Gesetzliche Krankenversicherung:Krankenversicherte müssen sich auf neue Beiträge einstellen

Symbolbild 'Ärztepfusch'

Die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung könnten sich in wenigen Wochen deutlich ändern.

(Foto: dpa)
  • Krankenkassen können ab Januar wieder eigene Beiträge festlegen.
  • Entscheidungen über die Höhe der Beiträge fallen in diesen Tagen.
  • Kassenmitglieder haben ein Sonderkündigungsrecht, wenn sich der Beitrag verändert.

Von Guido Bohsem

Die nächsten drei Wochen werden für die Krankenkassen turbulent wie nie zuvor. Anfang des Jahres beginnt für die gut 130 Versicherer eine neue Welt - zumindest, was die Beiträge angeht. Anfang des Jahres nämlich soll das bisherige System umgestellt werden. Statt eines einheitlichen Beitrages kann jede Kasse selbst festlegen, wie viel sie von ihren Mitgliedern verlangen darf. Die Entscheidung fällt in diesen Tagen. Bei der AOK geht es schneller, bei den Ersatz- und Betriebskrankenkassen dauert es in der Regel ein bisschen länger, weil unterschiedliche Aufsichten den neuen Beitrag genehmigen müssen.

Turbulent wird es, weil jede Kasse gesetzlich verpflichtet ist, ihren Mitgliedern den neuen Beitragssatz mitzuteilen - und zwar rechtzeitig bevor er in Kraft tritt. Das heißt also, dass innerhalb der nächsten Wochen etwa 50 Millionen Briefe entworfen, gedruckt und verschickt werden müssen. Dazu müssen die Kassen Druckaufträge ausschreiben und Verträge mit der Post aushandeln. Nach Schätzungen aus dem Kassenlager dürfte alleine diese Aktion rund 40 Millionen Euro kosten, also etwa 80 Cent pro Brief.

Eine solche Aktion hat es in der Geschichte der Krankenversicherungen noch nicht gegeben. Für das Verschicken des Organspendenausweises an alle 70 Millionen Versicherte hatten sie insgesamt ein Jahr Zeit, heißt es. In normalen Zeiten verfüge eine Kasse mit drei Millionen Mitgliedern über ein Postkontingent von 30 000 Briefen am Tag. Sie würde also knapp einen Monat brauchen, die Wochenenden mit eingerechnet, um alle Schreiben zu verschicken. Diesmal muss sie es in der Hälfte der Zeit schaffen. Und sie muss natürlich Hotlines schalten für den Fall, dass die Angeschriebenen Fragen zu dem Schreiben haben.

Denn der Sachverhalt ist nicht einfach. Um ihn zu verstehen, muss man wissen, dass der derzeitige Beitragssatz zu ungleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt wird. Die Unternehmen überweisen 7,3 Prozent an die Kassen, ihre Mitarbeiter aber 0,9 Punkte mehr, also 8,2 Prozent. Die Politik tut nun so, als habe es diese 0,9 Punkte nie gegeben und hat den niedrigsten gemeinsamen Beitrag bei 14,6 Prozent festgelegt. Was darüber hinaus geht, gilt als Zusatzbeitrag und ist - wie zuvor - vom Versicherten alleine zu zahlen.

Das heißt, wenn eine Kasse wie die AOK Bayern von Januar an denselben Beitragssatz von 15,5 Prozent wie jetzt erhebt, nimmt sie nach den neuen Regeln einen Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent. Sogar die AOK-Plus, die ihren Beitrag de facto um 0,6 Punkte auf 14,9 Prozent senken will, hat laut politischer Vorgabe ihren Versicherten mitzuteilen, dass sie einen Zusatzbeitrag von 0,3 Prozent erheben möchte.

Egal ob leichte Senkung oder Erhöhung des Beitrages, für das Kassenmitglied (ein Versicherter ist jeder, aber nur wer tatsächlich zahlt, ist ein Mitglied) ergibt sich daraus ein Sonderkündigungsrecht. Das heißt, wer von der Kasse im Dezember einen Brief erhält, in dem sie einen Zusatzbeitrag ankündigt, kann bis Ende Januar zu einer anderen Kasse wechseln. Kommt der Brief erst im Januar an, verschiebt sich das Kündigungsrecht um den Zeitraum der Verspätung nach hinten. Besonders interessant wird es für Mitglieder, deren Kassen oberhalb des vom Schätzerkreis berechneten Beitrags-Durchschnitts von 15,5 Prozent liegen. In diesem Fall muss die Kasse sogar auf einen Wettbewerber mit günstigeren Sätzen hinweisen.

Warum sind manche Kassen im Minus

Insbesondere diese Regelung wird dafür sorgen, dass es höhere Beiträge als 15,5 Prozent wahrscheinlich nicht geben wird. Sollte eine Kasse trotzdem drüber liegen, muss sie damit rechnen, zahlreiche Mitglieder zu verlieren. Angesichts der aktuellen (und vor allem der künftigen) Finanzlage dürfte aber auch keine Kasse ganz ohne Zusatzbeitrag auskommen.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums haben die Kassen nämlich in den ersten neun Monaten rund 763 Millionen Euro Miese gemacht. Ihre Ausgaben lagen bei 153,3 Milliarden Euro, während sie nur 152,6 Milliarden Euro einnahmen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wies darauf hin, dass sie trotz der Entwicklung immer noch über Finanzreserven von 16 Milliarden Euro verfügen. Diese sind unter den Kassen allerdings sehr ungleich verteilt, das heißt, bei manchen sehr hoch, bei anderen sehr niedrig.

Ein Großteil des Minus kommt nach Gröhes Worten zustande, weil sich viele Kassen entschieden haben, mehr freiwillige Leistungen anzubieten. So bezahlen einige von ihnen nun Osteopathie-Behandlungen oder professionelle Zahnreinigungen. Diese Kassen hoffen, dass ihnen so die Mitglieder auch mit höherem Zusatzbeitrag treu bleiben. Andere setzen auf finanzielle Anreize. So haben die Kassen bis Ende September auf insgesamt 553 Millionen Euro verzichtet, weil sie Prämien an ihre Versicherten ausschütteten.

Diese Prämien wird es im neuen Beitragssystem nicht mehr geben, stattdessen sind ja künftig, siehe AOK Plus, niedrige Zusatzbeiträge möglich. Und zumindest hier wird es einfacher. Die neuen Zusatzbeiträge müssen nicht mehr gesondert vom Kassenmitglied überwiesen werden. Sie werden, wie der Basisbeitrag auch, sofort mit der Gehaltszahlung abgeführt. Jedoch soll sich auf der Gehaltsabrechnung ein Hinweis darauf finden, wie hoch der Zusatzbeitrag der Kasse des Mitarbeiters ist.

Die meisten Kassen - darunter auch einige Branchengrößen - gehen übrigens davon aus, dass sie im nächsten, spätestens aber 2016 - inklusive Zusatzbeitrag - über den derzeitigen Satz von 15,5 Prozent hinausgehen müssen. Zu groß seien die Kostensteigerungen, heißt es und zu großzügig verteile die Politik das Geld, gerade mit Blick auf die Reserven.

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