Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Neues Leben

Weniger Autos, mehr Grünflächen, neue Konzepte: Wie eine Initiative die Hamburger Altstadt wieder attraktiver machen will.

Von Sabine Richter

Wenn Bürger bei Bauvorhaben mitreden wollen, geht es oft darum, etwas zu verhindern. Es geht gegen neue Projekte, Nachverdichtung, das Versiegeln von Flächen, allzu häufig nach dem Motto "Neubau gern, aber nicht hier". In Hamburg findet Bürgerbeteiligung derzeit anders statt - ideenreich, kompetent und konstruktiv, mit Ergebnissen, die beeindrucken. "Altstadt für alle!" heißt das Bürgerbündnis, das sich für die Erneuerung der Stadt einsetzt. Getragen wird die Initiative von der Patriotischen Gesellschaft von 1765, der Evangelischen Akademie der Nordkirche und der Bürgerinitiative "Hamburg entfesseln!".

Den Impuls zur Gründung gab die Olympiaplanung der Stadt Hamburg, die erstmals seit Jahrzehnten eine breite öffentliche Debatte um die Zukunft der Innenstadt ausgelöst hatte. Nachdem die Bewerbung von den Bürgern im November 2015 gestoppt wurde, entstand zunächst ein Vakuum. Dies war Anlass für die Gründung der Gruppe "Hamburg entfesseln!", in der sich unterschiedliche Initiativen, Arbeitskreise, Vereine und Institutionen zusammenfanden. Mehr als 400 Menschen haben in den vergangenen Monaten in Veranstaltungen und Arbeitsgruppen Ideen für eine lebendige und vielseitige Innenstadt diskutiert. An die Stelle einer "Olympiavision" sollte die konkrete Idee von einer bunt gemischten und nachhaltigen Stadt treten, die sich an den Zielsetzungen der "Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt", der EU-Agenda "Pakt von Amsterdam" oder auch an den Oberzielen des "Innenstadtkonzepts Hamburg" von 2014 orientiert.

Die wenig besuchte, abends "tote" Innenstadt soll wieder ein echtes Stadtzentrum werden

Der Zeitpunkt ist günstig: Im Herzen Hamburgs, zwischen Binnenalster und Speicherstadt, Kunsthalle und Oberhafenquartier, sei eine Vielzahl von Projekten am Start, die, vernünftig geplant, Hamburgs City beleben und erneuern könnten, sagt Jörg Herrmann, Direktor der Evangelischen Akademie der Nordkirche. Die Initiative "Altstadt für alle!" will diese Bauvorhaben durch eine stärkere zivilgesellschaftliche Beteiligung mitentwickeln. Ziel ist, die von den Hamburgern wenig besuchte, abends "tote" Innenstadt wieder zu einem echten Stadtzentrum zu machen. Statt Bürogebäuden und Parkhäusern soll ein lebenswertes Wohn- und Geschäftsquartier mit Wegen und Plätzen für Begegnung und Kultur entstehen. Anders als viele europäische Städte habe Hamburg keine organisch gewachsene Altstadt mehr. Kriegszerstörungen und später die Orientierung am Ideal einer "autogerechten Stadt" hätten zu einer Fragmentierung des Stadtkerns geführt, erklärt Herrmann.

"Wir wollen einen ergebnisoffenen Prozess. Wir müssen die Leute begeistern", sagt auch Dieter Läpple, Stadtplaner an der Hafencity-Universität. "Pläne gibt es genug", sagt er. "Das entscheidende Problem ist: Wir müssen die Luft zwischen Erkenntnis und Handeln überwinden." In Städten wie Kopenhagen, Barcelona, New York oder Marseille hätten solche Prozesse nur deshalb erfolgreich umgesetzt werden können, weil es entweder "mutige Politiker" gegeben habe oder "Gruppen, die so etwas wollten".

Diese Gruppe will - und arbeitet deshalb systematisch an Sichtbarkeit, Öffentlichkeit und Medienresonanz. "Wir haben neben Pressekonferenzen sogenannte Roadshows veranstaltet, Frühstückseinladungen für die Politik, Immobilienwirtschaft und andere relevante Adressaten, auf denen wir unsere Ideen vorgestellt haben", so Herrmann. Inzwischen bestehe ein enger Austausch mit der Hamburger Politik. Einige Vorschläge sind bereits in Planung oder Umsetzung.

Viele der Vorhaben sind kleine, aber lokal bedeutsame Projekte, die auf die Wiederbelebung alter Wegeverbindungen, auch auf dem Wasser, zielen. Fahrt aufgenommen hat zum Beispiel der Vorschlag, südlich und nördlich des Hamburger Hauptbahnhofs durch die Überdeckelung der Bahngleise einen großen Platz für eine Freizeitnutzung und die Verbindung zum Gebiet östlich des Hauptbahnhofs zu schaffen. Der Vorschlag werde heiß diskutiert, so Herrmann. Die Vision des Architekturbüros Reichwald-Schultz sieht vor, über die Gleise an der Südausfahrt ein Dach zu spannen und dieses mit einem "grünen Teppich" zu versehen. "Dieser Park soll Bahnhof, Museum, Stadt und Bibliothek verbinden", sagte Marc-Philip Reichwald. Diese Idee ist Herzstück des Projekts Kulturboulevard, das die Kultureinrichtungen auf den ehemaligen Wallanlagen zwischen Elbe und Alster miteinander verbindet.

Der Vorschlag, schrittweise die Willy-Brandt- und Ludwig-Erhard-Straße zurückzubauen und damit die nach dem Zweiten Weltkrieg mitten durch Hamburgs Innenstadt geschlagene Schneise zu schließen, wurde von der Hamburger Lokalpresse mit großer Zustimmung aufgegriffen und wird inzwischen auch von der Hamburger Handelskammer unterstützt.

Der Autoverkehr spielt bei allen Überlegungen eine wichtige Rolle. Etwas bewundernd schauen die Initiatoren von "Altstadt für alle!" auf Städte wie London, Oslo und Stockholm, die mit Citymaut-Konzepten den privaten innerstädtischen Autoverkehr nachhaltig verringern konnten. Sogar die Autostadt Paris habe das linke und rechte Seine-Ufer für den Autoverkehr gesperrt.

"Das Umfeld der Kirchen wird heute stadträumlich zu wenig genutzt."

Der Bezirk will inzwischen auch das in die Jahre gekommene Parkhaus Neue Gröninger Straße durch einen Wohnkomplex ersetzen. Frank Engelbrecht, Hauptpastor von St. Katharinen und Gründungsmitglied der Initiative, schlägt vor, das Parkhaus zum "Gröninger Hof" zu transformieren, die Untergeschosse zu erhalten und dort Nachbarschaftseinrichtungen unterzubringen. "Wir setzen uns für ein bunt gemischtes soziales Pilotprojekt mit günstigen Wohnungen, Gemeinschaftsräumen und Gewerbe an diesem Standort ein", sagt Engelbrecht.

Das Business-Improvement-District (BID) Rathausquartier soll zum Community Improvement District (CID) weiterentwickelt werden. Dieses Ziel soll durch eine temporäre Autofreiheit unterstützt werden, deren Wirkung wissenschaftlich untersucht werden soll. Eine Mehrheit der hier aktiven Gastronomen hat sich bereits dafür ausgesprochen.

Auch die Kirchen könnten eine neue, erweiterte Funktion bekommen, regt Jörg Herrmann an. Sie können sich zu Orten der Kunst, zu Stadthallen weiterentwickeln, in denen Kultur, demokratischer Diskurs und Alltagsthemen mehr Platz finden als die gegenwärtige Begrenzung auf Hochkultur und religiöse Praxis. "Das Umfeld der Kirchen wird heute stadträumlich zu wenig genutzt, hier könnten die Kirchen sich aktiv einbringen", so Herrmann.

Die Organisatoren sehen sich auf einem guten Weg. "Die große Resonanz auf unsere Aktivitäten und unsere ersten Erfolge zeigen, wie wichtig unser zivilgesellschaftliches Engagement ist", betont Wibke Kähler-Siemssen, Geschäftsführerin des Trägers Patriotische Gesellschaft. Und Frank Engelbrecht sagt: "Ich glaube, die Zeit ist reif für einen mutigen Stadtumbau, der sich an den Menschen orientiert und in den sich Ökonomie und Finanzen einfügen, statt zu diktieren."

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SZ vom 28.12.2018
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