Süddeutsche Zeitung

Griechenland in Finanznot:Eine Aufgabe für Herkules

Will Griechenland der Pleite entrinnen, muss es in Zukunft seine Haushaltsdefizite entschieden senken. Nötig ist eine Revolution - nur so kann der Schlendrian gestoppt werden.

Catherine Hoffmann

Die Weltgemeinschaft hilft Griechenland nicht aus Mitgefühl, sondern weil Nichtstun viel teurer wäre. Diesen Gedanken hat vor rund 250 Jahren schon Adam Smith gelehrt: Der Ökonom und Moralphilosoph war überzeugt, dass der Eigennutz die stärkste Triebkraft wirtschaftlichen Handelns ist: "Nicht vom Wohlwollen des Fleischers, Bauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse." Und genau darauf muss Griechenland nun hoffen: Dass die Euromitglieder und andere Geldgeber des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein starkes Interesse an einer stabilen Europäischen Währungsunion haben und Griechenland deshalb die rettende Hand ausstrecken.

Europas Politiker segeln zwischen Skylla und Charybdis, wie schon Odysseus auf dem Heimweg zu Penelope nach Ithaka. Gezwungen zwischen zwei Übeln zu wählen, haben sie sich für Hilfe entschieden: Wir lassen Griechenland nicht fallen, auch wenn das in den nächsten drei Jahren 135 Milliarden Euro kostet, vielleicht weniger, vielleicht auch mehr, wer weiß das schon. Denn zu ungeheuerlich scheint die Alternative zu sein: Athen geht bankrott, kehrt zur griechischen Drachme zurück und besiegelt den Niedergang Europas. Wenn Griechenland aus dem Euro fällt, wären Portugal, Irland und Spanien als nächste bedroht. Erst kippen die Banken, dann die Staaten.

Leihen Euroländer und IWF den Griechen kein Geld, werden sie die Spekulanten nicht los. Der Plan funktioniert aber nur, wenn er mit vollem Einsatz verfolgt wird. Die Finanzmärkte müssen Rettern und Griechenland abnehmen, dass sie es ernst meinen, dass sie ohne Zögern und Zaudern hinter diesem Pakt stehen. Ein starkes Zeichen haben sie gesetzt. Nun müssen die Politiker ihren Versprechen Garantien für zinsgünstige Kredite folgen lassen, und zwar schnell.

Dann sind die Spekulanten aus dem Spiel: Griechenland bekäme zu erträglichen Zinsen Geld und wäre nicht auf die Launen internationaler Investoren angewiesen. Glaubwürdig wird die Aktion aber nur, wenn die Retter zugleich erklären, wie Griechenland die Schuldenspirale brechen kann. Die Sanierer des IWF haben damit viel Erfahrung. Sie müssen klare Bedingungen formulieren, zu denen die Griechen - oder andere Länder - Hilfe bekommen. Zudem muss es die Möglichkeit geben, die Garantien zu stoppen, wenn Athen gegen die Regeln verstößt.

Der Schreckenskatalog der IWF-Ökonomen dürfte lang sein. Griechenland hat sich in einem Labyrinth wachsender Ansprüche an den Staat, überzogener Kredite und ungedeckter Wechsel auf die Zukunft verloren. Um aus diesem Irrgarten herauszufinden, reicht es nicht, hier ein bisschen zu kürzen und dort ein wenig an der Steuerschraube zu drehen. Nichts geringeres als eine Revolution ist gefragt, um den Schlendrian in den öffentlichen Finanzen zu beenden. Athen hat im Vergleich zu anderen Staaten immer zu wenig Steuern eingenommen und zu viel ausgegeben. Selbst in guten Jahren, als die Wirtschaft kräftig wuchs, war der Staatshaushalt nicht ausgeglichen. So geht ein Staat zugrunde.

Will Griechenland der Pleite entrinnen, muss es in Zukunft seine Haushaltsdefizite entschieden senken, so weit, dass die Schuldenquote nicht weiter steigt. Dazu sind rigorose Kürzungen der Ausgaben und ein drastischer Anstieg der Steuereinnahmen erforderlich - in der Größenordnung von einem Zehntel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das ist eine Aufgabe für Herkules, denn sie droht das Land in eine tiefe Rezession zu stürzen, verbunden mit einem gewaltigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Das stellt die Regierung von Giorgos Papandreou vor schier unlösbare Schwierigkeiten, auch wenn Einigkeit im Land herrscht, dass es mit dem Leben auf Pump ein Ende haben muss.

Lettland macht gerade vor, wie so etwas gelingen kann. Das Land, das den IWF um einen Milliardenkredit bitten musste, hat die Löhne gekürzt, manchmal um 40 Prozent. Die Regierung strich die Pensionen um zehn Prozent und entließ 12.000 Staatsbedienstete, allein im vergangenen Jahr wurden 100 Schulen geschlossen. Die Zahl der Spitäler ging von 59 auf 24 zurück.

Allzu lang hat Griechenland vom Geld aus Brüssel gelebt. Durch hemmungslose Kreditaufnahme hat der Staat einen künstlichen Wirtschaftsboom erzeugt. Löhne und Sozialleistungen sind viel zu schnell gestiegen. Unternehmen starben, weil das Land zu teuer wurde, Griechenland verlor große Teile seiner Industrie. Weil die lokalen Produzenten eingingen, mussten mehr Waren importiert werden. Früher dienten die Wechselkurse als Ventil, um solche Ungleichgewichte im Handel auszugleichen, überhöhte Löhne und Preise wurden durch eine schwache Währung korrigiert. Doch der Euro versperrt diesen bequemen Weg. Statt die Drachme wieder einzuführen, muss die Regierung nun Löhne und Preise senken, von 20 bis 30 Prozent ist die Rede. Damit die Touristen wieder in das billigere Griechenland fahren statt in die Türkei.

Nur, wenn politische Versprechen und ökonomische Realität nicht auseinanderklaffen, haben Spekulanten und Euroskeptiker keine Chance. Aber vielleicht verlangt die Welt von Griechenland ja zu viel. Seit dem Jahr 1800 verbrachte Athen mehr als die Hälfte seiner Zeit als säumiger Schuldner.

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SZ vom 30.04./01./02.05.2010/mel
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