Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Schöne Aussichten

Der Fernsehturm der Hansestadt soll 2023 wieder zu besichtigen sein - nach einem dann 22-jährigen Dornröschenschlaf. Was beim "Telemichel" klappt, könnte auch bei anderen TV-Türmen in Deutschland funktionieren.

Von Sabine Richter

Generationen von Hamburgern und unzählige Touristen haben im Drehrestaurant des Fernsehturms in etwa 125 Metern Höhe Kaffee und Kuchen und die Aussicht über die Stadt genossen. Doch das ist nun auch schon lange her. Seit Januar 2001 ist das 1968 eröffnete Bauwerk, das damals 57,2 Millionen D-Mark kostete, wegen geringer Besucherzahlen geschlossen. "Die Deutschen interessierten sich in diesen Jahren für die weite Welt und nicht für die Reize ihrer Heimat", erklärt Benedikt Albers, Pressesprecher der Deutsche Funkturm GmbH (DFMG). Ein Trend, der sich inzwischen nachhaltig verändert habe, unschwer zu erkennen an der wachsenden Beliebtheit deutscher Reiseziele, insbesondere auch der großen Städte. Davon profitieren auch die Fernsehtürme.

Nachdem das Restaurant im Turm geschlossen hatte, wurde der Leerstand dafür genutzt, um die Asbestsanierung vorzunehmen. Immer wieder gab es danach Versuche, den "Telemichel", offiziell nach dem Physiker Heinrich-Hertz-Turm genannt, zu eröffnen. Verschiedene Gruppen entwickelten unterschiedlichste Visionen, wie das Hamburger Wahrzeichen, mit 278,5 Metern das höchste Gebäude der Stadt, wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnte. Für viele Hamburger war es unfassbar, dass das Wahrzeichen so lange leer stand, zumal ein Abriss nicht in Frage kam. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und ist nach wie vor Träger von Telekommunikations- und Sendeeinrichtungen.

In vielen Metropolen gehören Fernsehtürme zum Stadtbild und haben sich als Wahrzeichen etabliert - dabei ist ihre Geschichte relativ jung. In den Sechzigerjahren wurde in Deutschland, zumeist auf Anhöhen, ein engmaschiges Netz von etwa 500 Fernmeldetürmen gebaut, um vor allem Fernseh- und Radiosignale überall in Deutschland zu verbreiten.

Die Gastronomie auf der Plattform wird Feinkost Käfer aus München übernehmen

Die heute etwas aus der Zeit gefallen wirkenden Türme sind trotz Kabel- und Satellitenfernsehen aber nach wie vor profitabel und ein signifikanter Bestandteil der heutigen Funkinfrastruktur. Bruno Jacobfeuerborn, Geschäftsführer Deutsche Funkturm, erklärt das am Beispiel Berlin: "Die Bezeichnung Fernsehturm wird seiner Bedeutung als Berlins wichtigster Funkstandort eigentlich nicht gerecht. Tatsächlich kann der Fernsehturm viel mehr als nur Fernsehen. Er versorgt die Region in einem Radius von bis zu 100 Kilometern mit verschiedensten Funkdiensten." Dazu zählen analoges und digitales Radio, leistungsstarke Richtfunkverbindungen unter anderem für Mobilfunk, Behördenfunk, Internetdienste sowie speziellen Funknetze für Unternehmen wie die Berliner Verkehrsbetriebe oder den Deutschen Wetterdienst. "Und auch in Zukunft wird der Fernsehturm ein unverzichtbarer Bestandteil der Medieninfrastruktur Berlins bleiben. So wird er beispielsweise für den neuen Kommunikationsstandard 5G eine wichtige Rolle spielen", sagt Jacobfeuerborn.

Neben der Technik sollen auch die Menschen wieder in den Türmen Platz haben. Nach einer jahrelangen Hängepartie soll es in Hamburg tatsächlich bald so weit sein. Bis 2023 soll das Wahrzeichen nach seinem fast 20-jährigen Dornröschenschlaf revitalisiert werden. Vor Kurzem hat Jacobfeuerborn drei neue Betreiber und ihre Pläne vorgestellt: Die stadteigene Hamburg Messe und Congress GmbH (HMC) mit ihrem Chef Bernd Aufderheide, Philipp Westermeyer, Gründer des Digitalfestivals OMR und Geschäftsführer der Ramp106 GmbH, sowie Tomislav Karajica, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Großveranstaltung Home United GmbH. "Die Betreiber haben einen Pachtvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren unterschrieben. Das Konzept hat uns durch die Kombination aus klassischem Ausflugsziel und innovativen Veranstaltungselementen überzeugt", sagt Jacobfeuerborn.

Die Aussichtsplattform im Hamburger Fernsehturm soll das ganze Jahr über geöffnet sein. Die Gastronomie auf der Plattform wird Feinkost Käfer aus München übernehmen. Die darüberliegende Fläche mit dem ehemaligen Drehrestaurant soll für unterschiedlichste Veranstaltungen und Präsentationen genutzt werden - für Ausstellungen, Kulturveranstaltungen und Events. Auf beiden Ebenen ist Platz für etwa 400 Personen. Auch die Hamburger sollen hier ihre Familienfeiern ausrichten können, für das Catering müssen die Kunden aber nicht auf Käfer zurückgreifen. Ziel ist, die Immobilie wieder zu einem profitablen Publikumsmagneten zu machen. Hamburg schießt für den Betrieb kein Geld zu. Die Bauarbeiten sollen 2022 starten, Ende 2023 soll die Wiedereröffnung gefeiert werden.

Aber zuerst muss der Fernsehturm noch weiter saniert werden. Vor allem der Brandschutz muss auf den neuesten Stand gebracht werden. Auch die Aufzüge werden modernisiert. Am Fuße des Turms soll außerdem ein neues Eingangsgebäude entstehen, hier wird auch die Küche untergebracht. Oben darf wegen der Brandgefahr - wie in allen Türmen - nämlich nicht gekocht werden. Die gastronomische Nutzung in der Höhe ist daher eine besondere Herausforderung. Da der Hamburger Fernsehturm von hohem touristischen Interesse ist, stellen der Bund und die Stadt etwa 37 Millionen Euro zur Verfügung. Den Innenausbau der öffentlichen Flächen finanzieren die Betreiber selbst.

Die Menschen haben jetzt wieder Lust darauf, ihre Stadt zu entdecken

Eigentlich sollte der Fernsehturm schon seit Jahren wieder für das Publikum geöffnet sein. Es gab viele verschiedene Ansätze und Vorschläge. Sie scheiterten am Denkmalschutz, der baulichen Umsetzbarkeit und den hohen Sanierungskosten. Die architektonisch spektakulärste Idee kam vom dänischen Architekten Christian Bay Jørgensen. Er plante, eine Hülle um den Turm zu bauen, der zusätzlich als Hotel dienen sollte.

Eine andere Idee stammte von dem Winzer Heinfried Strauch, der in Rheinland-Pfalz ein Weingut betreibt und in Hamburg mehrere Weinläden besitzt. 2015 wurde die Stiftung "Fernsehturm - Hamburg Aufwärts" gegründet, über die die Sanierung und der Betrieb des Turms finanziert werden sollte und die mit Fachleuten solide besetzt war. Doch nach einem hoffnungsvollem Start - die Stiftung hatte von der Besitzerin DFMG bereits einen Pachtvertragsentwurf erhalten, das Bezirksamt der Arbeitsgemeinschaft einen positiven Bauvorbescheid erteilt - ging die Sache schief. Die DFMG widerrief die Absichtserklärung.

An einer europäischen Ausschreibung beteiligten sich dann mehrere Bewerber, auch die Betreiber des Berliner Fernsehturms sollen dabei gewesen sein. Als Favorit galt zunächst die Hamburger Supermarktkette Edeka, die sich mit dem Gastronomen Patrick Rüther und Fernsehkoch Tim Mälzer an der Ausschreibung beteiligt hatte. Aber dann stieg das Unternehmen aus, "aufgrund der unzumutbaren vertraglichen Rahmenbedingungen", wie es von dem Konzern hieß.

Die Geschichte des Hamburger Fernsehturms ähnelt dem vieler anderer in Deutschland. "13 der 500 Fernsehtürme in Deutschland, die meisten im Besitz der Telekom-Tochter Deutsche Funkturm, waren von Anfang an auch für eine gastronomische Nutzung ausgelegt", erklärt Benedikt Albers. Bis in die Neunzigerjahre habe das auch sehr gut funktioniert. Dann blieben die Besucher aus, der Blick über die Stadt erschien nicht mehr reizvoll zu sein. Und so wurden die Türme in Dresden, Schwerin, Frankfurt, Köln, Nürnberg und Kulpenberg im Thüringer Kyffhäusergebirge für die Öffentlichkeit geschlossen. Der Dortmunder Turm kann jedoch noch als Aussichtsplattform besucht werden.

"Seit einigen Jahren erleben wir wieder ein sehr großes Interesse an den Funktürmen", sagt Albers. Zwar sind wegen der Corona-Krise derzeit viele Türme und Restaurants geschlossen. Langfristig, hoffen die Investoren, entwickeln sich die Bauwerke aber wieder zu Sehnsuchtsorten. Nicht nur in Hamburg, sondern zum Beispiel auch in Dresden haben sich Fernsehturmvereine gebildet, die sich sehr aktiv für eine Wiedereröffnung einsetzen. In Frankfurt und Schwerin geht die Initiative vor allem von der Politik aus. Die Städte und der Bund Geld haben angekündigt, im Rahmen der Denkmalförderung Geld dazuzugeben.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020
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