Handel mit Zertifikaten:Wetten für Könner

Seit fünf Jahren boomt der Zertifikatemarkt. Doch im Rennen um das passende Papier muss der Anleger sich auskennen - beim Kauf gibt es einiges zu beachten.

Philipp Mattheis

Im Supermarkt helfen die Stiftung Warentest oder das Bio-Siegel bei der Kaufentscheidung. Auf dem Finanzmarkt waren Anleger bei der Wahl des richtigen Produkts bisher auf sich selbst gestellt. Seit über fünf Jahren boomt der Zertifikatemarkt: Ende August waren an der Stuttgarter Börse, der Euwax, 190.000 Zertifikate gelistet.

Handel mit Zertifikaten: Wer auf das beste Pferd setzen möchte, sollte sich vor dem Rennen informieren. So verhält es sich auch auf dem Zertifikatemarkt.

Wer auf das beste Pferd setzen möchte, sollte sich vor dem Rennen informieren. So verhält es sich auch auf dem Zertifikatemarkt.

(Foto: Foto: ddp)

Wer sich im Internet auf den Seiten von Onvista oder Finanztreff auf die Suche begibt, wird von den Ergebnissen oft erschlagen. Zum Beispiel führt die Anfrage "Discount-Zertifikat" und "Dax Performance-Index" zu über 7600 Ergebnissen. Wie wählen Anleger aus diesem Riesenangebot das beste Papier für sich aus? Was unterscheidet überhaupt ein gutes Zertifikat von einem schlechten?

Ratingsysteme für die Anleger

"Harte Qualitätskriterien bei Zertifikaten sind mit Ausnahme der Konditionen eher schwer auszumachen, da die Konstruktionen sehr ähnlich sind", sagt Dirk Hess, Zertifikatespezialist beim Emittenten Goldman Sachs. "Unterschiede gibt es allerdings bei weichen Kriterien, die auf den ersten Blick nicht so entscheidend wirken."

Seit kurzem bieten verschiedene Unternehmen aber Ratingsysteme, die Anleger bei der Kaufentscheidung unterstützen sollen. Dazu werden die Zertifikate nach einem einheitlichen Verfahren bewertet. Die European Derivatives Group (EDG) beurteilt seit Anfang Juni kostenfrei Zertifikate anhand objektiver Kriterien und des individuellen Risikoprofils. Das Risikoprofil wurde zusammen mit der Branchenvereinigung Deutscher Derivate Verband entwickelt. Bis zu fünf Sterne kann ein Zertifikat von der EDG erhalten. Die Sterne werden in Risikogruppen von "sicherheitsorientiert" bis "spekulativ" vergeben.

Ähnlich geht die Firma Scope vor, während die Münchner FWW Rating Schulnoten von 1 bis 6 vergibt. Tatsächlich ist es sinnvoll, bei der Auswahl von Zertifikaten das Urteil der Profis miteinzubeziehen. Gerade was die Produktkonstruktion und den daraus resultierenden Preis des Zertifikats betrifft, sind Privatanleger oft überfordert. Aus welchen Bestandteilen sich zum Beispiel ein Bonus-Zertifikat zusammensetzt (in den meisten Fällen handelt sich dabei um Optionen auf dem Terminmarkt) und wie sich die Kursentwicklung der einzelnen Komponenten auf den Preis des Zertifikats auswirkt, ist für Laien nicht nachzuvollziehen. Diese Intransparenz wird von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) seit langem kritisiert.

Preisvergleich bei gleicher Ausstattung

Um dennoch zu einem Urteil zu gelangen, bleibt nur der Preisvergleich konkurrierender Papiere. "Sofern Produkte mit gleicher Ausstattung verfügbar sind, sollten Anleger deren Preise vergleichen", sagt Philipp Henrich, Geschäftsführer der EDG. "Unterschiede bis zu einem Prozent findet man häufig." Wer sich nicht völlig auf das Urteil der Profis verlassen will, sollte beim Kauf eines Zertifikats zumindest folgende Punkte beachten:

"Ein besonders niedriger, aber auch konstanter Spread ist der erste Schritt zu einem Handelsgewinn", sagt Claudia Vogl-Mühlhaus von Scope Analysis. Als Spread bezeichnet man die Spanne zwischen An- und Verkaufskurs (auch Brief und Geld genannt). "Da bei Zertifikaten in der Regel keine Managementgebühren anfallen, verbergen sich im Spread die Gebühren der Emissionsbank", erklärt die Analystin. Egal für welches Produkt sich Anleger entscheiden - der Kaufkurs liegt automatisch immer über dem Verkaufskurs.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es so wichtig ist, dass der Kunde versteht, was er kauft.

Wetten für Könner

So kostet ein Discount-Zertifikat auf den Dax zum Beispiel im Einkauf 64,23 Euro, während der Verkaufspreis zur selben Zeit bei 64,22 Euro liegt. Klingt nach Kleinvieh, doch gerade das kann bekanntlich bei größeren Orders auch Mist machen. Eine Standardregel, wie hoch der Spread sein sollte, gibt es allerdings nicht.

Bei ausländischen und exotischen Basiswerten ist die Spanne größer als bei Zertifikaten, die sich auf den Deutschen Aktienindex beziehen. Manchmal verändert sich die Spanne auch innerhalb eines Tages: Der Spread bei Zertifikaten mit amerikanischen Basiswerten zum Beispiel sinkt, sobald die US-Börsen geöffnet haben, und steigt, wenn sie schließen.

Bonität des Emittenten

Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen - das ist der große Unterschied zu Investmentfonds. Während bei Fonds bei einem Konkurs der Kapitalanlagegesellschaft das Kapital der Anleger geschützt ist, haben Besitzer von Zertifikaten keine Sicherheit. Im Klartext bedeutet das: Geht der Emittent pleite, ist auch das eingesetzte Kapital verloren.

Was jahrelang nach Schwarzmalerei klang, hat mit der Bankenkrise an Aktualität gewonnen. Allerdings bieten Banken, deren Bonität schlechter ist, ihren Kunden bessere Konditionen für ihre Zertifikate, so wie sie auch für ihre Bankschuldverschreibungen höhere Zinsen zahlen müssten als Banken mit besserer Bonität.

Nur noch Experten haben den Überblick

"Am wichtigsten ist, dass der Kunde versteht, was er kauft", sagt Philipp Henrich von der EDG. "Enttäuschungen entstehen meistens wegen missverstandener Produkte." Mittlerweile ist der Markt mit so vielen Konstruktionen überschwemmt, dass nur noch Experten den Überblick behalten können. Auch auf einheitliche Produktnamen konnten sich die Emittenten bisher nicht einigen. Prinzipiell gilt: Anleger sollten niemals ein Zertifikat kaufen, dessen Funktionsweise sie nicht sicher verstanden haben.

Verstehen aber ist ein zweiseitiger Prozess. Wer gut erklärt, wird leichter verstanden. Während manche Emittenten nur ein Termsheet oder einen Verkaufsprospekt in englischer Sprache anbieten, gibt es bei der Konkurrenz umfangreiche Broschüren auf Deutsch und ein nützliches Internetangebot - zum Beispiel Szenarien-Rechner, die den Kurs des Zertifikats für verschiedene Situationen berechnen.

Erfahrung ist wichtig

Zertifikate können entweder wie Aktien an der Börse gehandelt werden oder direkt beim Emittenten. Beim außerbörslichen Handel verpflichten sich die Banken, ihre eigenen Produkte anzubieten und sie in jedem Fall auch zurückzunehmen. Vorteil beim außerbörslichen Handel ist, dass Zertifikate auch vor und nach Börsenschluss (zum Beispiel um 21 Uhr oder 8 Uhr früh) gehandelt werden können und die Gebühren geringer sind.

Dieser Service unterscheidet sich allerdings in manchen Punkten. Immer wieder tauchen Beschwerden von Kunden auf, wonach der Emittent bei starken Kursschwankungen das Produkt nicht zurückgenommen beziehungsweise zum Kauf angeboten habe. Bei der EDG werden deswegen die Ausführungsgeschwindigkeiten der Order gemessen und fließen so in die Bewertung ein. Für den Privatanleger spielt letztlich die persönliche Erfahrung die größte Rolle.

Handelskosten, Bonität, Prospekte und die angebotenen Handelszeiten fallen bei der Auswahl zwar ins Gewicht. Entscheidend ist aber, dass Sparer zuvor gründlich überlegen, welchen Zertifikatetyp sie überhaupt kaufen wollen. Wer in den Supermarkt geht, um eine Flasche Rotwein zu holen, will ja auch nicht mit einer Cola herauskommen, bloß weil die fünf Cent billiger war.

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