Gestaltungssatzungen:Weg mit den Werbelogos

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Fachwerkbau in Celle. Für Neubauten wird dieser Stil künftig nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Die entschärfte Regelung soll Investoren anlocken. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Städte erlassen Regeln zum Schutz und Erhalt des historischen Bauerbes. Sie schreiben Hausbesitzern zum Beispiel vor, wie Dächer, Türen und Fenster auszusehen haben, und welche Reklame zugelassen ist. Das liefert oft Zündstoff.

Von Joachim Göres

Ein Mann mit umgehängtem Fotoapparat schlendert mit seiner Begleiterin über einen leeren Platz, im Hintergrund erkennt man über gleichförmigen Schaufensterscheiben die Buchstaben H&M, dm, C&A, P&C. In der Mitte des Bildes steht in einer großen Sprechblase: "Guck doch mal bei Google-Maps, in welcher Stadt wir gerade sind." Gesichtslose Fußgängerzonen, in denen der Tourist angesichts der Dominanz von in vielen Städten vertretenen Filialisten plötzlich nicht mehr weiß, wo er sich gerade aufhält - das ist die Schreckensvision der Fremdenverkehrswerber. Sie wollen Reisende von der Schönheit ihrer Stadt überzeugen, von besonderen Attraktionen, von einer einzigartigen Architektur, vom Stolz der Bewohner auf ihren historischen Kern.

Die Besitzer der Häuser im Zentrum aber sind interessiert, ihre Läden möglichst teuer zu vermieten - so kommt das Geld für den Erhalt der häufig unter Denkmalschutz stehenden Bauten herein. Da akzeptiert man auch schon mal größere Werbebuchstaben an der Fassade, die den Blick auf den besonderen Baustil verdecken, oder Umbauten, die den historischen Charakter des Gebäudes beeinträchtigen. Das vertreibt Touristen, klagen Stadtverantwortliche und entwerfen eine Gestaltungssatzung zum Schutz und Erhalt der Altstadt. Mit so einer Satzung können Kommunen den Hausbesitzern zum Beispiel vorschreiben, wie Dächer, Türen und Fenster auszusehen haben, und welche Werbung zugelassen ist und welche nicht.

Welche widerstreitenden Interessen dabei aufeinanderstoßen, ist gegenwärtig im niedersächsischen Celle zu beobachten, wo sich mit fast 500 Fachwerkhäusern das größte geschlossene Fachwerkensemble Deutschlands findet. Eine Stadt mit 70 000 Einwohnern, die mit Leerstand von Geschäften im Zentrum zu kämpfen hat, wo abends - auch weil hier nur wenige Menschen leben - oft nicht mehr viel los ist. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum die aktuelle Gestaltungssatzung von 1978 jetzt eine Neufassung bekommen und in einigen Punkten entschärft werden soll.

Der Neigungswinkel der Dächer in der Altstadt (bisher sind 45-60 Grad erlaubt) soll großzügiger festgelegt werden, bei den Fenstern wird nicht mehr Weiß als einzige Farbe für die Rahmen verlangt, und für Neubauten soll nicht mehr zwingend der Fachwerkstil vorgeschrieben sein. Die Hoffnung: Je geringer die Auflagen, desto größer die Bereitschaft, hier in Wohnen und Arbeiten zu investieren. "Wir wollen kein Freilichtmuseum sein, sondern nur die gröbsten Auswüchse verhindern", sagte Stadtbaurat Ulrich Kinder vor Kurzem auf einer öffentlichen Veranstaltung, auf der die Pläne vorgestellt wurden.

Zu den Auswüchsen gehören für ihn Sonnenschirme mit großen Werbelogos und -schriftzügen, sie sollen künftig nach dem Willen der Stadt verschwinden. "Die Werbeschirme bekommen wir von den Firmen umsonst, neutrale müssen wir bezahlen", so die Kritik der Gastronomie. "Das ist ein klassischer Konflikt", räumt Kinder ein. Er hatte statt der verbreiteten Werbeaufsteller aus Plastik solche mit einem Holzrahmen vorgeschlagen, die besser zum Fachwerkensemble passten. "Ein einheitlicheres Außenbild kann positiv wirken. Aber wenn wir dafür Geld in die Hand nehmen, muss auch die Frequenz in den Geschäften tatsächlich steigen", lautet der Kommentar eines Ladenbesitzers.

Der Vertreter der IHK verlangt nach einer Umfrage unter seinen Mitgliedern zur neuen Gestaltungssatzung, mehr Ausnahmen bei der Werbung auf Schaufenstern zuzulassen - nach den Plänen der Stadt sollen maximal 15 Prozent der Fläche für Schriftzüge erlaubt sein, das vorübergehende Zukleben der ganzen Fläche mit Werbebotschaften soll tabu sein. "Das Zukleben der Schaufenster passt nicht zum Charakter der Altstadt", sagt Kinder. "Bei besonderen Aktionen werden wir das weiter möglich machen", setzt der städtische Wirtschaftsförderer Thomas Faber allerdings einen deutlich anderen Akzent.

Der Sozialverband Deutschland beklagt hingegen, dass die vielen Werbeaufsteller für Rollstuhlfahrer, Menschen mit kleinen Kindern, Blinde und Gehbehinderte zu Hindernissen werden. Durch immer mehr Sonnenschirme, Tische und Blumenkübel werde der Gang in verkehrsberuhigten Zonen zudem auch für Ältere gefährlich, die nicht mehr gut hören und sehen. In den reinen Fußgängerzonen sei es für Sehbehinderte oft nicht mehr möglich, sich an den Schaufenstern zu orientieren, weil dort alles vollstehe - eine freie Schutzzone von einem Meter an den Häuserfronten sei nötig. Eine Bürgerin verlangt angesichts der Reklameflut generell weniger Werbeaufsteller vor den Geschäften, für sie spielt das Material nicht die entscheidende Rolle: "Die Frage ist doch: Wollen wir eine schöne Stadt oder eine zugemüllte Stadt."

Fenster müssen aus Holz sein und dürfen nur nach außen geöffnet werden - ist das praktisch?

Festgeschrieben werden soll, dass Fenster aus Holz sein müssen und nur nach außen geöffnet werden dürfen. "Haben Sie so schon mal in der 3. Etage Fenster geputzt?", lautet der Einwand eines Bewohners. "Eine gefahrlose Reinigung muss möglich sein. Das ist dann vielleicht nicht perfekt, aber das ist der Preis, den man für eine besonders schöne Altstadt in Kauf nehmen muss", entgegnet Kinder.

Einige Neuerungen in der Satzung haben mit der technischen Entwicklung zu tun - wie der Ausschluss von Anlagen zur Gewinnung von Windenergie sowie der Festlegung, unter welchen Bedingungen Photovoltaik- und Solarthermieanlagen auf den Altstadtdächern zulässig sind.

Nach der bisherigen Kritik am ersten Entwurf hat die Stadt Celle schon einige Rückzieher gemacht. Luftballons mit Werbeaufdruck vor den Geschäften bleiben künftig erlaubt. Auch die Idee, nur noch handgeschriebene Texte auf Werbeaufstellern zuzulassen, wurde aufgegeben. Jetzt werden die Pläne in den Ortsräten vorgestellt, nach einer Überarbeitung noch einmal der Öffentlichkeit präsentiert und dann dem Stadtrat zur Entscheidung vorgelegt. Sollte die neue Gestaltungssatzung verabschiedet werden, wird sich dadurch nicht auf einen Schlag etwas ändern. Kinder: "Die neuen Regelungen greifen nur bei Umbauten, ansonsten gilt Bestandsschutz."

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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