Hohe Benzinpreise:Es gibt kein Kartell

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Benzin ist teuer wie lange nicht und die Autofahrer wittern eine Verschwörung der Ölindustrie. Zu Recht? Mitnichten - die Ursachen für die steigenden Preise sind andere.

Silvia Liebrich

Eine Tankfüllung Benzin oder Diesel für eine Handvoll Kleingeld - davon können Autofahrer in Deutschland nur träumen. Doch das gibt es tatsächlich: in Regionen, in denen das Unmögliche möglich erscheint, zum Beispiel das südamerikanische Land Venezuela, einer der größten Ölproduzenten weltweit. Vom Rohstoffreichtum profitiert auch die Bevölkerung an der Zapfsäule. Denn die Regierung von Hugo Chávez unterstützt Tankstellenbetreiber mit horrenden Subventionen - der Präsident weiß, was Autofahrer glücklich macht.

Auf so viel Verständnis seitens der Politik können Verbraucher hierzulande nicht zählen, ganz im Gegenteil. So sprach sich Bundespräsident Horst Köhler vor einigen Tagen sogar für noch höhere Kraftstoffpreise aus, um die Verbraucher in Deutschland zu einem sparsameren Umgang mit dem knappen Rohstoff Öl zu animieren und neue Energiequellen zu erschließen. Ein nicht gerade populärer Vorschlag angesichts dessen, dass der deutsche Staat schon heute durch Mineralöl- und Ökosteuer an den Kraftstoffpreisen kräftig mitverdient.

Dass Köhler mit seinem Vorstoß auf wenig Begeisterung trifft, überrascht nicht. Ostern steht bevor, Benzin und Diesel sind an den Zapfsäulen so teuer wie zuletzt vor Ausbruch der Finanzkrise, als ein Fass Öl noch 140 Dollar und mehr kostete - mit dem Unterschied, dass die Rohölnotierungen derzeit nur bei 80 Dollar liegen. Verbraucher wittern prompt Betrug und werfen den Tankstellenbetreibern illegale Absprachen und Preistreiberei vor. Automobilclubs sehen ihre Theorie vom Tankstellenkartell der Ölkonzerne wieder bestätigt und rufen nach mehr staatlicher Kontrolle. Dieses Ritual wiederholt sich regelmäßig vor Beginn der Ferienzeit. Berechtigt sind solche Vorwürfe aber noch lange nicht.

Die Protagonisten dieser Verschwörungstheorie begehen stets denselben Fehler. Sie unterstellen, dass hohe oder steigende Preise ein untrügliches Zeichen für einen Mangel an Wettbewerb sind. Dabei übersehen sie geflissentlich, dass die Preise für Benzin und Diesel auf dem deutschen Markt meist genauso schnell fallen, wie sie zuvor gestiegen sind und dies gleich mehrmals in der Woche oder gar täglich - Indizien dafür, dass der Wettbewerb durchaus funktioniert. Zu diesem Ergebnis kam im vergangenen Jahr auch das Bundeskartellamt in einem Zwischenbericht.

Niedrige Spritpreise sind im Gegenzug kein Beweis für einen funktionierenden Markt, das zeigt der Blick nach Venezuela. Zwar kostet der Liter Treibstoff die Autofahrer dort umgerechnet nur ein paar Euro-Cent. Möglich ist das nur, weil der Staat einen Großteil der tatsächlichen Kosten finanziert, mit Einnahmen aus dem Ölgeschäft, das Chávez in den vergangenen Jahren unter staatliche Kontrolle brachte, in dem er internationale Ölkonzerne mit Enteignungen drohte - von freiem Wettbewerb kann hier also nicht die Rede sein.

Unbestritten ist jedoch, dass der deutsche Tankstellenmarkt eine starke Aufsicht braucht, weil er nur von einer Handvoll Unternehmen dominiert wird, darunter BP/Aral, ExxonMobil/Esso, Shell, Total und Conoco-Philips/Jet. Eine Aufgabe, der das Bundeskartellamt durchaus gerecht wird. Kaum ein anderer Markt ist im internationalen Vergleich so streng reguliert. So ist der Verkauf unter Einstandspreisen verboten und die Besitzer freier Tankstellen dürfen nicht schlechter gestellt werden als konzerneigene Stationen. Klargestellt haben die Kartellwächter auch, dass sie keine weiteren Zusammenschlüsse unter den Großen dulden werden.

Ursache für den jüngsten Preisanstieg ist schlicht die weltweit anziehende Nachfrage nach dem schweren Einbruch durch die Finanzkrise. Der sprunghaft ansteigende Bedarf stößt auf ein knappes Angebot, bedingt durch verringerte Raffineriekapazitäten in Europa. Anlagen müssen hier auf lange Sicht geschlossen werden, um Überkapazitäten abzubauen, die den Konzernen Milliardenverluste einbrachten. In Deutschland sinkt der Kraftstoffverbrauch ohnehin seit Jahren, bis 2025 rechnet die Branche mit einem weiteren Rückgang um ein Viertel.

Tatsachen wie diese werden gern verschwiegen, vor allem von denjenigen, die mit plakativen Anschuldigungen populistische Effekthascherei betreiben und sich einer ernsthaften Diskussion entziehen. Dabei ist das Problem offensichtlich, die Ölvorräte gehen zur Neige. Wenn Bundespräsident Köhler also eine zukunftsichernde Energiepolitik einfordert, ist dies allemal weitsichtiger, als Benzin und Diesel wie in Venezuela einfach zu verschleudern.

© SZ vom 29.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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