Handzeichen der Broker:Deutsche Bank mit Hitler-Bart

Ein Händler aus Chicago will die aussterbende Zeichensprache auf den Börsenparketts für die Nachwelt erhalten - doch gegen Computer haben Symbole keine Chance. Ohnehin sind manche, etwa für die Deutsche Bank, fragwürdig.

Nikolaus Piper, Chicago

Der Parketthandel heißt hier Open Outcry und jeder versteht, warum dies so ist: Angebot und Nachfrage werden ausgerufen, in voller Lautstärke. Im Grain Room des Chicago Board of Trade werden an jedem Werktag zwischen 9.30 Uhr und 13.15 Uhr die Weltmarktpreise für Mais, Sojabohnen, Weizen und Reis gemacht.

Broker an der Börse in London, 2000

Lautes Geschrei und viele Menschen: Die Zeichensprache war jahrelang die einzige Möglichkeit, auf Transaktionen aufmerksam zu machen. Jetzt wird sie von Computern abgelöst.

(Foto: ag.ap)

Über 800 Händler sind registriert, sie wickeln täglich mehr als 150.000 Geschäfte ab und produzieren dabei einen ohrenbetäubenden Lärm. Es ist so laut, dass man sich fragt, wie dabei überhaupt Geschäfte zustande kommen. Das englische fifteen für 15 ist schon bei normalem Geräuschpegel schwer von fifty (50) zu unterscheiden, wie ist es erst dann, wenn ein paar hundert Leute durcheinander brüllen?

Die Antwort auf diese Frage heißt: Zeichensprache. Die Händler der Chicagoer und anderer Terminbörsen haben ein System von Handsignalen entwickelt, mit Hilfe dessen sie sich bei jedem Lärmpegel verständigen können. Zeigt ein Händler seinem Gegenüber zum Beispiel die Handrücken, dann bedeutet es, dass er kaufen will; zeigt er die Innenfläche der Hände, möchte er verkaufen. Ein Zeigefinger ans Kinn gelegt steht für eins, Zeige- und Mittelfinger waagrecht am Kinn bedeuten sieben.

Ein Zeichen für die Zeichen setzen

Diese Zeichensprache tut seit Jahrzehnten ihren Dienst, sie hat jetzt nur ein Problem: Sie stirbt aus. Die Arbeit der Händler - Angebot und Nachfrage zusammenzubringen - schafft der Computer schneller und effektiver. Der Grain Room ist zwar eine eindrucksvolle Kulisse, doch hier werden nur noch weniger als ein Viertel aller Kontrakte abgewickelt, den Rest erledigen Rechner, mit denen die Menschen schweigend über Maus und Tastatur kommunizieren.

Noch stärker ist der Trend, wenn man auch Terminkontrakte auf Finanzprodukte einrechnet: Vor zehn Jahren wurden 85 Prozent des Handels auf dem Parkett abgewickelt; heute sind es ganze zwölf Prozent. In nicht allzu ferner Zukunft wird niemand mehr wissen, wie man mittels seiner Hände ein Geschäft abschließt.

Hier tritt nun Ryan Carlson auf. Der 30-jährige Börsenhändler aus Chicago beschloss vor zwei Jahren, das kollektive Erbe des Börsenparketts für die Zukunft zu bewahren. "Es begann Anfang 2008 zufällig damit, dass Verwandte meiner Frau fragten, was diese ganzen Zeichen eigentlich bedeuten. Ein paar meiner Freunde beschäftigen sich mit Webdesign und das Thema war eine tolle Gelegenheit, etwas zusammen zu machen."

So entstand die Website www.tradingpithistory.com, auf der Carlson mittlerweile 244 Handzeichen gesammelt hat. Für ihn ist daraus eine Mission geworden. Wie ein Linguist, der die letzten Sprecher eines untergehenden Idioms besucht, befragt Carlson Händler nach ihren Erinnerungen.

Hitler-Bart und Schlitzaugen

Ryan Carlson selbst begann als 18-Jähriger mit dem Handel am kleinen Kansas City Board of Trade und zog ein Jahr später nach Chicago, um an den beiden Rohstoff- und Terminbörsen Chicago Board of Trade und Chicago Mercantile Exchange (CME) - die beiden Unternehmen haben inzwischen fusioniert - zu arbeiten. Bei seinen Archivarbeiten geht es ihm auch um Grundsätzliches.

Wenn das Börsenparkett verschwindet, dann verschwinde nicht nur die Zeichensprache, sagt er. "Der Pit (Börsenstand) war ein wunderbarer Ort, an dem man durch Beobachtung anderer lernen konnte, wie man handelt und Risiken begrenzt. Da jeder Händler verantwortlich war für sämtliche Konsequenzen aus seinen Geschäften, wurde sehr großer Wert darauf gelegt, Risiken zu minimieren. Das fehlt in der heutigen Finanzstruktur."

Die Zeichensprache ist eine Spezialität des Terminhandels; Aktienhändler kommen mit wenigen Informationen aus und brauchen, außer der Sprache, kein weiteres Kommunikationsmittel. Die meisten Handzeichen wurden nie offiziell eingeführt, sondern entwickelten sich spontan. Gelegentlich entschieden auch Pit Commitees, etwa, wenn ein neues Finanzprodukt eingeführt wurde.

Das Bild zählt

Viele Handzeichen sind verblüffend simpel. Das Symbol für "Januar" ist eine Hand, die den Hals bedeckt (es ist kalt und man braucht einen Schal). Wer einen Mai-Kontrakt verkaufen will, hält das Revers seiner Jacke fest - weil es im Mai in Chicago besonders windig ist. Das Symbol für Goldman Sachs ist ein Daumen auf dem Ringfinger (dem Platz für Goldringe).

Politische Korrektheit ist den Händlern fremd. So ist das Symbol für den Yen ein Zeigefinger im Augenwinkel, was ein Schlitzauge andeuten soll. Das Symbol für die Deutsche Bank sind zwei Finger unter der Nase - ein Symbol für Hitlers Schnurrbart. Das Zeichen schaffte sogar den Sprung über den Atlantik und wurde an der Londoner Terminbörse Liffe benutzt, sagt Carlson. "Aber die Deutschen konnten zuletzt lachen. Als die Deutsche Börse eine elektronische Version des Handels mit zehnjährigen Bundesanleihen einführte, wanderte das gesamte Handelsvolumen von London nach Frankfurt." Auch das Symbol für die D-Mark war übrigens der Hitler-Bart.

Carlson selbst verließ das Börsenparkett 2005. Er spezialisierte sich auf den Terminhandel mit Eurodollars, also mit auf Dollar lautenden Finanzprodukten, die jenseits der amerikanischen Grenzen angeboten werden. Und der wird heute zu 98 Prozent elektronisch abgewickelt. Mit dem Computer habe er viel mehr Möglichkeiten, als wenn er physisch auf dem Parkett präsent wäre. "Die Leute handeln noch im Pit, aber das geschieht oft zu Lasten ihrer eigenen Zukunft. Je länger sie den Wechsel zum PC hinausschieben, desto schwerer fällt ihnen die Anpassung. Und wenn der Pit schließt, dann ist auch ihre Karriere zu Ende."

An seinem heutigen Arbeitsplatz braucht Carlson auf jeden Fall keine Zeichensprache. Es ist seine Wohnung.

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