Hamburg:Alle in einem Boot

Olympia-Referendum in Hamburg

Hamburg braucht Flächen, um Wohnungen bauen zu können. Ein Gebiet dafür ist die Hafen-City. Die Stadt erwägt auch, den Kleinen Grasbrook planerisch aus dem Hafengebiet zu entlassen, was für helle Aufregung sorgt.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Mit einem neuen Bündnis kämpft die Stadt gegen die Wohnungsnot. Die Vertreter unterschiedlichster Interessen sind sich über die Ziele einig - 10000 Unterkünfte sollen errichtet werden. Bleibt die Frage, wo.

Von Sabine Richter

Ein gutes Jahr haben die Verhandlungen gedauert - nun ist Hamburgs neues Bündnis für das Wohnen in Kraft. Ziel ist, den Preisauftrieb und den Wohnungsmangel in der Hansestadt zu bekämpfen. Die Herausforderung besteht darin, Partner mit unterschiedlichsten Interessen an einen Tisch zu bekommen, Beamte aus der Baubehörde und den Bezirken, Vertreter von Wohnungsgenossenschaften, Baufirmen, Maklern und Grundeigentümern. Erstmals ausdrücklich in die Pflicht genommen werden die Behörden, Baugenehmigungen nicht mit bürokratischen Hürden zu verzögern. Auch der Senat verpflichtet sich, während der Laufzeit die Grunderwerbssteuer nicht zu erhöhen und keine neuen Erhaltungsverordnungen zu erlassen.

Bis 2020 sollen jährlich 10 000 Wohnungen, davon 3000 geförderte, gebaut werden. Das bisherige Bündnis, das deutschlandweit als Erfolgsmodell gilt, hatte 6000 Wohnungen als Ziel gesetzt und erreicht.

Möglich geworden war die Einigung nur dadurch, dass die Wohnungswirtschaft auf ein gemeinsam mit der Stadt zu erstellendes Mietgutachten verzichtet hat, das die Auswirkungen der Mietpreisbremse untersuchen sollte. Denn die funktioniert nicht oder nur sehr mangelhaft, wenn man den jüngst erschienenen Studien und Marktberichten zur Entwicklung von Kaufpreisen und Mieten traut. So schreibt JLL, dass sich die Mieten nach sieben Halbjahren der Stagnation zum ersten Mal wieder kräftig nach oben bewegt haben. Sie verteuerten sich auf Jahressicht im Schnitt um 6,3 Prozent auf 11,50 Euro pro Quadratmeter und Monat. Die Statistiker der Hypo-Vereinsbank stellen sogar fest, dass der Wohnungsmarkt im gesamten Stadtgebiet eine anhaltende Boomphase erlebt, trotz überdurchschnittlicher Preissprünge seit 2009. "Die Bautätigkeit verschiebt sich in mittlere und einfachere zentrumsnahe oder in grünere periphere Wohngegenden", sagt Sönke Karwei, Regionalbereichsleiter der Hypo-Vereinsbank. "Der Zuzug in innerstädtische Viertel führt zu Aufwertungsprozessen in einfachen Wohnvierteln". In guten Lagen hätten die Mieten mit einem Durchschnittspreis von 15 Euro fast Münchener Niveau (16 Euro) erreicht. In mittleren Lagen müssen zwischen neun und 14,25 Euro bezahlt werden.

"In Wellen breitet sich der Immobilienboom immer stärker aus."

Vor allem bei Eigentumswohnungen wird die außergewöhnliche Marktdynamik der vergangenen Jahre deutlich, heißt es in dem Bericht. In guter Wohnlage müssen für Bestandsobjekte, die sich über alle Altersklassen und Lagen verteuerten, zwischen 3600 und 5100 Euro pro Quadratmeter ausgegeben werden, in einfacher Lage bis zu 2800 Euro. Bei Neubau-Objekten in guter Lage werden im Mittel 6000 Euro pro Quadratmeter erzielt. Trotz der verlangsamten Preisentwicklung im Luxusbereich werden für besondere Objekte mit Wasserblick Preise von 20 000 Euro und mehr verlangt, beispielsweise in der Elbphilharmonie.

Auch der Neubau-Bericht Eigentumswohnungen von Grossmann & Berger spricht von "sprunghaften Preissteigerungen" im ersten Halbjahr 2016, nachdem die Preisdynamik 2015 etwas abgeflacht war. In der Gesamtstadt kletterte der durchschnittliche Quadratmeterpreis um 17 Prozent, in den guten, zentralen Wohnlagen betrug das Plus sogar 20 Prozent. Laut G & B zahlen Käufer im Durchschnitt für einen Quadratmeter Neubau-Eigentumswohnung in Hamburg 5430 Euro, in den guten Lagen sogar 6770 Euro.

Einig sind sich alle Studien, dass sich, getrieben von Anlagenotstand und Zinstief, die Preis-Rally bei Kaufobjekten fortsetzt. "In Wellen breitet sich der Immobilienboom in der Hansestadt immer stärker aus und erfasst mehr und mehr Stadtteile", heißt es bei der LBS Hamburg-Schleswig-Holstein. Dahler & Company schreiben in ihrem Marktbericht, dass Geld für Immobilienkäufe in hohen Preislagen offenbar keine Rolle spiele.

Der Bericht des Gutachterausschusses für Grundstückswerte, der auf den notariell beurkundeten Kaufverträgen und Preisen beruht, kommt für 2015 zwar "nur" auf eine sechsprozentige Steigerung bei Eigentumswohnungen, bestätigt aber ansonsten den Trend. Frei stehende Einfamilienhäuser und Reihenhäuser verteuerten sich um jeweils acht, Grundstücke um 14 Prozent. Das größte Problem für jene, die eine Immobilie suchten, sei das mangelnde Angebot.

Die Stadt werde ganz sicher ihre grünen Reserven angreifen, erklärt die Bausenatorin

Derzeit scheint es keine Aussichten auf sinkende Preise und Mieten zu geben. Der Leerstand in Hamburg beträgt 0,7 Prozent. Die Bevölkerung wächst weiter, bis 2035 werden bis zu acht Prozent prognostiziert. Und seit 2010 sind fast 100 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Bundesweit gehört Hamburg zu den Städten mit dem größten Bedarf an Neubauwohnungen, heißt es in der Postbank-Studie "Wohnatlas 2016". Danach stehen in der Hansestadt für 100 Haushalte lediglich 92 Wohnungen zur Verfügung.

Nun soll es das Wohn-Bündnis richten. Die Bürger fragen sich, woher die Flächen für 10 000 neue Wohnungen jährlich kommen sollen. Die Bausenatorin erklärte, dass Hamburg ganz sicher seine grünen Reserven angreifen werde. Damit würden wesentliche Probleme nachhaltiger Stadtentwicklung ausgeblendet, klagen Umweltverbände. Nabu-Chef Alexander Porschke sieht Konflikte mit dem Naturschutz, wenn jährlich 67 Hektar Bauland nötig seien, um die Wohnungsbauziele zu erreichen. Der Senat muss aber mit großvolumigen Planungen ins Rennen gehen. Die Hoffnung liegt in der Weiterentwicklung der Hafen-City, wo 6000 Wohnungen entstehen sollen, dem großen Stadtentwicklungsprojekt Neue Mitte Altona mit 3500 Wohnungen, der Überdeckelung der A 7 (1700 Wohnungen auf frei werdenden Flächen), dem Pergolenviertel in Hamburg-Nord (1400 Wohnungen), Quartier Sonninkanal (1000 Wohnungen) und vielen Vorhaben, die mit dem "Sprung über die Elbe" verbunden sind. Auch im östlichen Hamburg wird enormes Entwicklungspotenzial für neuen Wohnraum gesehen.

Als Hamburg noch hoffte, Olympia-Stadt zu werden, hatte die Wohnungswirtschaft auch das Hafengelände Kleiner Grasbrook ins Visier genommen, der zu Hamburgs Olympiazentrum werden und in der Nachnutzung bis zu 6000 Wohnungen bieten sollte. Nach dem Olympia-Aus hatte der Wirtschaftssenator der Hafenwirtschaft im Herbst 2015 zugesagt, die Wohnungsbaupläne fallen zu lassen. Derzeit ist die Hafenwirtschaft in heller Aufregung, denn die Stadt erwägt nun doch, den Kleinen Grasbrook planerisch aus dem Hafengebiet zu entlassen, um dort Wohnungen zu bauen.

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