Globaler Börseneinbruch:Die Welt fürchtet den Lehman-Moment

Die Börsen rauschen steil nach unten - und die Angst vor einer weltweiten Krise wächst. Warum es zu diesem Absturz kommt, wie gefährlich die Situation gerade tatsächlich ist und was die Politik jetzt tun muss:

Johannes Aumüller und Lutz Knappmann

[] Warum stürzen ausgerechnet jetzt die Börsenkurse ab - wo doch gerade Schulden-Reformpakete in Europa und den USA beschlossen wurden?

Deutsche Boerse

Die Händler (hier ein Bild vom Beginn der Woche) fürchten sich vor einer globalen Krise.

(Foto: dapd)

Die europäischen Spitzenpolitiker berauschten sich vor zwei Wochen an sich selbst, als sie in Brüssel das neue Rettungspaket in der Griechenland- und Euro-Krise verkündeten. Damit sei der Euro gerettet, jubelte Kanzlerin Angela Merkel. Das sei das letzte Krisentreffen gewesen, gab Jean-Claude Juncker zu verstehen, in Personalunion luxemburgischer Premierminister und Eurogruppen-Chef.

Die Wahrheit ist: Die europäischen Spitzenpolitiker haben sich und der Öffentlichkeit etwas vorgemacht. Denn sie schafften es nicht, den Finanzmärkten das eine entscheidende Signal zu geben - nämlich dass sie nun tatsächlich umsteuern und zu sparen beginnen. Stattdessen entstand der Eindruck, die europäischen Regierungen mit all ihren hochverschuldeten Haushalten wollten weiterwursteln wie bisher.

Entsprechend stieg in den vergangenen Tagen der Druck auf italienische und spanische Staatsanleihen, die Anleger flohen in den Schweizer Franken und in Gold. Als EU-Kommissionspräsident José Barroso und EZB-Chef Jean-Claude Trichet am Donnerstagmittag die Probleme endlich eingestanden, eskalierte die Lage an den Märkten. Was nun wiederum die Bundesregierung erzürnt, die die Krise unter Kontrolle wähnte.

Dazu kam die Entwicklung in den USA. Wochenlang beschäftigten sich Politik und Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze. Aus gutem Grund: Eine Nicht-Einigung hätte die Zahlungsunfähigkeit der USA und eine Herabstufung des Landes durch die Ratingagenturen zur Folge haben können - und damit unabsehbare Folgen für die Weltwirtschaft.

Der gefundene Kompromiss allerdings überzeugte die Märkte nicht, weil er - ähnlich wie in Europa - die strukturellen Haushaltsprobleme außer Acht ließ. Und weil während der endlos andauernden Diskussionen die weiteren Probleme der amerikanischen Wirtschaft in den Hintergrund geraten waren. Schlechte Konjunkturdaten, hohe Arbeitslosenzahlen - den USA droht eine neue Rezession, die zweite in schneller Folge.

Die Gefahr einer US-Rezession

Dass sich die Entwicklungen nun derart dramatisierten, hängt außerdem an technischen Abläufen an den Börsen. Etliche Anleger haben Stop-Loss-Marken in ihren Investments, also Marken, unter die die Kurse nicht fallen dürfen, sonst verkaufen sie ihre Papiere lieber. Diese wurden nun breit unterschritten, was die Kurse weiter nach unten treibt. Die automatischen Verkaufsorders, die gegen Verluste absichern sollen, führen zu weiteren Verlusten.

[] Lässt sich ein weiterer Absturz der Kurse noch aufhalten - oder droht ein echtes Börsenbeben?

Für eine Antwort auf die Frage wird dieser Freitag ein entscheidender Tag. Werden die Verluste der globalen Finanzmärkte gebremst, lässt sich der schlimme Donnerstag womöglich als Ausreißer oder bedauerlicher Höhepunkt einer seit Tagen schwelenden Entwicklung abhaken. Dass die Arbeitsmarktdaten aus den USA gut ausfielen, sorgte für Beruhigung.

Entscheidend ist aber trotzdem, wie die globale Politik reagiert. Die Ankündigung eines Krisen-Telefonats zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel ist zwar wichtig, erhöht aber auch den Druck: In einer derart angespannten Lage erwarten die Märkte ein deutliches Signal, wie die Politik die Probleme langfristig lösen will. Sonst wächst die Verunsicherung noch.

Die politischen Akteure müssen deshalb ihre Kommunikation ändern. Sie lenken den Blick oft zu sehr auf Einzelereignisse und -indikatoren - etwa indem sie heilsbringende Telefonate ankündigen. Stattdessen müssten sie ein kräftiges und eindeutiges Signal setzen, die grundlegenden Probleme angehen zu wollen. Ständige Rettungspakete sind letztlich unnütz, wenn nicht zugleich ein schlüssiges Konzept zur Eindämmung der Haushaltskrisen entsteht und solange immer neue Zwischenrufe wichtiger Amtsträger die Wirkung der Rettungspakete in Zweifel ziehen, bevor sie greifen können.

Die Märkte warten vor allem auf ein konsequentes Handeln der europäischen Institutionen. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) etwa fordert die Europäische Zentralbank zu einer Aktion auf, die diese stets abgelehnt hat - eine handfeste Intervention. "Wir brauchen jemanden, der interveniert", sagte der Chefökonom für Europa, Jean-Michel Six, dem französischen Radiosender Inter Radio. "Der einzige Feuerwehrmann, der uns schnell aus dem brennenden Haus tragen kann, ist die EZB."

[] Droht der Weltwirtschaft eine neue Rezession?

Für so viel Pessimismus ist es zu früh. Denn die grundlegenden Wirtschaftsdaten vieler Länder sind gut, viele Unternehmen melden hervorragende Geschäftszahlen. Allerdings deuten deren Prognosen darauf hin, dass sich die Wachstumsentwicklung abkühlen wird.

Die Folgen für Deutschland

Für eine globale Krise wie 2008 fehlt der Auslöser, ein "Lehman-Moment". Damals hatte die US-Regierung das Undenkbare wahr werden lassen - und die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers hingenommen. Sie wollte ein Exempel statuieren: Banken, die in die Krise geraten, sollten nicht um jeden Preis gerettet werden. Das globale Kreditsystem geriet daraufhin in die Krise, weil die Banken einander misstrauten, die Probleme übertrugen sich auf Europa und die ganze Welt, die globale Wirtschaft rutschte in die Rezession. Das erinnert ein wenig - und wenig vertrauenserweckend - an die aktuellen Beteuerungen der europäischen Politik, Griechenland werde definitiv das einzige Land bleiben, für das ein Rettungspaket im bekannten Ausmaß geschnürt werde.

Noch gibt es in der aktuellen Krise allerdings keinen "Lehman-Moment", und alle Beteiligten müssen darauf hinwirken, dass das so bleibt. In Europa wird das nicht leicht, aber gerade auch aus den USA droht noch große Gefahr. Die Entwicklung dort birgt durchaus auch die Gefahr eines weltweiten Flächenbrands. Denn wenn die größte Volkswirtschaft der Welt durch das beschlossene Billionen-Sparpaket in eine Rezession gerät, strahlt das global aus.

[] Welche Folgen hat das alles für Deutschland?

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sind derzeit ordentlich bis gut - das kann sich schnell ändern, sollten die USA tatsächlich in eine Rezession abdriften. "Die Lage ist besorgniserregend. Denn die Panik an den Finanzmärkten kann schnell die Kreditvergabe und die Kreditnachfrage zum Absturz bringen", sagt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, dem Handelsblatt. "Dies würde sofort eine globale Krise zur Folge haben." Und Deutschland als exportabhängige Nation würde eine solche Entwicklung besonders hart treffen.

Entsprechend sorgenvoll ist der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner. Wenn es zu einer Rezession in den USA komme, "dann würde uns das empfindlich treffen. Wir merken jetzt schon, dass sich die Nachfrage abschwächt". Die Wachstumsraten im Export seien zwar mit 19 Prozent im Jahr 2010 weit abgehoben, aber wenn sie auf unter sieben Prozent zurückgehen würden, wäre das ein Rückschlag.

Dass sich auch die Schuldenkrise in Europa schon jetzt auf die Bilanzen großer Unternehmen auswirkt, zeigt beispielhaft der Münchner Versicherungskonzern Allianz. In seiner Quartalsbilanz vom Freitag meldete er einen Gewinnrückgang um acht Prozent auf eine Milliarde Euro - vor allem wegen Abschreibungen auf Griechenland-Anleihen.

Und natürlich bemerken auch einfache Anleger die schlechte Stimmung an den Börsen. Die Verluste der vergangenen Tage haben den Börsenwert der 30 im Dax gelisteten Unternehmen um knapp 100 Milliarden Euro geschmälert, Stand Donnerstagabend. Dies entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung von Neuseeland.

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