Gipfel der Notenbanker in Jackson Hole:Streit über billiges Geld

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Was bedeutet der schwache Aufschwung in den USA für die Welt? Die Elite der internationalen Geldpolitik sucht am Wochenende in einem abgeschiedenen Bergtal im US-Bundesstaat Wyoming eine Antwort.

Nikolaus Piper, New York

Wie passt das zusammen? Die deutsche Wirtschaft wächst so schnell wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Die Stimmung der Unternehmer und Verbraucher ist hervorragend, doch die Aktienkurse sind im Keller. Der Dax liegt beharrlich unter der Marke von 6000 Punkten und ein Ende der Baisse ist nicht abzusehen.

Der Japaner Masaaki Shirakawa, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und Fed-Chef Ben Bernanke beim letztjährigen Treffen der Notenbanker in Jackson Hole. (Foto: Reuters)

Des Rätsels Lösung liegt in den Vereinigten Staaten: Der Aufschwung dort ist schwächer als erwartet, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch und die Sorge vor einer neuen Rezession wächst. Unklar ist vor allem, wie die Notenbanken auf diese Situation reagieren werden und sollen, wie es also mit den Zinsen und der Geldversorgung der Wirtschaft weiter geht.

Mehr Klarheit erhoffen sich die Experten von einem Treffen der Elite der Notenbanken und handverlesener Ökonomen im Ferienort Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming. Formal handelt es sich dabei lediglich um ein "Geldpolitisches Symposium", dass alljährlich von der Federal Reserve Bank of Kansas City ausgerichtet wird. Tatsächlich jedoch ist Jackson Hole für Notenbanker das, was Davos für Spitzenmanager und München für Sicherheitspolitiker ist: Der Ort, an dem die maßgeblichen Leute die relevanten Ideen formulieren und austauschen.

Konsequenzen könnten weitreichend sein

Aus den Vereinigten Staaten wird in diesem Jahr die Spitze der Federal Reserve um Notenbankchef Ben Bernanke vertreten sein. Von der Europäischen Zentralbank fliegen neben Präsident Jean-Claude Trichet die Direktoriumsmitglieder Gertrude Tumpel-Gugerell und José Manuel Gonzalez-Paramo nach Jackson Hole. Deutschland ist mit Bundesbankpräsident Axel Weber vertreten. Der Titel des Symposiums in diesem Jahr klingt eher akademisch: "Gesamtwirtschaftliche Herausforderungen - Die nächste Dekade".

Doch je nachdem, welche Schlüsse aus den Debatten gezogen werden, können die Konsequenzen weitreichend sein, nicht nur für die Vereinigten Staaten. Es geht um Inflation oder Deflation und darum, ob man nach dem Ende der Finanzkrise das Risiko einer neuen Spekulationsblase für größer hält, als das eines Absturzes in eine zweite Rezession.

Die jüngsten Nachrichten aus der amerikanischen Wirtschaft sind ernüchternd. Ohnehin war zu erwarten gewesen, dass das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte nachlassen würde. Bisher wurde der Aufschwung in den USA vor allem vom Konjunkturprogramm der Regierung von Präsident Barack Obama und dem Aufbau von Lagerbeständen in den Unternehmen getragen. Der Einfluss dieser Faktoren auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage lässt in der zweiten Jahreshälfte unvermeidlich nach. Nun deuten die meisten Indikatoren darauf hin, dass die Korrektur nach unten noch schärfer ausfällt als erwartet.

Hinweise kommen vor allem aus dem Arbeitsmarkt. Die amerikanischen Firmen verdienen zwar wieder gut, aber sie stellen noch immer kaum neue Leute ein. Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung - der wichtigste Frühindikator für die Lage auf dem US-Arbeitsmarkt - ist vorige Woche zwar um 31.000 auf 473.000 gesunken. Das ist aber kaum ein Grund zur Erleichterung, denn im Durchschnitt der vergangenen vier Wochen liegen die Zahlen immer noch deutlich höher als im November 2009.

Revision der Wachstumsprognose nach unten

Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist also niedriger als Ende des vorigen Jahres. Es könnte sogar sein, dass in der US-Wirtschaft bereits wieder Jobs vernichtet werden. Die Konsumausgaben der Privathaushalte wachsen vor diesem Hintergrund nur sehr langsam, im Wohnungsmarkt hat die Erholung noch gar nicht begonnen und die Kreditvergabe der Banken geht weiter zurück.

Einige Ökonomen vermuten jetzt, dass die letzte Rezession noch schwerer war, als dies bisher in den Zahlen deutlich wurde. Sie rechnen zumindest damit, dass das US-Wirtschaftsministerium das offiziell gemessene Wachstum aus dem zweiten Quartal deutlich heruntersetzen wird. Jan Hatzius, Chefvolkswirt bei Goldman Sachs für Nordamerika, sagt für die zweite Jahreshälfte ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den USA von nur noch 1,5 Prozent voraus (auf annualisierter Basis).

Trifft diese Prognose ein, dann sind die bisherigen offiziellen Schätzungen von drei Prozent oder mehr für das Gesamtjahr und von 2,9 Prozent für 2011 obsolet. Hatzius sieht die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall in die Rezession bei 25 bis 30 Prozent.

Für Ben Bernanke, Jean-Claude Trichet und die anderen Notenbanker in Jackson Hole wird die Lage damit extrem schwierig. Bisher bestand in der Zunft weitgehende Einigkeit darüber, dass die Fed nun damit beginnen sollte, ihre Programme zur Ausweitung der Geldmenge langsam auslaufen zu lassen und zu einer normaleren Politik zurückkehren sollte.

Bei der jüngsten Sitzung des Offenmarktausschusses am 10. August änderte Bernanke diese Perspektive. Das Wachstum in den USA habe sich verlangsamt, deshalb werde die Fed ihre Politik der Geldmengenausweitung konstant halten. Das bedeutet: Die Mehrheit in der Fed glaubt, dass die Wirtschaft weiterhin auf die nach historischen Maßstäben einmalige Zufuhr gedruckten Geldes angewiesen ist.

Die Entscheidung fiel im Ausschuss nicht einstimmig. Thomas Hoenig, Präsident der Federal Reserve of Kansas City und Gastgeber in Jackson Hole, stimmte gegen den Beschluss. Wenn die Fed ihren Kurs weiterfahre, so argumentierte Hoenig, beraube sie sich in Zukunft der Möglichkeit einzugreifen. Vor der Entscheidung sollen sich mindestens sieben von 17 Spitzenleuten in der Fed gegen Bernankes Kurs ausgesprochen haben.

Scharfe Diskussion unter Ökonomen

Nun äußern sich Notenbanker, wenn sie nicht gerade Thilo Sarrazin heißen, in der Regel vornehm und zurückhaltend. Umso offener und schärfer wird der dahinterstehende Konflikt unter Ökonomen ausgetragen.

Für eine kleine Sensation sorgte Raghuram Rajan, Wirtschaftsprofessor an der Universität Chicago. Die Fed solle den Leitzins von derzeit praktisch null um zwei Prozentpunkte erhöhen, sonst werde sich eine neue Spekulationsblase bilden, hieß es in einer Erklärung, die Rajan zusammen mit William White veröffentlichte, einem ehemaligen Ökonomen der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). White meinte dazu: "Es wird viel Druck auf die Notenbanken ausgeübt werden, mit ihrer expansiven Geldpolitik fortzufahren. Mich macht besorgt, dass man zwar die Vorteile sieht, dass die Leute aber die Risiken nicht angemessen berücksichtigen."

Die Reaktion auf den Beitrag kam prompt. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman warf Rajan vor, er werde von Vorurteilen getrieben. Leute wie er hätten etwas gegen billiges Geld, schrieb er in seinem Blog in der New York Times, "und jetzt suchen sie nach Argumenten, die ihre Vorurteile stützten".

Rajan hat in dem Streit allerdings einen deutlichen Vorteil: Er gelangte zu hohem Ansehen, weil er 2005 korrekt die Finanzkrise vorhersagte - und zwar beim damaligen Symposium in Jackson Hole. Und er wird auch diesmal dabei sein.

© SZ vom 27.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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