Geschäfte:Burger statt Bluse

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Weil der Onlinehandel boomt, müssen selbst in den großen Metropolen immer mehr Modegeschäfte schließen. Die Mieten sinken, der Leerstand wird größer. Die freien Flächen locken vor allem Gastronomie-Ketten an.

Von Sabine Richter

Das neue Hamburger Einkaufszentrum soll ein ganz großer Wurf werden, und das nicht nur der Dimension wegen. Im südlichen Überseequartier in der Hafencity errichtet Unibail-Rodamco-Westfield ein Center mit gut 200 Läden und 80 500 Quadratmetern Verkaufsfläche. Geplant sind auch drei Hotels, 500 Wohnungen, Büros und ein Kreuzfahrtterminal. "Wir schaffen hier eine Einkaufserlebniswelt für Hamburg, die es so noch nicht gibt", hatte der damalige Entwicklungsvorstand des Unternehmens, Ulrich Wölfer, bei der Vorstellung des Projekts angekündigt. Doch manche Experten und Bürger sehen dem kommenden Mega-Shoppingcenter eher skeptisch entgegen: Sie fragen sich, woher die Kunden für so viele neue Läden kommen sollen. Der Trägerverbund Projekt Innenstadt rechnet mit Umsatzeinbußen in der City von bis zu 15 Prozent und befürchtet, dass Händler von der Innenstadt in das neue Center wechseln. Denn die neue Nummer eins der Hamburger Shoppingcenter, sechstgrößtes Einkaufszentrum in Deutschland, kommt in einer Zeit, in der die Konkurrenz aus dem Internet den klassischen Läden das Leben immer schwerer macht.

In Hamburg zum Beispiel stehen selbst in den besten City-Lagen Läden leer, die Mieten sinken. Viele große Namen haben in jüngster Vergangenheit ihre Geschäfte geschlossen, Esprit und Diesel, Tom Tailor, Denim Culture, Florence Moda und Wunderkind, ein von Wolfgang Joop gegründetes Label. "Bei den Objekten, die aufgegeben werden, handelt es sich meist um Läden mit mehreren Hundert Quadratmetern", sagt Dirk Wichner, Einzelhandelsexperte beim Makler und Immobiliendienstleister JLL Germany. "Auch große Ketten setzen inzwischen auf kleinere Flächen, ein Trend, der an allen Standorten zu beobachten ist."

Laut JLL-Marktbericht entfallen etwa die Hälfte der Mietvertragsabschlüsse in Deutschland auf die beiden Klassen unter 100 sowie 110 bis 250 Quadratmeter. Nur drei Prozent der Abschlüsse wurden 2018 in der größten Kategorie mit mehr als 2000 Quadratmetern getätigt. "Die Einnahmeseite stockt durch den Onlinehandel, da müssen Händler an die Kosten ran", sagt Wichner. Das heißt vor allem: Flächen sparen. Händler trennen sich daher von Läden mit vielen Geschossen. "Handel findet nicht mehr über mehrere Etagen statt. Mehr als das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss will niemand mehr mieten."

In den überzähligen Geschossen wird eine branchenfremde Nutzung zum Thema: "Wo Flächen verstärkt verfügbar werden und keine langfristige Vermietung ansteht, wird auch eine Umnutzung als Büro- oder Wohnraum in Erwägung gezogen", sagt Wichner. Handelsketten prüften neue Standorte sehr genau, das gelte vor allem für Textilhändler. Viele Ketten änderten derzeit ihre Strategie; immer wichtiger werden das Erlebnis und die Identifikation mit der Marke.

Die Zurückhaltung der Einzelhändler macht sich zunehmend auch bei den Mieten bemerkbar. Eigentümer von Ladenflächen können immer weniger verlangen. "Es gibt viele Läden, die zur Hälfte des früheren Mietpreises angeboten werden", berichtet Wichner. Allerdings gebe es nach wie vor Lagen, dazu gehören beispielsweise die Kö in Düsseldorf und die Maximilianstraße in München, an denen mehr Nachfrage als Angebot herrsche. "Hier stagnieren oder steigen die Mieten", sagt Wichner. Der Grund dafür sei, dass die hochwertigen nationalen und internationalen Label, die ihre Marke durch einen eigenen Shop noch stärker profiliert sehen wollten, ausschließlich in die besten Lagen oder die Top-Shoppingcenter gingen. Die Miethöhe spiele da keine Rolle.

Früher haben die Eigentümer die Vertragsbedingungen diktiert, doch diese Zeiten sind vorbei

Teuerster Standort bei den Spitzenmieten bleibt nach einer Untersuchung von BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) München, gefolgt von Berlin, Frankfurt und Düsseldorf. "Dass die Spitzenmieten noch so stabil erscheinen, liegt daran, dass sie für einen hundert Quadratmeter großen Standardshop mit idealen Voraussetzungen gelten und damit nur ein sehr kleines Marktsegment abbilden", sagt Christoph Scharf, Geschäftsführer der BNPPRE. Beim Gros der normalen Läden in durchschnittlichen Lagen zeigten sich enorme Abschläge, ergänzt Wichner.

Die Vorzeichen bei der Vermietung haben sich gedreht. Früher haben die Eigentümer der Ladenflächen die Vertragsverhältnisse diktiert, heute sitzen die Einzelhändler am längeren Hebel. "Drei Jahrzehnte haben wir starke Vermietermärkte gehabt, die Zeiten sind vorbei", beschreibt Wichner die Situation. Immer weniger Mieter sind zum Beispiel bereit, langfristige Mietverträge ohne flexible Anpassungsklauseln zu unterschreiben. Eigentümer versuchen daher, mit Anreizen die Händler länger zu binden. Sie geben zum Beispiel Umbauzuschüsse oder gewähren mietfreie Zeiten.

Nicht nur die Vertragsinhalte ändern sich. Auch die Struktur der Händler ist im Wandel, vor allem in den Innenstädten. Der Anteil der Modemarken am vermieteten Flächenvolumen sank im vergangenen Jahr um einen Prozentpunkt auf den historischen Tiefstand von 27 Prozent. Zwar bleibt die Textilbranche immer noch der wichtigste Player der Handelslandschaft, getragen wird der Bereich aber vor allem durch die Expansion internationaler Marken, die auf dem stabilen deutschen Markt Fuß fassen wollen. Ein Drittel der Großflächen ging im vergangenen Jahr an Mieter mit internationalen Konzepten.

Durch den Rückzug mancher Modemarken eröffnen sich Chancen für andere Branchen. Vor allem Gastronomiekonzepte sind sehr expansiv. Ihr Anteil am Vermietungsvolumen liegt bei etwa 20 Prozent. Vor allem die Systemgastronomie expandiert. So mietete die Burgerkette Hans im Glück im vergangenen Jahr elf neue Filialen an, das Café-Konzept Extrablatt immerhin acht. Laut Scharf sind inzwischen auch Flächen in Innenstadtlagen für die Systemgastronomen erschwinglich geworden. Außerdem zeichne sich ab, dass immer mehr Händler gastronomische Angebote in ihre Läden integrieren - entweder als Eigenmarke oder mit Partnern. Ein guter Kaffee oder ein leckeres Mittagessen soll die Kunden in die Läden locken.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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