Hilfsprojekt:Häuser statt Zelte

Chance auf Wohnung für Obdachlose

Wer keine Arbeit hat, hat oft auch keine Wohnung und muss sich anders behelfen, wie diese Obdachlosen in Berlin.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

In Stuttgart unterstützt die Ambulante Hilfe wohnungslose Menschen. Der gemeinnützige Verein betreut sie nicht nur, sondern baut für sie sogar Unterkünfte - und macht positive Erfahrungen.

Von Joachim Göres

Werner Lehmann (Name geändert) war lange in Stuttgart wohnungslos. Er hatte sich an keine Hausordnung gehalten, ist überall rausgeflogen und irgendwann auf der Straße gelandet. Chancen auf dem Wohnungsmarkt hatte er keine, zumal er schwer depressiv und Alkoholiker war. "Er brauchte eine eigene Wohnung, in der er nicht bevormundet wird und zugleich einen Begleiter, der sich regelmäßig um ihn kümmert. Beides konnten wir ihm bieten", sagt Michael Knecht. Er ist Geschäftsführer des Vereins Ambulante Hilfe in Stuttgart, der Wohnungslose und andere Menschen in sozialen Schwierigkeiten betreut und dabei durch eine besondere Aktivität ins Auge fällt: Die Ambulante Hilfe Stuttgart baut Häuser für die Betroffenen.

Dem gemeinnützigen Verein gehören derzeit 143 Wohnungen, innerhalb des nächsten Jahres sollen acht weitere fertiggestellt werden. Nicht viel angesichts des bundesweiten Rückgangs um 60 Prozent bei den Sozialwohnungen seit 1990. Durch die hohen Mietpreise hat zudem in vielen Ballungsräumen mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. "Mit unserer Aktivität können wir nicht die Probleme der Stadt Stuttgart lösen, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein", räumt Knecht ein und fügt hinzu: "Und dennoch ist es wichtig, weil wir durch unsere Bautätigkeit Menschen wirkungsvoll helfen können, die sonst keine Perspektive haben."

Die Grundstücke wurden von der Stadt erworben, im Rahmen des Erbbaurechts

Es sind vor allem alleinstehende Männer, die in den gut 40 Quadratmeter großen Wohnungen unterkommen, bei einer Miete von bis zu acht Euro pro Quadratmeter. Zu einem Gebäude gehören maximal 15 Wohneinheiten. "Wir wollen keine zu starke Ansammlung von Problemmietern", sagt Knecht. Er spricht von positiven Erfahrungen nach 30 Jahren als Bauträger und Vermieter: Im Durchschnitt gebe es nur alle zwei Jahre eine Räumungsklage, die Mietausfallquote liege bei zwei Prozent - eine Quote, die bei Wohnungsgesellschaften üblich sei. Die Grundstücke hat die Ambulante Hilfe von der Stadt Stuttgart im Rahmen des Erbbaurechts für 99 Jahre erworben, die Finanzierung der Baukosten läuft über öffentliche Mittel und zinslose Darlehen aus einem Fonds des Diakonischen Werks. "In Stuttgart wird es für uns immer schwieriger, städtische Grundstücke zu bekommen", blickt Knecht nicht ohne Sorgen in die Zukunft.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe spricht von mehr als einer Million Menschen, die derzeit in Deutschland keine Wohnung haben und deswegen zeitweise in Notunterkünften oder bei Freunden unterkommen, Tendenz steigend. Mehr als 50 000 leben auf der Straße. Für die meisten Beratungsstellen ist die Wohnraumvermittlung an Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten ein zentrales Thema. Dabei treten sie in einigen Städten als Vermieter auf.

Axel Steffen nennt in seiner Masterarbeit im Studiengang Sozialarbeit an der Uni Bremen Einrichtungen in Karlsruhe (Sozialpädagogische Alternativen), Darmstadt (Neue Wohnraumhilfe), Kassel (Evangelische Wohnraumhilfe), Hannover (Soziale Wohnraumhilfe), Lüneburg (Soziale Wohnraumhilfe), Hamburg (Lawaetz-Service) und Bremen (Wohnungshilfe), die in ihren Städten Wohnungen von Wohnungsgesellschaften oder von Privatleuten anmieten, um sie dann an ihre Klientel meist unbefristet unterzuvermieten. Der Vorteil für den Eigentümer: Zieht der Bewohner kurzfristig aus, zahlt er seine Miete nicht pünktlich oder verursacht er größere Schäden, springt die Betreuungseinrichtung finanziell ein. Zudem kümmert sie sich um die soziale Situation seines Mieters.

In Hannover leben etwa 500 Menschen auf der Straße, 1500 in Notunterkünften, weitere 3500 haben keine Wohnung. Die Soziale Wohnraumhilfe (SWH), eine gemeinnützige GmbH, hat um die 180 Wohnungen vor allem von Wohnungsgesellschaften in der niedersächsischen Landeshauptstadt angemietet. Sozialarbeiter der Wohnraumhilfe entscheiden über die Belegung, wenn eine Wohnung zu vergeben ist. Der Bedarf ist groß: Auf eine freie SWH-Wohnung kommen 20 Bewerber - darunter junge Leute, die bei den Eltern rausgeflogen sind, Frauen aus Frauenhäusern, Häftlinge nach ihrer Entlassung. "Über 80 Prozent der Wohnungslosen suchen eine eigene Wohnung und sind auch in der Lage, dort selbständig zu leben", sagt SWH-Geschäftsführer Jürgen Schabram.

Die Chancen steigen in diesem Jahr, weil 77 neue Wohnungen in den SWH-Bestand hinzukommen. Die Fluktuation in den untervermieteten Wohnungen ist gering. "Die meisten wohnen jahrelang dort. Sie müssen Ruhe finden und ihre Probleme bearbeiten, das gelingt nur langfristig. Viele sind vereinsamt und verunsichert. Immerhin jeder Fünfte schafft es auch wegen der Wohnung, wieder eine Arbeit zu finden", sagt Schabram.

Neben dem Neubau ist auch der Erhalt bestehender Mietverhältnisse, die durch Mietschulden häufig gefährdet sind, ein Thema. Dazu tragen in großem Maße Leistungskürzungen für Hartz-IV-Empfänger bei. Die Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe ist eindeutig: "Die Kürzungsmöglichkeiten der Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der Sanktionierung von Pflichtverletzungen im Sinne des SGB II sind ersatzlos zu streichen."

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