Geldanlage: Zertifikate:Der Trotzdem-Boom

Lehman-Crash, war da was? Vor zwei Jahren schien das Ende für riskante Wertpapiere gekommen. Doch heute kaufen die Deutschen wieder Zertifikate, was das Zeug hält.

Hannah Wilhelm und Markus Zydra

Zertifikate erleben in Deutschland ein unerwartetes Comeback. Die Anzahl der Produkte stieg 2010 mit fast 550.000 Stück auf Rekord. Sparer haben mehr als 100 Milliarden Euro in die umstrittenen Papiere investiert. Nach dem Lehman-Crash hatten manche Anleger viel Geld verloren.

Lehmann Brothers-Anleger demonstrieren

Erst investiert, dann verloren: Ein Demonstrant hält ein Protestplakat in den Händen (Archivbild).

(Foto: dpa)

Vor zwei Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, das Ende der Zertifikate sei gekommen. Dass niemand mehr diese oft hochkomplexen Anlageprodukte kaufen werde, die eine Wette auf die Wertentwicklung von Aktien, Rohstoffen oder anderen Vermögenswerten darstellen. Dass schon gar nicht Privatanleger kaufen würden. Der vermeintliche Todesstoß kam im September 2008: Die US-Investmentbank Lehman Brothers ging pleite, und plötzlich waren zahlreiche Zertifikate deutscher Sparer wertlos - von einem Tag auf den anderen. Betroffen waren die Wertpapierdepots von 50.000 Anlegern. Das war ein herber Schlag für alle deutschen Sparer, die generell eine Furcht vor dem Kapitalverlust plagt.

Doch nun hat sich der umstrittene Markt wieder erholt - und wie. Fast 550.000 Zertifikate gibt es aktuell in Deutschland. Ein absoluter Rekord. Damit hat sich die Anzahl der angebotenen Produkte im Vergleich zu Zeiten vor der Finanzkrise verdoppelt. Und die Deutschen kaufen, was angeboten wird: Mit insgesamt 108 Milliarden Euro waren sie im September 2010 in diese Produkte investiert, meldet der Deutsche Derivateverband.

Damit nähert sich die Summe wieder dem an, was vor der Finanzkrise in Zertifikate gesteckt wurde, als sich das Finanzprodukt zu einem beliebten Investment der Deutschen mauserte - auch weil es die Banken es so gerne verkauften, gab es doch hohe Verkaufsprovisionen. Sind die Zocker zurück? Das wird von Verbraucherschützern und Produktanbietern unterschiedlich gesehen. "Der Vorwurf ist falsch. Nur ein Prozent des Marktvolumens entfällt auf die risikoreicheren Hebelpapiere", sagt Hartmut Knüppel, der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Derivateverbands (DDV). Auf der anderen Seite bergen auch andere Zertifikate einige Risiken, die manchem Sparer womöglich nicht bewusst sind. Das fängt schon damit an, dass Zertifikate anders als Investmentfonds kein Sondervermögen sind. Wenn die Bank, die das Papier auf den Markt gebracht hat, pleite geht, verlieren die Sparer alles. So ist es mit den Lehman-Zertifikaten passiert.

Kurzfristig war der Absatz in der Folge des düsteren Lehman-Septembers 2008 eingebrochen: von einst fast 140 Milliarden auf schließlich unter 80 Milliarden Euro. "Inakzeptabel war das Vorgehen mancher Berater, die insbesondere alte Leute veranlasst hatten, ihr gesamtes Erspartes in Lehman-Zertifikate zu stecken", sagt Knüppel. Der Totalverlust in diesen Fällen wurde dann in den Medien weniger den Beratern als der Zertifikatebranche insgesamt angelastet".

Seit dem Einbruch der Branche im Jahr 2009 geht es für die Zertifikate beständig bergauf. Verwunderlich. Denn seit der Lehman-Pleite füllen Geschichten über Rentner, die ihr gesamtes Erspartes mit den Risikopapieren verloren haben und nun ihre Banken wegen Fehlberatung verklagen, die deutschen Zeitungen und Magazine. Über die Klagen der Anleger gegen ihre Kreditinstitute wird berichtet, die Betroffenen demonstrierten vor den Bankfilialen und die Verbraucherschützer warnten vor dem Produkt. Und doch fand das Produkt wieder seinen Weg in die Depots der Deutschen.

Das sei ärgerlich, findet Manfred Westphal, Finanzexperte von der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Es hat sich fast nichts getan. Was wir eigentlich brauchen sind Vertriebsbeschränkungen. Man kann nicht jedem alles verkaufen." Der ganz große Teil der Privatanleger brauche diese Produkte nicht, findet der Verbraucherschützer.

Erhöhte Transparenz

DDV-Chef Hartmut Knüppel sieht das anders. In dem Verband sind die 18 größten Emittenten solcher Papiere organisiert. Knüppel verweist darauf, dass die Transparenz erhöht worden sei und dass heute zwei von drei in Deutschland gekauften Zertifikaten mit vollständigem Kapitalschutz ausgestattet seien. "Die Anleger können bei diesen Finanzprodukten also darauf vertrauen, dass Sie zumindest ihr eingesetztes Geld zurückerhalten."

Doch auch den Trend zu mehr Sicherheitsprodukten findet der Verbraucherschützer Westphal nicht gut: "Diese Produkte haben oft hohe verdeckte Kosten. Garantie hört sich zwar gut an, nicht selten ist diese Garantie aber gar nichts wert", sagt Westphal, der auch die hohe Zahl an verschiedenen Zertifikaten als verwirrend bezeichnet.

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