Großprojekt:Ohne Öl in Texas

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Im Whisper Valley bei Austin/Texas soll ein Null-Energie-Stadtteil entstehen. Kostenpunkt: bis zu zwei Milliarden Dollar. (Foto: Taurus)

Im amerikanischen Austin entsteht ein neuer Stadtteil, der kaum Energie verbrauchen soll. Lange lag das Vorhaben mit 7500 Häusern auf Eis, nun rollen die Bagger. Das Geld dafür kommt von deutschen Familien.

Von Christine Mattauch

Es gibt Städte, die plötzlich einen Aufschwung erleben, anscheinend aus dem Nichts heraus. Austin, Texas ist so ein Fall. Progressive Hochburg im konservativen Umfeld; liebenswert, aber nicht besonders spannend. Und jetzt? Hat die Stadt das, was man Momentum nennt. Eine Tech-Firma nach der anderen siedelt sich an, zum Kunst- und Innovationsfestival SXSW kommen 85 000 Besucher, und auch sonst ist die 1,9-Millionen-Einwohner-Metropole ein Magnet für junge Leute - sie wächst schneller als jede andere amerikanische Großstadt.

Austin könnte also der ideale Standort für das Projekt sein, das sich Lorenz Reibling hat einfallen lassen, ein gebürtiger Deutscher und Chairman der Taurus Investment Holdings in Boston. Ein ganzer Null-Energie-Stadtteil soll in den Hügeln östlich der Großstadt entstehen, 7500 Ein- und Mehrfamilienhäuser, dazu Büros und Läden und Grünflächen, auf einer Fläche so groß wie der Tegernsee. Gesamtkosten: bis zu zwei Milliarden Dollar. Es geht also um viel Geld. Reibling hofft zudem, dass das Projekt ausstrahlt: "Whisper Valley könnte energieeffizienten Siedlungen in Amerika zum Durchbruch verhelfen." Vorausgesetzt, das Experiment gelingt.

Während in Deutschland schon seit den Neunzigerjahren mit Niedrigenergie- und Passivhäusern experimentiert wird, spielten solche Konzepte in den USA bis vor Kurzem keine Rolle. Energie war und ist noch immer viel billiger als in Deutschland, das Umweltbewusstsein ist bisher weit weniger ausgeprägt. Das aber beginnt sich zu ändern, zumal bei den hochqualifizierten Avantgardisten, die es nach Austin zieht. Die Stadt hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das spiegelt die Haltung der Bevölkerung.

Die Idee, jenseits des Atlantiks in großem Maßstab eine Öko-Siedlung zu errichten, hatte Reibling schon vor 15 Jahren, als die meisten seiner Kollegen noch dachten, das Energie-Eldorado Amerika werde niemals umweltbewusst. 2006 fand er mit Whisper Valley das passende Areal, günstig gelegen in der Nähe einer neuen Autobahn, die Firmenzentralen von Samsung und der Computerfirma Dell nur zehn Autominuten entfernt. Die Akquisition schien risikolos zu sein. "Austin wuchs schon damals, es war klar, dass der Wert des Baulands steigt", erinnert sich Reibling. Dann kam die Finanzkrise; jahrelang herrschte Stillstand in der Branche. Jetzt also ein neuer Anlauf; die Bagger rollen. 247 Häuser umfasst der erste Bauabschnitt. Straßen, Wasser- und Stromleitungen sind bereits verlegt, im Herbst sollen die Musterhäuser stehen, im Frühjahr 2016 die ersten Familien einziehen. Man wäre schon weiter, hätte nicht im Frühjahr eine Reihe heftiger Unwetter die Baustelle stillgelegt.

Wenn die Nachfrage so hoch ist wie angenommen, winkt eine zweistellige Rendite

Reibling ist erfahren im Immobiliengeschäft: 1976 gründet er Taurus in München, zusammen mit seinem Bruder Günther. In den Achtzigerjahren expandieren sie in die USA und bauen die Investmentfirma von dort zu einer international operierenden Unternehmung aus, mit Niederlassungen unter anderem in Buenos Aires, Istanbul, London, Trivandrum in Indien und Toronto. 2002 verwalten sie ein Anlagevermögen von mehr als einer Milliarde Dollar, 2007 sind es zwei Milliarden, heute drei. Neben institutionellen Investoren wie Blackrock oder Invesco vertrauen auch viele Superreiche den Brüdern ihr Geld an.

Es sei nicht leicht gewesen, Anleger von dem Konzept von Whisper Valley zu überzeugen, sagt Reibling. Schließlich sei der Kapitalbedarf enorm: Etwa 200 Millionen Dollar beträgt das Startkapital, aufgebracht über einen Fonds, an dem vor allem wohlhabende Familien beteiligt sind, sie stammen interessanterweise aus Deutschland. Um wen es sich handelt, verrät Reibling nicht. Klar ist aber, dass es den Anlegern nicht nur um Ökologie geht: Wenn die Nachfrage so hoch ist wie angenommen, winkt eine zweistellige Rendite.

Technisch wird der Null-Energie-Standard durch eine Kombination von Geothermie und Solarenergie erreicht. Dafür kooperiert die Taurus-Tochter EcoSmart mit Bosch USA, die jedes Haus mit Erdwärmepumpen und effizienter Heißwassertechnik ausstattet. Für die Tochter des deutschen Traditionsunternehmens ist es schon das zweite große Siedlungsprojekt - das erste, Badger Mountain South, liegt in Richland im Staat Washington. Dort entstehen in einem ersten Bauabschnitt 150 energieeffiziente Häuser, später einmal sollen es 5000 sein. Der Entwickler dort heißt Nor Am und kommt aus Tacoma.

Im Whisper Valley stattet Bosch überdies die Küchen aus. Und das ist keineswegs irrelevant, denn in den USA hat Bosch ein ausgezeichnetes Image als europäische Edelmarke. Auch die übrigen Kooperationspartner haben Renommee: Solarpanels liefert Aten Solar aus New Jersey, BASF USA steuert hochisolierende Verbundwände namens HP+ bei.

Derzeit werden die Grundstücke samt Geothermie-Anbindung an Bauträger vermarktet, die die Häuser nach Absprache mit den Bauherren errichten, dabei aber die Konzeptauflagen akzeptieren müssen. Zwischen 175 000 und 300 000 Dollar soll ein energieeffizientes Haus kosten. Das ist vergleichsweise günstig, denn der Durchschnittspreis für ein Einfamilienhaus in Austin beträgt laut örtlicher Maklervereinigung 350 000 Dollar. Freilich liegt Whisper Valley etwa 20 Autominuten außerhalb der Innenstadt. Hinzu kommen die Kosten für die Öko-Technik, die auf monatliche Raten von 175 Dollar umgelegt werden - ein Modell, bei dem Taurus-Tochter EcoSmart in Vorleistung tritt. Aus Sicht der Hauskäufer lohnt sich das, schließlich werden sie laut Prospekt so gut wie keine weiteren Energiekosten haben - wenn sie im Verbrauch einigermaßen sparsam sind. Da werde einiges an Aufklärungsarbeit erforderlich sein, räumt Bosch-Geschäftsführer Mike Mansuetti ein.

In Deutschland wäre ein solches Projekt wegen seines enormen Flächenbedarfs so kaum umsetzbar. Theoretisch funktioniert das Konzept zwar auch in kleinerem Maßstab, die Häuser wären dann aber erheblich teurer. "Man braucht die Skaleneffekte", sagt Reibling. Interesse aber haben bereits Entwicklerkollegen aus Kanada angemeldet. Da gibt es auch viel Platz.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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