Gesundheitsreform:Die Kasse muss stimmen

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Er trat mit großen Versprechen an, jetzt lädt Gesundheitsminister Philipp Rösler den Verbrauchern Mehrkosten auf. Die Gesundheits-"Reform" ist in Wirklichkeit ein Sparpaket, das dem System das Überleben sichern soll. An diesem Mittwoch stimmt das Kabinett darüber ab. Die Eckpunkte im Überblick.

Nina von Hardenberg

Philipp Rösler trat sein Amt als Gesundheitsminister vor einem Jahr mit großen Versprechen an. Der junge FDP-Politiker wollte das deutsche Gesundheitswesen grundlegend modernisieren und vor allem die Kosten senken. An diesem Mittwoch nun soll das Bundeskabinett Röslers Reform absegnen. Die wesentliche Botschaft: Die Versicherten müssen mit höheren Kassenbeiträgen das System sanieren, und die Kosten werden weiter steigen. Kritik an dem Gesetz kommt von allen Betroffenen - der Reformer Rösler ist entzaubert.

Teure Gesundheitsversorgung: Auf die Versicherten kommen durch die Reform höhere Kosten zu. (Foto: ddp)

Warum schon wieder eine Gesundheitsreform?

Wenn Gesundheitspolitiker über "Reformen" sprechen, meinen sie meistens eigentlich Sparpakete. So ist es auch dieses Mal. Die Gesetzesänderungen sind nötig, weil die Kosten des Gesundheitssystems ausufern und die Kassen mit ihrem Geld nicht auskommen.

Im nächsten Jahr werden sie ein Defizit von insgesamt elf Milliarden Euro anhäufen, wenn der Staat nicht eingreift. Einigen Kassen droht sogar die Insolvenz. Die Krankenkassen leiden unter der schlechten Wirtschaftslage. Denn ihre Einnahmen hängen direkt von dem Verdienst ihrer Mitglieder ab. Wenn viele Menschen arbeitslos werden, bekommen auch die Kassen weniger Geld.

Doch die Finanzkrise ist nur ein kleiner Teil des Problems. Wichtiger sind die ständig wachsenden Ausgaben: So bekamen zuletzt vor allem die Kliniken und niedergelassenen Ärzte mehr Geld - ein spätes Geschenk der großen Koalition.

Außerdem sind die Arzneimittelkosten trotz verschiedener Reformen gestiegen. Die Ausgaben der Krankenkassen des Gesundheitssystems werden aller Reformen zum Trotz in Zukunft weiter wachsen, auch weil neue aufwendige Therapieverfahren entwickelt werden und die Menschen immer älter werden. Gleichzeitig sinkt die Zahl der arbeitenden Beitragszahler.

Ja, die gesetzliche Krankenversicherung wird teurer. Alle Beteiligten müssten mithelfen, das Finanzloch bei den Kassen zu stopfen, das hat Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) immer wieder betont. Doch für die Versicherten gilt das offenbar ganz besonders. Nicht nur müssen sie künftig statt bislang 7,9 Prozent ihres Bruttolohns 8,2 Prozent für Krankheitsschutz aufbringen.

Teure Gesundheitsversorgung: Auf die Versicherten kommen durch die Reform höhere Kosten zu. (Foto: ddp)

Zusätzlich dürfen ihnen Krankenkassen, die mit ihrem Geld nicht auskommen, auch noch Zusatzbeiträge in beliebiger Höhe abknöpfen. Bislang waren diese auf ein Prozent des Einkommens gedeckelt. Entgegen ursprünglichen Planungen sollen nun auch Empfänger von Arbeitslosengeld 1 Zusatzbeiträge zahlen müssen.

Die Versicherten tragen über die Zusatzbeiträge das gesamte Risiko künftiger Kostensteigerungen. Immerhin: Wer keine Zusatzbeiträge zahlen will, kann zu einer anderen Kasse wechseln. Bislang verlangen erst wenige Kassen ein solches Sonderopfer von ihren Versicherten.

Auch die Arbeitgeber müssen künftig mehr für den Krankenschutz ihrer Mitarbeiter ausgeben. Doch ihr Anteil wird auf dann 7,3 Prozent eingefroren. Insgesamt sollen die Kassen über die höheren Beitragssätze 6,3 Millionen Euro zusätzlich einnehmen. Weitere zwei Milliarden gibt der Bund dazu.

Unliebsame Post von Energieunternehmen ist man schon gewöhnt. Da kommt plötzlich eine Aufforderung zur Stromnachzahlung, weil der Abschlag nicht gereicht hat. Ähnliche Briefe könnten Versicherte künftig auch vermehrt von ihren Krankenkassen bekommen. Denn die Kassen müssen sich direkt an ihre Versicherten wenden, wenn sie mit dem normalen Beitragssatz, der automatisch vom Bruttogehalt abgezogen wird, nicht auskommen.

Schon heute verlangen einige Krankenkassen Zusatzbeiträge von bis zu 37,50 Euro im Monat. Künftig ist ihnen nach oben hin keine Grenze mehr gesetzt. Die Regierung will damit auch den Kampf der Kassen um Mitglieder anheizen. Denn die Versicherten reagieren empfindlich auf die zusätzliche Zahlungsaufforderung. Viele wechseln zur Konkurrenz.

Doch niemand soll mehr für Krankenschutz ausgeben müssen, als er kann. Die Regierung hat darum einen Sozialausgleich erdacht. Übersteigt der durchschnittliche Zusatzbeitrag zwei Prozent des Einkommens eines Arbeitnehmers, erhält dieser künftig einen Abschlag beim normalen Beitragssatz. Dies soll über den Arbeitgeber organisiert werden, der dann nur einen reduzierten Krankenversicherungssatz vom Einkommen abzieht.

Die Hausärzte fühlen sich von Gesundheitsminister Rösler verraten. Denn einerseits betont der Minister bei jeder Gelegenheit, wie wichtig die ärztliche Versorgung auf dem Land ist und dass Anreize gefunden werden müssen, damit sich die Mediziner auf dem Land niederlassen.

Andererseits aber will die Regierung den Hausärzten die sogenannten Hausarztverträge einschränken, die den Hausärzten in einigen Regionen Mehreinnahmen von bis zu 25 Prozent sicherten. In diesen Verträgen verpflichten sich Patienten, bei Beschwerden immer zunächst ihren Hausarzt aufzusuchen. Theoretisch sollen so Doppeluntersuchungen vermieden und Kosten gespart werden. Genau der Beweis, dass tatsächlich gespart werden konnte, fehlt aber bislang noch.

Gleichzeitig konnten die Mediziner in diesen Verträgen mit den Krankenkassen deutlich höhere Honorare durchsetzen. Mehr Geld soll es nun künftig nur noch geben, wenn auch tatsächlich an anderer Stelle Geld gespart wird. Dadurch sollen etwa 500 Millionen Euro weniger ausgegeben werden. Für alte Verträge aber gilt Bestandsschutz. Auch für die anderen niedergelassenen Ärzte werden die Honorare künftig nicht mehr so stark steigen wie zuletzt. Über die Details verhandeln Ärztevertreter und Kassen an diesem Freitag.

Ähnlich wie bei den Ärzten wird auch bei den Krankenhäusern nicht gekürzt. Die Ausgaben dürfen künftig nur nicht mehr so stark wachsen wie zuvor. Das soll 500 Millionen bringen.

Die Krankenhäuser ärgern sich aber über eine Regel, die es für sie unattraktiver macht, neue Patienten für sich zu gewinnen. Erarbeitet sich ein Krankenhaus etwa einen guten Ruf für Knieoperationen und kann so mehr Patienten anlocken als im Jahr zuvor, so erhält es für diese Zusatzarbeit nur 70 Prozent des eigentlich vereinbarten Preises.

Mehr Patienten zu behandeln als im Vorjahr ist aber für viele Krankenhäuser die einzige Möglichkeit, zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Sie können steigende Kosten, zum Beispiel für höhere Gehälter der Ärzte, nicht einfach auf Patienten umlegen. Denn die Preise für eine Knieoperation oder einen Blinddarm sind festgelegt.

Die Kliniken stehen in einem scharfen Wettbewerb, gut ein Viertel schreiben rote Zahlen. In der Vergangenheit mussten bereits viele kleinere Häuser aufgeben oder fusionieren. Insgesamt gibt es aber in Deutschland immer noch Überkapazitäten. Viele Häuser sind nicht ausgelastet.

Nicht nur Ärzte, Versicherte und Kliniken müssen sparen, auch die Krankenkassen selbst sollen einen Beitrag leisten. Die Verwaltungsausgaben der Kassen dürfen in den kommenden zwei Jahren nicht steigen.

© SZ vom 22.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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