Gesetzliche Krankenversicherung:Das Milliarden-Geschenk

Bizarre Rechnung - und die Kassen profitieren: Je höher das strukturelle Defizit 2010 ausfällt, desto mehr Kredite kann die Regierung bis 2016 aufnehmen, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen.

Guido Bohsem, Berlin

So viel Großzügigkeit hätte man von einem liberalen Gesundheitsminister nicht unbedingt erwartet. Und doch: Philipp Rösler (FDP) wird der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit 3,9 Milliarden Euro über die Runden helfen. Der üppige Zuschuss aus der Bundeskasse soll die schlimmsten Finanzprobleme der Kassen im kommenden Jahr lindern.

Krankenversicherungen, Gesundheit,Foto: dpa

Patienten und Ärzte können durchatmen: Der neue Gesundheitsminister macht knapp vier Milliarden Euro locker.

(Foto: Foto: dpa)

Damit gibt sich Rösler deutlich spendabler als seine Vorgängerin Ulla Schmidt. Zwar wollte auch die Sozialdemokratin den Krankenkassen durch die Wirtschaftskrise helfen. Trotz heftiger Proteste von AOK und Co. hatte Schmidt stets darauf beharrt, dass der Bund lediglich ein Darlehen gewähre. Die Kassen sollten das Geld nach der Krise wieder zurückzahlen. Ansonsten mache man es den Versicherern zu einfach und verhindere den Wettbewerb.

Während der Koalitionsverhandlungen waren es die liberalen Unterhändler um Rösler, die darauf beharrten, Schmidts harte Linie gegen die Kassen weiterzufahren. Das gilt nun nicht mehr.

Raus mit dem Geld

Für das Jahr 2010 hat die schwarz-gelbe Koalition Geldausgeben angesagt. Deshalb erhalten nicht nur die Krankenkassen ihren Zuschuss, sondern auch die Bundesagentur für Arbeit. Deshalb haben es Union und FDP auch so eilig, die im sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesammelten Steuernachlässe in Kraft zu setzen.

Viel bizarrer ist noch, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) diese Politik nicht trotz, sondern gerade wegen der erst im Sommer im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse verfolgt. Für 2010 gilt: Gerade weil so wenig Geld in der Bundeskasse ist, bietet es sich für die Regierung an, umso mehr auszugeben.

Warum ist das so? 2016 ist die Schuldenbremse voll wirksam und das strukturelle Defizit darf nicht höher sein als 0,35 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Das sind nach heutiger Messung etwa zehn Milliarden Euro. Von 2010 an muss die Neuverschuldung bis dahin in sechs etwa gleich großen Schritten abgebaut werden. Sprich, die Kredite müssen 2011 um ein Sechstel niedriger sein als die Kredite aus dem Jahr 2010. Je höher das strukturelle Defizit also 2010 ausfällt, desto mehr Kredite kann die Regierung bis 2016 aufnehmen, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen.

Von einem strukturellen Defizit spricht man dann, wenn der Staat in normalen Konjunktur-Zeiten zu wenig einnimmt, um seine Ausgaben tragen zu können. Als normal gilt derzeit für Deutschland ein Wachstum von 1,5 Prozent.

Steuersenkungen erhöhen also das strukturelle Defizit. Nimmt der Staat wegen einer Rezession weniger Steuern ein, erhöht sich zwar das konjunkturelle Defizit, am strukturellen Defizit ändert sich nichts. Ein Zuschuss an die GKV hingegen treibt das strukturelle Defizit in die Höhe. Würde der Bund ein Darlehen geben, wäre das nicht der Fall. So erklärt sich die dann auch Großzügigkeit des liberalen Gesundheitsministers.

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