Gesetzliche Krankenversicherung:Weg mit der Praxisgebühr

Unsinnig, unsozial, bürokratisch: Die Praxisgebühr hat die Arztbesuche der Patienten nicht gesenkt, sie trifft sozial Schwache und macht Ärzten mehr Arbeit. Es ist Zeit, sie abzuschaffen.

Charlotte Frank

Plötzlich ist Geld in der Kasse, viel Geld, und diese ungewohnte Situation scheint die Minister in Berlin so zu verunsichern, wie es eine Etatlücke wohl kaum noch könnte. So feilschen sie nun wie die Kamelhändler um die überschüssigen Milliarden.

Dabei vergessen sie offenbar eines: Die Reserven der gesetzlichen Krankenversicherung - insgesamt 19,5 Milliarden Euro - gehören nicht dem Staat. Sie gehören der Gemeinschaft der Versicherten. Man sollte also, wenn überhaupt, mit dem Geld etwas anstellen, was denen unmittelbar zugutekommt. Ein erster Schritt wäre, die Praxisgebühr abzuschaffen. Denn außer Kosten bringt sie den Versicherten nichts.

Gebühr hat keinen Einfluss auf Arztbesuche

Als die Gebühr 2004 eingeführt wurde, sollte sie die Arztbesuche der Patienten besser steuern und dadurch reduzieren. Das hat nachweislich nicht geklappt. Beim Gros der Deutschen hat sich, das belegen zahlreiche Studien, ein Abnutzungseffekt eingestellt. Die Gebühr für eine Sprechstunde wird inzwischen so selbstverständlich gezahlt wie das Eintrittsgeld für eine Kinovorstellung. Sie hat aber leider auf die Arztkontakte auch annähernd so viel Einfluss wie ein Kinoticket: keinen.

Nach einem kurzen Rückgang in den Anfangsjahren gehen die Deutschen heute wieder, wie vor Einführung der Gebühr, im Durchschnitt 18-mal im Jahr zum Arzt. Nur eine kleine Gruppe wird durch die zehn Euro abgeschreckt - und zwar just jene, die am meisten auf die Solidarität der Versichertengemeinschaft angewiesen ist: die sozial Schwachen. Sie verschleppen nun ihre Arztbesuche lieber - und damit auch ihre Krankheiten, was die Kassen wieder teuer zu stehen kommt.

Die Praxisgebühr hat sich also mittlerweile als unsinnig erwiesen; so sehr, dass nicht einmal mehr ihre Verfechter behaupten, sie sei sinnvoll. Sie behaupten nur, sich deren Abschaffung nicht leisten zu können.

Zwei Milliarden für die gesetzlichen Kassen

Denn zumindest eines hat die Praxisgebühr unstreitig gebracht: Geld. Allein 2011 waren es zwei Milliarden Euro für die gesetzlichen Kassen. Solche Summen können diese gut gebrauchen, auch in Zeiten des Wohlstands - denn die Jahre, in denen es ihnen finanziell schlecht ging, sind nicht lange her, und solche Jahre kann es bei abflauender Konjunktur schnell wieder geben.

Zu Recht ist deshalb vorgeschrieben, dass sowohl der Gesundheitsfonds als auch die Kassen hohe Reserven vorhalten müssen, um für schlechte Zeiten gerüstet zu sein. Zu Recht wird deshalb nun auch bei der Pflegeversicherung darum gerungen, Polster anzulegen.

Dass Polster an sich nicht falsch sind, heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass es richtig wäre, diese mit einer unsinnigen, unsozialen und obendrein die Ärzte durch erhebliche Bürokratie belastende Abgabe weiter aufzufüllen. So ärgerlich das Geschacher um die Überschüsse der Kassen nun also ist, so hat es doch zumindest ein Gutes: Endlich wird die Praxisgebühr öffentlich hinterfragt. Diese Debatte war längst überfällig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: