Gemeinschaftsgärten:Ran an die Tomaten

Gemeinschaftsgärten: Wissen, wo es herkommt: Immer mehr Menschen wollen ihr Gemüse selbst anbauen.

Wissen, wo es herkommt: Immer mehr Menschen wollen ihr Gemüse selbst anbauen.

(Foto: Christian Endt)

In vielen deutschen Städten gibt es Gemeinschaftsgärten, in denen jeder selbst Pflanzen anbauen darf. Andere Initiativen setzen sich für grünere und schönere Städte ein. Oft geht es dabei um mehr als frisches Gemüse.

Von Marcel Grzanna

Ein Heer an Vogelscheuchen säumt die Gemüseparzellen entlang der Bundesstraße 264 in Köln-Lindenthal. Viele Hobbygärtner haben Zeit und Mühe investiert, um den Figuren liebevolle Kostüme überzustreifen. Entsprechend bunt und kreativ strahlt der Acker am Rande des Gewerbegebiets. Ein farbenfroher Lichtblick, besonders an wettergrauen Tagen, von denen Köln so viele erlebt wie keine andere deutsche Metropole.

"Die Vogelscheuchen sind nicht nur nützlich, sondern auch Teil des Erlebnisses, das wir unseren Kunden bieten wollen. Vogelscheuchen zu bauen und aufzustellen, macht vor allem den Kindern eine große Freude", sagt Sebastian Pohl. Der studierte Betriebswirt und gelernte Gemüsegärtner verpachtet die 160 Parzellen mit jeweils 100 Quadratmetern im Kölner Westen. Seine häufigsten Kunde sind Familien mit Kindern, die Lust darauf haben, ihr eigenes Gemüse zu züchten, aber selbst keinen Garten haben. Willkommen sind natürlich auch alle anderen, ob kinderlos oder im Rentenalter.

Für 300 Euro pro Parzelle und pro Saison bietet Verpächter Pohl nicht nur den Grund und Boden, sondern auch Anleitung und Tipps bis zur optimalen Ernte. "Wir beraten die Leute bei der Auswahl ihrer Gemüsesorten und erinnern daran, wann es Zeit ist zu säen, zu ernten oder zu bewässern", sagt Pohl. Einmal in der Woche steht er den Hobby-Gärtnern auch persönlich auf dem Acker zu Verfügung, um im Bedarfsfall mit beiden Händen anzupacken.

Die Verpachtung von Äckern bietet Landwirten und Gemüsebauern einerseits die Chance, neue Einnahmequellen zu generieren. Pohl hat die Fläche in Köln-Lindenthal dazu selbst nur gepachtet. Doch dem Gemüsebauer geht es auch um eine wachsende Wertschätzung für die Landwirtschaft in Deutschland. "Wer sich einen eigenen Garten zulegt und ihn bepflanzt, weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt. Die Preise im Supermarkt können einen falschen Eindruck hinterlassen. Uns ist es deshalb wichtig, dass unsere Kunden hier ein Gefühl dafür entwickeln, wie viel Sorgfalt und Ausdauer der richtige Anbau verlangt."

In Hamburg will ein Verein alte Sorten retten

Der Trend zum Eigenanbau erlebt einen Aufschwung, seit die Ernährung in Bio-Qualität für viele Verbraucher in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ein wachsendes Misstrauen in die industrielle Lebensmittelindustrie veranlasst Menschen dazu, ihre Bezugsquellen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Vertrauen in den eigenen Anbau ist naturgemäß am größten. Entsprechend penibel achtet Verpächter Pohl darauf, dass weder Kunstdünger noch Pestizide auf den Parzellen eingesetzt werden. Der Anbau ist faktisch bio. Die Fläche hingegen müsste noch weitere strenge Kriterien erfüllen, um sich ein Bio-Siegel höchster Kategorie zu verdienen.

Nicht immer spielt die Ernte ein Rolle. Viele Eigen-Gartenprojekte in Großstädten befassen sich mit der freiwilligen Pflege öffentlicher Anlagen durch die Anwohner. Unkraut wird gejätet, Blumenbeete werden gepflanzt, Sträucher gesetzt. Allein in Köln gibt es Dutzende solcher Anlagen, die das Urban Gardening, also die städtische Gartenarbeit, zwischen den Häuserblocks kultivieren. Die Bewegung hat längst die gesamte Republik von Nord nach Süd und West nach Ost erfasst. Es geht um Gemeinschaftsarbeit, um soziale Integration oder um die schlichte Verschönerung verstädterte Ballungsgebiete.

In Dresden beispielsweise hat sich ein Garten-Netzwerk gebildet (www.dresden-pflanzbar.de), an dem gleich mehrere Dutzend Projekte angeschlossen sind. Eines davon, das Ufer-Projekt, widmet sich "der Förderung urbaner Gemeinschaftsgärten, entwickelt Bildungsangebote, die vom Garten in die Küche bis ins Stadtgeschehen reichen und leistet Vernetzungsarbeit zwischen Akteuren, Initiativen und Stadtverwaltung". Für sein politisches Engagement wurde Ufer bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2019 mit dem Deutschen Nachbarschaftspreis der nebenan.de-Stiftung.

In Freiburg im Breisgau ist das Urban Gardening Teil einer Nachhaltigkeitsstrategie, die die gesamte Stadt verändern soll. Transition Town Freiburg nennt sich eine basisdemokratische Bewegung, die dazu ermutigen will, sich aktiv für die Entwicklung einer ökologisch und sozial nachhaltigeren Lebensweise einzusetzen. "Durch gemeinschaftliches Engagement auf Quartiersebene streben wir gemeinsam mit der Gemeinde einen ökologischen Stadtumbau an", heißt es im Leitbild. Strukturen und Prozesse, die nicht nachhaltig sind, sollen in Frage gestellt werden. Zentraler Ansatzpunkt der Bewegung ist die lokale Kooperation und Vernetzung: lokal statt global, weniger statt mehr.

In Hamburg sind derweil die Tomatenretter aktiv. Die Mitglieder des Vereins setzen sich für den Erhalt der Artenvielfalt ein, indem sie verschiedene Tomatenpflanzen anbauen, die normalerweise nicht im Supermarkt erhältlich sind. Der Beet-Club im Stadtteil Altona hat darüberhinaus eine enorme symbolische Bedeutung. Im Mai 2012 wurde dort aus Protest gegen die drohende Zerstörung eines Parks durch einen Energieversorger ein Hochbeet errichtet. Kurz gefasst: Der Park wurde gerettet, das Beet gibt es bis heute. Leute, die mitmachen wollen, werden immer gesucht.

Und auch in München gibt es Gemeinschaftsgärten. Manchmal geht es um Gemüse, manchmal um Kultur oder Integrationspolitik. Das Projekt UGAIN will "Gärten oder Grünanlagen in gemeinsame Treffpunkte zu verwandeln, um soziale Integration und kulturellen Austausch zwischen ortsansässigen Menschen und Migrant*innen zu fördern." Wer es unpolitischer mag, bei der Gartenarbeit, der findet im Internet eine lange Liste von urbanen Gärten (urbane-gaerten-muenchen.de).

Zurzeit ist Hochsaison für die Hobby-Gärtner, auch in Köln Lindenthal. Bis Ende Oktober läuft die Saison. Danach muss Verpächter Pohl die Winterfurchen pflügen. "Dann ist es auch nur matschig, und die Leute haben weniger Lust, auf dem Acker herumzulaufen."

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