Süddeutsche Zeitung

Gebäude aus Holz:Hoch, höher, am höchsten

Der Wettbewerb um das größte Holzhaus der Welt hat ein rasantes Tempo angenommen. Der Naturstoff könnte der Schlüssel zum grünen Bauen in Städten werden - trotz einiger Hindernisse.

Von Sabine Richter

Der Baustoff Holz, früher eher der Öko-Fraktion unter den Architekten vorbehalten, macht Karriere, und zwar weltweit. Immer größer, höher, architektonisch spektakulärer werden die Bauten ganz oder überwiegend aus Holz. In Berlin wurde schon vor etwa zehn Jahren das erste deutsche Stadthaus ganz aus Holz errichtet, überdies als Energiesparwunder. Danach, 2011, galt ein Projekt in Bad Aibling als höchstes Holzhaus Deutschlands, 25 Meter hoch. Internationales Interesse erregte das vor Kurzem eingeweihte sechsgeschossige Studentenwohnhaus "Woodie" im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, in dem 2006 die Internationale Bauausstellung IBA stattgefunden hatte. Hamburgs größtes Holzhaus bietet 371 Studentenwohnungen in Holzmodulbauweise, die Module sind inklusive Innenausstattung komplett vorgefertigt und werden wie Legobausteine zusammengesetzt. Allerdings ist die tragende Sockelkonstruktion im Erdgeschoss aus Stahlbeton, genauso wie die Fahrstuhlschächte und Treppenhäuser.

In Heilbronn entsteht derzeit (bisher) Deutschlands höchstes Holzhaus. 34 Meter hoch soll das zehngeschossige SKAIO werden, geplant von dem auf Holzbau spezialisierten Berliner Architekturbüro Kaden+Lager, errichtet in Holzhybridbauweise von Züblin Timber. Das Gebäude entsteht im Rahmen der Bundesgartenschau 2019. Mit einer oberirdischen Bruttogeschossfläche von 5685 Quadratmetern bietet es Platz für 60 Mietwohnungen. Auch hier sind Sockelgeschoss und Treppenhaus aus Stahlbeton, die Fassade wird von außen mit Aluminiumplatten verkleidet. Allerdings werden hier erstmals in einem Hochhaus die tragenden Brettsperrholzdecken und Innenseiten der Außenwände in allen Wohnungen sichtbar bleiben.

Im Ausland ging es schon früher höher hinaus: Bereits 2012 wurde der zehnstöckige, knapp 32 Meter hohe Wohnkomplex, der den Viktoria Hafen in Melbourne überblickt, erbaut. Vor dem Bau von The Treet 2014 im norwegischen Bergen war es das höchste Holzgebäude weltweit. Der skandinavische Bau überragte das Haus um vier Stockwerke. Derzeit ist das höchste Holzhaus der Welt das Tall Wood Building in Vancouver, Kanada. Der Bau der University of British Columbia ragt 18 Stockwerke und 53 Meter empor.

Mehr Vorfertigung bedeutet kürzere Bauzeiten - und weniger Belastung für die Nachbarschaft

Locker den Rang wird dem Studentenbau das Hoho Wien ablaufen, das seit vergangenem Herbst in den Wiener Himmel wächst. 24 Stockwerke, verteilt auf 84 Meter Höhe wird das dann höchste Holzhochhaus der Welt haben, Leuchtturmprojekt des neuen Wiener Stadtteils Aspern. Auch dieses Holzhaus entsteht in Hybridbauweise, also auch aus Stahl und Beton für die Hauskerne, für Erschließungszonen oder Versorgungsräume. Wohnungen, Büros, ein Hotel und sogar ein Wellnessareal soll das Hoho Wien beherbergen.

Und in Schwedens Hauptstadt Stockholm besinnt sich die Wohnungsbaugesellschaft Folkhem wieder auf Holz. 2013 und 2014 hat Folkhem im Stockholmer Außenbezirk Sundbyberg mit 13 Stockwerken die damals höchsten klimaverträglichen Hochhäuser der Welt errichtet, die nahezu vollständig aus Holz gezimmert wurden - damals eine Sensation. In den kommenden Jahren sollen weitere, höhere folgen.

Nicht nur Länder mit einer reichen Holzbautradition sind in den Wettbewerb um das höchste Holzhaus der Welt eingestiegen: Der Oakwood Tower in London soll 300 Meter aus dem Barbican Centre emporwachsen und mit dieser Höhe die Grenzen der Holzbaukunst testen. Über den Planungsstatus ist das Projekt aber bisher nicht hinausgekommen. Im Londoner Stadtteil Shoreditch steht immerhin bereits The Cube, ein 33 Meter hohes Apartment-Gebäude aus Holz.

Auch nur auf dem Papier steht bisher der River Beech Tower in Chicago, der sich 244 Meter und 80 Stockwerke in den Himmel türmen soll. Die Architektur ist spektakulär: Zwei schmale Türme, verbunden durch riesige Streben, die sich wie Brücken durch das offene Atrium spannen. Die Entwürfe für die Bauten in London und Chicago sind beide in interdisziplinären Forschungsprojekten mit der Architekturfakultät der Cambridge University entstanden.

Noch viel hochfliegender sind die - noch wenig konkreten - Planungen aus Tokio. Hier soll ein 350 Meter hoher Wolkenkratzer fast ganz aus Holz für Wohnungen und Büros auf 70 Etagen entstehen. Bauherr soll eine Holzfirma sein, die sich den Bau zum 350. Firmenjubiläum wünscht.

Ob Hochhaus oder kuscheliges rotes Landhaus, dem Holz als natürlich nachwachsender sowie klimaneutraler Baustoff gehört die Sympathie, zumal Holz beim modernen Stand der Materialtechnik bei Wärmedämmung, Lärm- und Brandschutz keine Nachteile mehr gegenüber anderen Baustoffen aufweist. Zudem boomt die Baubranche, in den Städten wird dringend Wohnraum benötigt. Holzbau könnte dank seiner guten Umweltbilanz die Lösung des Dilemmas sein, dass einerseits mehr gebaut werden muss, um die Nachfrage zu decken, das Bauwesen aber gleichzeitig für etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs und mehr als ein Drittel der gesamten Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist. Tobias Dechow, Projektleiter des Hamburger Holzprojekts Wildspitze, glaubt angesichts der ökologischen Diskussionen daran, "dass in Hamburg irgendwann die Vergabe eines Grundstückes auch an die Klimafreundlichkeit des Konzeptes gebunden werden könnte". Außerdem ist die vorfabrizierte mehrgeschossige Holzkonstruktion geradezu prädestiniert für die innerstädtische Verdichtung und könnte deren Akzeptanz erhöhen. "Durch einen hohen Vorfertigungsgrad können wir kürzere Bauzeiten realisieren und die Belastung der Nachbarschaften durch Baustellenverkehr und Herstellungsprozesse vor Ort minimieren", meint Dechow.

Wildspitze Hamburg

Die Wildspitze ist der höchste Berg Nordtirols und der zweithöchste Berg Österreichs. Eine Wildspitze wird es aber bald auch in Hamburg geben - als das mit Abstand höchste Holzhaus Deutschlands. Das Gebäude soll bis 2021 in der Hafencity entstehen, die ohnehin nicht gerade arm an architektonischen Highlights ist. Nun bekommt sie also einen weiteren prestigeträchtigen Hingucker.

Sowohl die Hülle als auch das geplante Innenleben der Wildspitze sollen etwas Besonderes sein. 18 Stockwerke beziehungsweise 64 Meter hoch soll der Bau werden, der im östlichen Teil des Stadtteils, auf der vorspringenden Kaianlage des Baakenhafens, für etwa 100 Millionen Euro errichtet wird. Dabei sieht das Bauordnungsrecht ein so hohes Gebäude aus Holz eigentlich gar nicht vor. Selbst die vor Kurzem liberalisierte Hamburger Bauordnung lässt Holzbauten nur bis zu 22 Meter Höhe zu. Bauherren sind die Garbe Immobilien-Projekte GmbH und die Deutsche Wildtier Stiftung, die zu den kapitalstärksten privaten Umweltstiftungen Deutschlands gehört. "Baugenehmigung und auch Baustart erwarten wir für 2019", erklärt Tobias Dechow, Projektleiter der Wildspitze bei Garbe.

128 Eigentumswohnungen sowie 60 geförderte Wohnungen soll das Projekt beherbergen, dazu Ausstellungsräume zum Thema Natur- und Artenschutz. Markanter Orientierungspunkt wird der 64 Meter hohe Turm sein, der zu allen Seiten hin mit einer individuell zu öffnenden, gläsernen zweiten Fassadenhaut umhüllt werden soll, die als Lärm-, Witterungs- und Brandüberschlagsschutz dient. Hinter dieser Glashülle wird jede Wohnung über eine Loggia verfügen. Mit Ausnahme der Treppenhauskerne aus Stahlbeton, die der Aussteifung des Gebäudes und Sicherheitsaspekten dienen, werden sowohl die tragenden Bauteile als auch die Gebäudehülle vollständig aus Holzwerkstoffen - genauer aus Brettsperrholz und Brettschichtholz - hergestellt.

Die Deutsche Wildtier Stiftung wird Eigentümerin der von ihr genutzten Flächen, etwa 4400 Quadratmeter. Auf 2200 Quadratmetern und über zwei Ebenen ist eine multimediale Ausstellung zu den Wildtieren Deutschlands und dem Zusammenleben mit den Menschen geplant. Dabei sollen auch Elemente einer "augmented reality", also einer erweiterten Realitätswahrnehmung eingesetzt werden. Neben der Ausstellung soll Deutschlands erstes Naturfilm-Kino mit Tierfilmproduktionen und ökologischen Dokumentarfilmen Besucher anlocken. Als drittes Element sind naturpädagogische Angebote geplant. Oberhalb der Ausstellung werden die 35 Stiftungs-Mitarbeiter ihre Büroräume beziehen. Ein gastronomisches Angebot wird das Konzept ergänzen. Sabine Richer

Viele Wohnungsunternehmen, darunter die Bochumer Vonovia, wollen vermehrt auf Holz setzen, weil damit Flächenpotenziale durch Verdichtung und Aufstockung besser ausgenutzt werden können. Das Unternehmen hat sein erstes seriell produziertes dreistöckiges Mehrfamilienhaus in Holzhybridbauweise in Bochum in der Rekordzeit von drei Monaten hochgezogen, und zwar innerhalb einer bestehenden Vonovia-Siedlung. Das Gebäude aus 45 Holzmodulen soll der Auftakt zu einer Großserie von Häusern in ganz Deutschland sein, erklärte Vonovia-Chef Rolf Buch.

"Vor brennenden Holzhäusern muss sich heute niemand mehr fürchten."

Dass Holz nun der Baustoff der Zukunft sein soll, insbesondere für Hochhäuser, die man eher mit Technik, Beton, Stahl und Glas verbindet, verwundert dann doch so manchen. Warum wollen Architekten Beton und Stahl den Rücken kehren?

"Der Holzbau ermöglicht eine enorme Vorfertigung und Präzision," sagt Architekt Jan Störmer vom Hamburger Architekturbüro Störmer Murphy and Partners. Das erlaube eine schnelle Montage. Zudem habe Holz ein niedriges Eigengewicht, aber eine enorme Tragkraft. "Das statische Vermögen von Holz entspricht, richtig eingesetzt, dem von Beton", betont Störmer. "Daher eignet sich Holz auch gut für höhere Gebäude."

Zum Einsatz kommt primär die schnell wachsende und gut zu verarbeitende Fichte, aber auch andere Nadelhölzer werden verwendet. Die Sperrholzbretter werden überkreuz, 90 Grad zueinander, gestapelt und miteinander verleimt, bei größeren Platten wird auch mit Holzdübeln gearbeitet. "Dadurch entsteht die vertikal und horizontal hohe Belastbarkeit", erklärt Störmer. Und man brauche dafür nicht einmal hochwertiges Holz.

Auch der Brandschutz, früher das Totschlagargument für Holzbauten, ist kein Thema mehr. "Vor brennenden Holzhäusern muss sich heute niemand mehr fürchten", so Störmer. Bei dem gepressten und damit kaum anfeuernde Sauerstoffporen beinhaltenden Schichtholz brennt zwar die Oberfläche bis zu zwei Zentimeter tief ein, die Verkohlung schließt aber den Brand innendrin ab. "Das Gebäude ist dann zwar zerstört, aber die eigentliche Tragschicht ist sicher. Wenn aber ein Holzbalken brennt, gibt es Risse, das Feuer bekommt Sauerstoff. Deshalb haben früher Städte und Kirchen gebrannt", erklärt der Architekt den Unterschied. Auch der Lärmschutz sei in Holzhäusern nicht schlechter. Das Holz dämpfe Lärm anders als Beton. Die Frequenz sei eine andere, weichere.

Wird Holz der Schlüssel zum grünen Bauen und Bebauen von Städten werden?

"Ich sehe ein großes Potenzial für den Holzbau", sagt Störmer. "Auch weil Holz eine unbegrenzt nachwachsende Ressource ist". Denn knapp könnte es künftig woanders werden - beim Sand, und damit beim Beton. Denn Beton besteht zu einem Drittel aus Zement und zu zwei Dritteln aus Sand.

Ganz aus Holz sind die Gebäude nicht - ein Etikettenschwindel, finden Puristen

"Wie Sand am Meer" suggeriert einen Überfluss, den es aber aufgrund des weltweiten Baubooms bald nicht mehr geben wird. Deutschland hat zwar noch genügend Vorkommen, es wird aber komplizierter, eine Genehmigung für den Abbau zu bekommen. Und der unkontrollierte Sandabbau in den Meeren führt zu großen ökologischen Problemen. Da Dubais Sandreserven im Meer erschöpft sind, wurde das höchste Haus der Welt, der Burj Khalifa, mit Sand aus Australien gebaut. Der naheliegende Wüstensand wiederum ist zum Bauen nicht geeignet: Die Körner sind vom Wind so rund geschliffen, dass sie nicht ausreichend im Beton binden. Der Beton würde auseinanderbrechen.

Dennoch ist der Siegeszug des Baustoffs Holz nicht so schnell, wie der Aufmerksamkeitserfolg der spektakulären Projekte suggeriert: "Wir dürfen bei aller Euphorie nicht vergessen, dass die mehrgeschossigen urbanen Holzkonstruktionen in Deutschland noch bei drei Prozent Marktanteil liegen", sagt der Planer des Heilbronner SKAIO, Tom Kaden. Ein Grund sei, dass die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern die wahre Leistungsfähigkeit des modernen Holzbaus nicht abbildeten. "Baden-Württemberg hat sich dem Holzbau bis jetzt am Weitesten geöffnet, Hamburg und Berlin ein wenig. Das bedeutet aufwendige Abstimmungsprozesse, viel Kommunikation, Einzelfallentscheidungen. In der Schweiz ist man da viel weiter".

Ganz aus Holz sind die Hochhäuser aber nicht, ein Etikettenschwindel, wie Puristen finden. Es sind Hybridbauten, also Holz im Verbund mit anderen Materialien. So sind Fundamente und Kerne bisher immer aus Beton. Allerdings könnten - eine Herausforderung an die Statiker - auch die windaussteifenden Kerne in Holz gebaut werden, erklärt Störmer. Die jetzigen Bauordnungen verbieten das. Bei den Fundamenten sei der Beton aber nicht zu ersetzen.

Tom Kaden hat kein Problem mit der Hybridbauweise. "Alle anstehenden Bauaufgaben sind mit dem Baustoff Holz sicher zu realisieren" sagt er. "Aber wir sagen nicht, dass man nur mit Holz glücklich wird. Wir mischen mit den Werkstoffen Stahl und Stahlbeton, wo es uns und den beteiligten Ingenieuren sinnvoll erscheint". Die Baugeschichte gibt ihm recht, sie ist voller Hybridbauten. Verbaut wurde das, was sinnvoll und vor allem am Ort vorhanden war. Man kombinierte Holz und Stein, und Gusseisen für die Stütze.

Billiger ist der Holzbau nicht. Beispielsweise liegt der Rohbau des Hamburger Projekts Wildspitze etwa acht bis elf Prozent über den herkömmlichen Baukosten. "Wenn wir alle Komponenten - CO2-Bindung, nachwachsender Rohstoff, energiearme Produktion, kurze Bauzeiten, mehr Nutzfläche durch schlankere Konstruktionen - in Betracht ziehen, sind wir am Ende aber mindestens gleichwertig", sagt Tom Kaden. "Was am Holzbau faszinierend ist, ist die Geschwindigkeit, die Präzision, die Vorfertigung, da kann es fünf Prozent teurer sein, über den Gesamtprozess lässt sich dies kompensieren", bestätigt Tobias Dechow, "da liegt die große Chance für den Holzbau". Zudem werden in Deutschland derzeit Kapazitäten für den Holzbau aufgebaut.

"Wie bei allen Innovationen zahlen die Ersten die Entwicklung", sagt Dechow. "Wenn sich herumspricht, dass Holz neben dem Aspekt ökologischer Verantwortung hohe Wohnansprüche erfüllt und sich das Produkt am Markt etabliert, dürfte das auch zu sinkenden Preisen führen."

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Quelle:
SZ vom 20.07.2018
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