Geldgeschäfte im Internet:Eine neue Chance für Revolutionäre

Im Sommer 1994 schreckten Direktbanker das Geldgewerbe auf. Die Vorreiter von damals setzen auch in der Krise wieder Trends.

Simone Boehringer

Wer Verbraucher heute nach ihrem letzten Besuch in einer Bankfiliale fragt, erntet oft nachdenkliches Schweigen. Umfragen zeigen, dass gerade noch etwas mehr als ein Drittel der Geldgeschäfte in Deutschland über den persönlichen Kontakt zu einem Bankmitarbeiter in einer Filiale erfolgen.

Kurse im Handydisplay, dpa

Bankgeschäfte über Fax, Handy und Internet - für viele Kunden war das eine ganz neue Erfahrung. Aber es war sehr viel günstiger.

(Foto: Foto: dpa)

Den Rest erledigten die Menschen maschinell oder eben online - weshalb viele oft länger als ein halbes Jahr nicht mehr in "ihrer" Filiale vorbeigeschaut haben. Vor 15 Jahren war das ganz anders: Das Internet war kaum verbreitet, die Deutsche Telekom noch nicht an der Börse und viele Deutsche vertrauten auf die Worte des ehemaligen Arbeitsministers Norbert Blüm, der ihnen 1986 versprochen hatte, "die Rente ist sicher".

Doch die Zweifel am staatlichen Rentensystem wuchsen und mit ihnen die Erkenntnis vieler Bürger, dass sie zum Erhalt ihres Lebensstandards im Alter zusätzlich privat vorsorgen müssen. Mit dem Börsenerfolg der T-Aktie der Telekom 1996 stieg das Interesse am Kapitalmarktgeschehen rapide. Die Deutschen, die bis dato auf staatliche Altersbezüge und Lebensversicherungen gesetzt hatten, begannen das große Zocken - und im Bankensektor begann eine Revolution.

"Unschlagbar günstig"

Nachwuchsbanker, die teils nicht einmal mit dem Studium fertig waren, wollten mit Kunden Geschäfte machen, ohne diese je zu Gesicht zu bekommen. In München (DAB, Advance Bank), Nürnberg (Consors, heute Cortal-Consors) oder auch in Quickborn bei Hamburg (Comdirect), stellten sie Telefone und Faxgeräte auf und versprachen, wesentlich billiger zu sein als die Konkurrenz mit den Filialen vor Ort. Bis dato herrschte kaum Wettbewerb bei Bankgebühren. Girokonten waren kostenpflichtig und wer Wertpapiere über seine Hausbank verkaufen wollte, zahlte bei den alteingesessenen Geldkonzernen fast überall dasselbe, etwa ein Prozent des Auftragswertes.

In der Bankenmetropole Frankfurt wurden die Newcomer zunächst belächelt. Geldgeschäfte ohne persönlichen Draht zum Berater zu tätigen, schien vielen in der Branche undenkbar. Doch das Konzept funktionierte, schlicht deshalb, "weil es anfangs für die Kunden unschlagbar günstig war", urteilt Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance and Management. Und dann war da ja noch der aufkommende Börsenboom.

"Es war die Aktie", erinnert sich Erika Stamm*, eine der ersten Kundinnen der DAB Bank, "und es war die Aussicht darauf, selbstbestimmt Wertpapiergeschäfte zu tätigen und dabei auch noch Kosten zu sparen, die mich von meiner Filiale zur Direktbank brachte". Die Münchner Tochter der Hypo-Vereinsbank startete im Mai 1994 als erster Direktbroker in Deutschland, die heute 64-jährige Hausfrau aus Heidelberg war von August an dabei. "Ich konnte meine Finanzen regeln, ohne aus dem Haus zu müssen, und die Depotkosten waren deutlich niedriger als vorher, das war attraktiv", sagt Stamm im Gespräch mit der SZ. Solche Argumente überzeugten bis heute rund acht Millionen Kunden, auf diese Höhe schätzen Experten die Zahl der Direktbankkunden in Deutschland.

Arbeit vieler Jahre

Doch der Boom kam nicht über Nacht. Es dauerte vielmehr ein paar Jahre, bis die neuen Broker eine nennenswerte Größe erreichten. Die hatte anfangs nur die Allgemeine Deutsche Direktbank (Diba), heute ING-Diba, die schon länger über Baufinanzierungen und günstige Tages- und Festgeldangebote Kunden von etablierten Banken weglockte. Hauptgrund für den anfangs zähen Verlauf des neuen Geschäftsmodells der Broker war eine Technik, die noch in den Kinderschuhen steckte: Bildschirmtext, der Vorläufer des Internet, dauerte schlicht zu lange und war nur etwas für Freaks. Die meisten Neukunden mussten ihre Aufträge telefonisch oder per Fax abgeben.

Erst als die Internet-Dienstleister AOL und T-Online eigene Online-Banking-Portale anboten, kam das Web-Banking, wie wir es heute kennen, mit Geheimzahlen wie Pins und Tans und bald auch mit Echtzeitkursen, richtig in Schwung. Der Aktienboom der sogenannten New Economy - alles Firmen, die wie die Direktbroker auch vom Internet profitierten - tat ein Übriges, um aus vielen gewöhnlichen Bankkunden kleine Wertpapierhändler zu machen.

Jeder wollte dabei sein, als die Börsenkurse zur Jahrtausendwende von Rekord zu Rekord kletterten. 1999 waren auch die DAB, die Comdirect und Entrium, die ehemalige Quelle Bank an die Börse gegangen. 2001 besaß jeder fünfte Deutsche Aktien oder Aktienfonds. Karl Matthäus Schmidt, Gründer des Direktbrokers Consors, feierte die "Demokratisierung der Börse".

Doch das Platzen der Aktienblase brachte erst einmal den großen Kater. Mit dem Kurssturz brachen auch die Erträge der Broker ein, weil viele verschreckte Kunden kaum mehr an der Börse handelten oder gleich gänzlich ausstiegen. 2002 übernimmt die französische Großbank BNP Paribas Consors. 2003 schluckt die Diba den Broker Entrium, um dann 2004 selbst unter das Dach des niederländischen Finanzkonzerns ING zu schlüpfen.

Am Ende der Konsolidierung bleiben von mehr als zwei Dutzend Direktbrokern am deutschen Markt weniger als zehn ernstzunehmende Konkurrenten übrig - und neue wie Flatex heizen den Preiswettbewerb zusätzlich an. Zudem bietet inzwischen praktisch jede Filialbank eine Vielzahl von Produkten den Kunden ebenfalls übers Internet an.

Warum die Direktbroker in Gefahr sind

Die Grenzen zwischen den einstigen Revolutionsführern und den Etablierten mit Internetauftritt verwischen sich. "Die Direktbroker haben ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Einige sind in der Gefahr, zum Auslaufmodell zu werden", urteilt Bankenprofessor Faust. "Direktbanken haben mehr Wettbewerb in die Bankenbranche gebracht, zum Vorteil der Kunden. Aber ihr Vertriebsmodell funktioniert nur bei einfachen Produkten", resümiert Frank-Christian Pauly vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Wenn es kompliziert wird und Rückfragen nötig werden, fehle es online schlicht an qualifizierter Beratung.

Beratungskrise im Bankensektor

Ist die Revolution also vorbei? Es kommt darauf an, wie die Direktbanken aus der Rezession hervorgehen, meint Jürgen Steiner, Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Passau. "Die Finanzkrise hat schonungslos zutage gebracht, dass es eine Beratungskrise im Bankensektor gibt. Als Folge erleben wir den Aufstand vieler Privatkunden", so Steiner. Sie wenden sich ab von etablierten Instituten, "weil das Vertrauen in die Berater fehlt". Das könnte eine neue Chance für die einstigen Revolutionäre sein - so sie es richtig anstellen.

Einige Broker sind schon wieder rührig, arbeiten mit externen Vermögensmanagern zusammen, bieten online Beratung an oder eröffneten zwischenzeitlich Filialen. Ehemalige Direktbanker wie Karl Matthäus Schmidt versuchen mit Instituten wie der Berliner Quirin Bank, Kunden über produktunabhängige Honorarberatung für sich zu gewinnen. Ex-DAB-Chef Matthias Kröner nutzt über seine neue Mitmachbank Fidor Web-2.0-Techniken, um Anleger direkt miteinander ins Gespräch zu bringen. Für Martin Daut, Deutschlandchef von Cortal Consors, geht es nach der Demokratisierung der Börse jetzt "um die Demokratisierung der Beratung".Welches Konzept sich durchsetzt, ist völlig offen. Fest steht bislang nur: Einige Rädelsführer der ersten Revolution sind schon wieder am Drücker.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: