Griechenland: Ökonom Stournaras:"Merkel brät uns in der Pfanne"

Kanzlerin Merkel am Pranger: Deutschland soll endlich handeln und Athen helfen, drängt Griechenlands bekanntester unabhängiger Ökonom Yannis Stournaras. Er empfiehlt eine Rosskur - Beamtenapparat eindampfen, Staatsbeteiligungen verkaufen und bei der Verteidigung sparen.

Kai Strittmatter

Yannis Stournaras war Chefunterhändler Griechenlands bei der Einführung des Euro. Heute leitet er die Stiftung für Wirtschaftsstudien IOBE in Athen und ist der bekannteste unabhängige Ökonom des Landes.

Griechenland, Börse

Der griechische Ökonom Yannis Stournaras fordert Deutschland in der Causa Griechenland zum Handeln auf.

(Foto: Fotos: dpa / Grafik: sueddeutsche.de, Büch)

SZ: Herr Stournaras, die Griechen sind schockiert über die Abwertung ihrer Kreditwürdigkeit auf "Ramsch"-Status. Sie auch?

Yannis Stournaras: So arbeiten die Märkte. Solange sie einen Deal nicht abgeschlossen und unterschrieben sehen, glauben sie nicht daran. Sowohl die Griechen als auch die Europäer haben kostbare Zeit verschwendet. Die Märkte wollen Geld auf dem Tisch sehen.

SZ: Hat die Abwertung das Land näher an den Bankrott gebracht?

Stournaras: Wenn wir das Rettungspaket nicht kriegen, dann sind wir bankrott, ja. Aber wenn wir das Geld kriegen, dann haben wir wenigstens eine Waffe, mit der wir kämpfen können, um unsere Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

SZ: Aber das Geld verschafft Ihnen nur eine Zeitlang Luft.

Stournaras: So lange, bis wir Resultate produzieren. Wahrscheinlich brauchen wir mehr Geld als die 45 Milliarden Euro. Viele sprechen von 90 Milliarden für die nächsten drei oder vier Jahre.

SZ: Wie sehen Sie die Rolle der deutschen Kanzlerin Angela Merkel?

Stournaras: Sie hat schon recht, wenn sie uns in der Pfanne brät - aber sie hat es übertrieben. Die griechische Regierung hat wirklich harte Maßnahmen eingeleitet, durch die die Griechen große Teile ihres Einkommens verlieren werden. Das Problem ist nun doch ein anderes: Griechenland ist ein Risiko für das System. Banken der Eurozone besitzen drei Viertel der griechischen Staatsanleihen. Wenn Griechenland kollabiert, dann stecken diese Banken in großen Problemen. Man hätte viel früher handeln müssen. Das sind Kredite, die Deutschen werden dafür viel Zinsen bekommen.

SZ: Wenn die Griechen zurückzahlen.

Stournaras: Das werden sie.

SZ: Wie schlägt sich der Premier?

Stournaras: Die Maßnahmen sind hart und gut, aber er war viel zu spät dran. Er hat sechs Monate verloren. Eine Katastrophe. Wenn er früher gehandelt hätte, wären wir viel glimpflicher davongekommen.

SZ: Nun sollen noch härtere Maßnahmen kommen.

Stournaras: Ja. Griechenland steht mit dem Rücken zur Wand. Ich kann nur hoffen, dass der IWF nicht darauf besteht, die Löhne im Privatsektor zu kürzen. Das wäre das falsche Rezept.

SZ: Was muss geschehen?

Stournaras: Im Privatsektor arbeiten die Leute unheimlich viel und verdienen nur halb so viel wie die beim Staat. Wir müssen im öffentlichen Dienst kürzen. Das Land muss seine Märkte öffnen, den Staatsapparat einschrumpfen, Staatsbesitz verkaufen.

SZ: Und der Verteidigungshaushalt?

Stournaras: Der ist viel zu hoch. Eine Chance eröffnet sich Mitte Mai, wenn der türkische Premier Erdogan nach Athen kommt. Beide Länder sind gefangen in gewaltigen Ausgaben für Rüstung. Lasst uns die Ägäis zu einem Meer des Friedens machen! Vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes geben wir für Verteidigung aus. Das könnte man mindestens halbieren.

SZ: Wird es mehr Proteste geben?

Stournaras: Die Leute wissen, dass die Maßnahmen notwendig sind. Ich glaube, es wird Reaktionen geben, aber keine Revolte. Papandreou hat eine starke Regierung. Er liegt in den Umfragen noch immer zehn Prozent vor der Opposition.

SZ: Die Menschen werden auch härteres Sparen mitmachen?

Stournaras: Auf jeden Fall. Die Menschen hier haben genug vom Staatsapparat. Hier muss man ansetzen. Wir haben 4000 vom Staat kontrollierte Unternehmen. Die sollte man schließen und die Leute feuern. Dieser Staat ist ein Diebesstaat. Griechenland ist kein modernes Land. Es ist eine Kombination von Klientelwirtschaft und altmodischem Sozialismus.

SZ: Wackeln die Banken? Viele Griechen haben Angst um ihre Spareinlagen.

Stournaras: Ich glaube nicht, dass es sehr viele sind im Moment. Aber ein Bankensturm könnte eine mögliche Konsequenz sein, wenn Deutschland eine Entscheidung weiter hinauszögert. Weil allmählich Panik einkehrt.

SZ: Was ist Ihre Botschaft an Merkel?

Stournaras: (lacht) Frau Merkel, Sie haben uns genug gequält. Es reicht. Im Ernst: Die Griechen haben verstanden, dass sie nun einige Jahre lang leiden müssen. Deutschland sollte schnell handeln.

SZ: Wie schnell?

Stournaras: Am besten gestern. Wir hatten so viele widersprüchliche Erklärungen aus Deutschland, die die Märkte verwirren. Entweder Ihr sagt uns: Ihr kriegt kein Geld, fahrt zur Hölle. Oder aber: Drückt eure Auflagen durch und macht das Paket fertig zum Nutzen nicht nur Griechenlands, sondern der kompletten Eurozone. Frau Merkels Zickzackkurs zerstört Vertrauen. Ich war Chefunterhändler der Regierung in den 1990ern vor dem Eintritt in die Eurozone. Ich bin frustriert.

SZ: Viele Deutsche würden jetzt sagen: Sie haben uns betrogen.

Stournaras: Das stimmt nicht. Da können wir lang diskutieren. Nur so viel: Athen hat nicht mehr betrogen als andere auch.

SZ: Sind Sie optimistisch?

Stournaras: Ja. Weil ich rational und pragmatisch denke. Und weil ich die Deutschen für ebenso rational halte. Ich glaube, sie sind sich ihrer historischen Pflicht bewusst.

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