Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Marshall-Plan für ein marodes Land

Griechenland kann nicht allein vom Tourismus leben, sondern braucht eine starke Industrie. Darum fordert nun die Europäische Investitionsbank ein langfristiges Programm, um den klammen Staat zu stärken.

Cerstin Gammelin

Die Europäische Investitionsbank (EIB) fordert die europäischen Staaten auf, einen Marshall-Plan für Griechenland zu entwickeln. Es sei "sinnvoll", ein solches Programm zum Aufbau des Landes über zehn bis 15 Jahre laufen zu lassen, sagte EIB-Vizepräsident Matthias Kollatz-Ahnen der Süddeutschen Zeitung. "Wir sind bereit, uns daran zu beteiligen."

Die Investitionsbank hat in den Krisenjahren 2009 und 2010 so viel Geld wie nie zuvor in sogenannte antizyklische Programme zur Belebung der Wirtschaft gepumpt. In beiden Jahren wurden jeweils 75 Milliarden Euro an Krediten ausgegeben. Für dieses Jahr sind 63 Milliarden Euro vorgesehen. Ein Teil davon fließt bereits in Krisenländer wie Portugal oder Griechenland. Es wird unter anderem dazu verwendet, die Eigenbeiträge der Länder zu finanzieren, die Voraussetzung sind, um aus europäischen Strukturfonds finanzielle Hilfen für den Bau von Straßen, Netzen, für die Verschönerung von Innenstädten oder die Dämmung von Gebäuden zu bekommen. Zudem werden kleine und mittelständische Unternehmen unterstützt.

"Drei Jahre reichen jedenfalls nicht aus"

Griechenland könne nicht allein vom Tourismus leben und werde einige Jahre benötigen, um zunächst neue, wettbewerbsfähige Güter zu entwickeln und diese später auch zu exportieren, erklärte Kollatz-Ahnen. "Drei Jahre reichen jedenfalls nicht aus", sagte er mit Blick auf die bisher von den Europäern für Griechenland aufgelegen Hilfsprogramme.

Er verwies auf frühere Erfahrungen. Der Aufbau Europas und vor allem Deutschlands nach dem Krieg und die spätere Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten seien auch "nicht von heute auf morgen" gelungen. Es dauere einfach länger, neue, gesunde wirtschaftliche Strukturen zu entwickeln.

Ein Marshall-Plan für das von immensen Schulden, wirtschaftlichem Niedergang und hoher Arbeitslosigkeit geplagte Land bringe den Vorteil, dass nicht nur der Staat helfe, "sondern auch private Akteure einbezogen werden". Für Deutschland habe der Marshall-Plan vor allem "eine Kernerkenntnis" gebracht, so Kollatz-Ahnen: "Man muss vor allem kleine und mittlere Unternehmen stärken". Die EIB plädiere deshalb dafür, solche Betriebe und Projekte zum Ausbau der Infrastruktur in Griechenland zu unterstützen.

Der Name Marshall-Plan geht auf das Hilfsprogramm der USA für Europa nach dem 2. Weltkrieg zurück. Damals befanden die USA, dass ein finanzielles Hilfsprogramm zum Wiederaufbau der europäischen Länder unabdingbar war. Außenminister George Marshall erklärte im Juni 1947, "dass die USA die notwendige finanzielle Unterstützung leisten, falls Europa ein gemeinsames, langfristiges Wiederaufbauprogramm erstellte."

Kaum Mittel nachgefragt

Schätzungen der EIB zufolge könnte Griechenland sein Bruttoinlandsprodukt um bis zu drei Prozent steigern, wenn das Land die Gelder aus den europäischen Strukturfonds richtig ausschöpfen würde. Bisher sei das nicht der Fall. "Athen hat die europäischen Strukturfonds bisher kaum angezapft", sagte Kollatz-Ahnen. Das Land habe unter allen 27 europäischen Ländern am wenigsten Mittel nachgefragt. Das liege vor allem daran, dass die einfachsten Voraussetzungen nicht gegeben seien. Um beispielsweise Fördergelder für die Landwirte zu bekommen, müssten die Griechen Bescheinigungen des Katasteramtes vorlegen, aus denen hervorgeht, dass die Antragsteller auch Besitzer des Landes sind. Das ist in vielen Gebieten schlicht nicht möglich, weil es weder Katasterämter noch amtliche Eigentumsnachweise gibt. "Die Kommunen müssen jetzt erst einmal in die Lage versetzt werden, überhaupt abrechnen zu können", erzählt der EIB-Vizepräsident. Die EIB habe bereits Mitarbeiter in das Land geschickt, um den Behörden zu helfen.

Kollatz-Ahnen zufolge muss Griechenland zudem seine Abgeschlossenheit überwinden. Die Grenzen zu Albanien, Bulgarien und zur Türkei waren über viele Jahre abgeschottet. Inzwischen habe sich die politische Lage aber entspannt, "aber die Grenzen sind immer noch beinahe undurchdringlich".

In Brüssel wurde am Freitag zudem bekannt, dass die Europäer planen, die von der griechischen Regierung angekündigten, aber bisher nicht begonnenen Privatisierungen mit einer Art Treuhandgesellschaft zu unterstützen. Die griechische Regierung habe bis Ende Mai Zeit bekommen, den (teilweisen) Verkauf von ausgewählten staatlichen Firmen oder Beteiligungen zu beginnen.

Insgesamt sollen 50 Milliarden Euro erlöst und zum Abbau der griechischen Staatsschulden verwendet werden. Falls Athen nicht wie versprochen privatisiere, werde dies die Treuhandgesellschaft übernehmen.

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SZ vom 21.05.2011/hgn
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