarf ergibt sich aus der Antwort von Staatssekretär Koschyk an den Bundestag vom 13. September 2011".

Schäuble will davon nichts wissen. Er hat erstmal die Chefs von HRE, FMS und die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) für Mittwoch zum Rapport ins Ministerium bestellt.

Die Union nimmt vor allem PwC ins Visier: Schäubles Sprecher Kotthaus verweist auf deren Jahresabschlussprüfung der FMS, auf die man sich im Ministerium verlassen habe. Und Unionsfraktionsvize Michael Meister (CDU) sagte der Rheinischen Post: "Auf diese Bilanz hat ja nicht nur einer geschaut. Auch die Rolle der Wirtschaftsprüfer muss aufgeklärt werden."

Das Unternehmen ist eines der Big Four, der vier größten Wirtschaftsprüfungsunternehmen der Welt, zusammen mit KPMG, Deloitte und Ernst & Young.

PwC ist zuständig für die Bilanzen der Bad Bank. Denn die Big Four leben auch von Staatsaufträgen. Seit der Finanzkrise vertraut die Regierung den großen Prüfern noch mehr als früher: PwC empfahl nicht nur, welche Unternehmen 2009 und 2010 Geld aus dem staatlichen Deutschlandfonds erhielten, um die Krise zu überstehen. Die Firma ist auch mit der Prüfung von Kriseninstituten beauftragt - wie der FMS.

Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, der größten deutschen Aktionärsvereinigung, findet, die Wirtschaftsprüfer machten im Fall HRE keine gute Figur. Zwar seien sie auf die Zahlen angewiesen, die sie von Unternehmen bekommen. Außerdem sei noch unklar, ob es PwCs Schuld war. Dennoch, sagt er sueddeutsche.de: "Es sollte schon auffallen, wenn ein großer Betrag in den Bilanzen plötzlich von links nach rechts wandert."

Unübliches Vorgehen

Bei PwC will man es allerdings auch nicht gewesen sein: Die Wirtschaftsprüfer sagen, sie hätten beim Jahresabschluss 2010 der FMS keine Anhaltspunkte für Fehler gefunden. Erst im Sommer diesen Jahres seien sie darauf aufmerksam geworden. Außerdem habe man gar keinen Überblick über alle Bereiche bei der FMS gehabt: Diese habe einen Teil ihrer Bilanzprüfung ausgelagert.

Das irritiert Aktionärsvertreter Kurz: In Deutschland sei es absolut unüblich, dass ein Unternehmen sich gleichzeitig von zwei Bilanzprüfern unter die Lupe nehmen lasse.

Nachrichtenagenturen melden mittlerweile mit Verweis auf Bankenkreise, dass die HRE selbst die Zahlen ihrer Bad Bank FMS überprüft habe. Das würde bedeuten, dass die HRE-Buchhalter die Milliarden-Summe übersehen hätten.

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