Griechenland: Etatdefizit:Aufgabe für Herkules

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Das Etatdebakel des griechischen Finanzministers zeigt: Die Euro-Länder müssen finanzpolitisch zusammenwachsen. Das durchzusetzen, gleicht einer Herkulesaufgabe.

Catherine Hoffmann

Die griechischen Mathematiker Euklid und Pythagoras dürften sich angesichts der Rechenkünste ihrer Nachfahren im Grabe wälzen. Das Haushaltsdefizit des Euro-Landes liegt bei 12,7 Prozent, der Stabilitätspakt erlaubt nur drei.

Griechenlands Finanzminister George Papaconstantinou: Das Land lebte zum wiederholten Mal über seine Verhältnisse. (Foto: Foto: Reuters)

Doch die Regierung in Athen hat die Zahlen einfach geschönt - nicht zum ersten Mal. Der Staat nutzte ähnliche Tricks, um in die Euro-Zone aufgenommen zu werden. Die Entdeckung der Missetat blieb folgenlos, die Griechen haben weiter über ihre Verhältnisse gelebt.

Der Stabilitätspakt hält nicht, was er verspricht. Ein paar Regeln sind zu wenig, um die nationale Finanzpolitik zu disziplinieren und dem Euro eine Zerreißprobe zu ersparen.

Die Staatsschulden haben die jährliche Wirtschaftsleistung Griechenlands längst überschritten. Anleger zweifeln an der Kreditwürdigkeit der Hellenen. Und Bonitätsprüfer prophezeien dem hoffnungslos verschuldeten Land schon einen "langsamen Tod" - ebenso wie Portugal.

Es droht eine schleichende Vergiftung: Je größer der Vertrauensverlust, desto teurer wird es, neue Kredite zu bekommen - und damit noch schwieriger, den Haushalt zu sanieren.

Früher hätte Athen die Notenpresse angeworfen und frisches Geld gedruckt. Als Euro-Land ist den Griechen dieser Weg versperrt, heute wacht die Europäische Zentralbank über die Geldpolitik.

Natürlich könnte das Land aus der Währungsunion austreten und wieder zu seiner alten Drachme zurückkehren, der von 1831 bis 2001 gültigen Münze. Doch der Preis dafür wäre hoch: eine massive Abwertung der griechischen Währung würde die Rückzahlung der Euro-Kredite praktisch unmöglich machen. So weit werden es die europäischen Politiker nicht kommen lassen. Der kleine Mittelmeerstaat ist zu groß, um ihn fallen zu lassen. "Too big to fail", hieß es schon bei den Banken.

Bricht ein Kreditinstitut zusammen, stehen viele andere vor dem Abgrund, warnten Politiker, bevor sie die Geldhäuser mit Milliarden stützten. Das Risiko einer misslungenen Rettung schien gewaltig.

Wie ist das erst, wenn man einen Staat fallen lässt? 300 Milliarden Euro Schulden hat die Regierung in Athen angehäuft, zwei Drittel davon haben Geldgeber aus aller Welt gekauft, vermutlich auch deutsche Banken und Versicherungen. Eine Staatspleite bliebe nicht nur die Angelegenheit der Griechen, sie würde viele Länder treffen.

Auch Italien oder Spanien könnten versucht sein, ihre Lira oder Peseta wieder einzuführen und durch Abwertung ihrer Währungen den Export anzukurbeln. Unterlässt Europa die Hilfeleistung und droht die Euro-Gemeinschaft auseinanderzubrechen, werden Spekulanten gegen einzelne Länder wetten - wie schon so oft.

Es steht viel auf dem Spiel. Das macht die europäischen Partnerländer erpressbar. Rund ein Jahr nach der Bankenrettung ist die Finanzkrise keineswegs überwunden. Bald schon müssen wohl neue Milliardenpakete geschnürt werden - für desolate Staaten.

Um ein Währungschaos in Europa zu vermeiden, werden die Euro-Mitglieder Griechenland aus der Klemme befreien. Die EZB finanziert schon heute griechische Banken, bei denen sich wiederum die Regierung von Ministerpräsident Papandreou verschuldet hat. Das Unmögliche wird möglich gemacht - um den Euro zu retten.

Zocken ohne Risiko

Offiziell müssen die anderen Staaten Griechenland nicht aus dem Schuldensumpf ziehen. Um jedes Land zu Haushaltsdisziplin anzuspornen, hat man sich auf eine sogenannte "No-bail-out"-Klausel verständigt: Kein Land soll sich darauf verlassen können, dass im Notfall andere Mitgliedstaaten oder die EZB zu Hilfe eilen. Die Realität sieht anders aus: Die Griechen zocken ohne Risiko.

In der Krise offenbaren sich die fundamentalen Defizite der Währungsunion: Der Maastricht-Vertrag ist inspiriert vom Geist der achtziger Jahre, dass es der Markt schon richten werde, wenn ein Land finanzpolitisch unverantwortlich handelt. Dann werde es im Extremfall durch Zahlungsunfähigkeit bestraft.

Doch der Fall Lehman Brothers hat gezeigt, dass es keine gute Idee ist, probeweise eine Bank bankrott gehen zu lassen - von einem Land ganz zu schweigen. Und nicht nur Griechenland steht finanziell unter Druck: Auch Spanien, Irland oder Portugal sind angeschlagen.

Es ist ein Dilemma: Entweder die Währungsunion entwickelt sich rückwärts bis hin zur Auflösung der Euro-Gemeinschaft. Das wäre eine Katastrophe, die ganze EU würde in Frage gestellt, wenn es nationale Lösungen gäbe, bis hin zum Extremfall der Wiedereinführung nationaler Währungen. Oder Politiker schlagen die entgegengesetzte Richtung ein: Sie entwickeln die Währungsunion weiter zu einer politischen Union.

Der Weg führt sowieso dorthin: Wenn Länder innerhalb der Union anderen helfen, werden sie dafür einen harten Sparkurs verlangen. Bislang ist Griechenland nicht bereit, Schlendrian und Misswirtschaft ernsthaft zu bekämpfen.

Papandreou fürchtet den erbitterten Widerstand der Bevölkerung - und er fürchtet wohl auch, dass die Retter "mitregieren" wollen. Aber genau das scheint nötig zu sein. Es ist höchste Zeit, dass die Euro-Länder auch einen Teil ihrer fiskal- und wirtschaftspolitischen Souveränität abgeben, so wie sie es in der Geldpolitik getan haben. Das durchzusetzen, gleicht einer Herkulesaufgabe.

Aber Europa braucht eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Sonst endet die Schuldenkrise wie die Bankenkrise: Die Staaten zahlen für die Rettung der Sünder - und die machen ungestraft weiter.

© SZ vom 16.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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