Gas-Streit zwischen Ukraine und Russland:"Skrupellose Schattenfirma"

Gazprom will wieder Gas nach Europa schicken, wenn Beobachter in der Ukraine eingetroffen sind. Eine Schlüsselrolle im Machtkampf spielt der Zwischenhändler Rosukrenergo mit Sitz in der Schweiz.

Matthias Kolb

Für Oleg Dubina ist die Sache klar. Der Chef des ukrainischen Staatskonzerns Naftogaz sagte vor seinem Abflug nach Moskau: "Ich werde nie einen Vertrag unterschreiben, der die Existenz von Rosukrenergo verlängert." Falls dies von ihm verlangt würde, um den Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine zu beenden, werde er stattdessen kündigen.

Gas-Streit zwischen Ukraine und Russland: Der Briefkasten der Firma Rosukrenergo im schweizerischen Zug.

Der Briefkasten der Firma Rosukrenergo im schweizerischen Zug.

(Foto: Archivfoto: dpa)

Nun ist zumindest eine vorübergehende Einigung erzielt worden. Nach seinem Treffen mit Dubina in Moskau flog Gazprom-Chef Alexej Miller nach Brüssel, wo der Russe am Donnerstagnachmittag verkündete: "Unsere Vereinbarung mit der EU lautet, dass sobald die Beobachter in der Ukraine im Einsatz sind und Zugang zu den Gas-Transportkapazitäten erhalten, wir die Lieferungen wieder aufnehmen."

Ominöser Vermittler

Seit dem letzten Gas-Streit ist Rosukrenergo ein Schlüsselakteur im Gasgeschäft zwischen den Nachbarstaaten. Am 4. Januar 2006 wurde in Moskau ein Vertrag unterschrieben, wonach der russische Monopolist Gazprom 1000 Kubikmeter Gas für 230 Dollar an Rosukrenergo verkauft. Die Firma gibt das Gas für 90 Dollar an die Ukraine weiter. So hatten beide ihr Gesicht gewahrt: Moskau erhielt mehr Geld, Kiew konnte weiter billiges Gas beziehen, ohne die Energiepreise erhöhen zu müssen - und im Westen blieben keine Zimmer kalt.

Doch wieso geht Rosukrenergo dieses Geschäft ein, mit dem es pro 1000 Kubikmeter Gas 140 Dollar Verluste einfährt? Waleri Panjuschkin und Michail Sygar, Autoren des Buches "Gazprom. Das Geschäft mit der Macht", kennen die Antwort: Der Zwischenhändler mit Sitz im Schweizer Kanton Zug erhielt das Recht, Gas aus Turkmenistan und Russland zu Marktpreisen nach Westeuropa zu exportieren - ein Milliardengeschäft.

Was Naftogaz-Chef Dubina, Premierministerin Julia Timoschenko und viele andere Ukrainer jedoch aufregt, ist Folgendes: Anders als der Name vermuten lässt ("Ros" steht für Russland, "Ukr" für Ukraine), hat die Regierung in Kiew keinen Einfluss auf Rosukrenergo.

So stellte Timoschenko im Gespräch mit Panjuschkin und Sygar fest: "Ich sehe nicht ein, wozu zwei Staaten, die durch eine Gasleitung verbunden sind, eine derart absurde Struktur brauchen. Für die Leitung ist kein Vermittler vonnöten. Das Gas strömt von selbst durchs Rohr, man braucht nicht mit Händen nachzuhelfen."

Die Rolle des Dmitrij Firtasch

Über die Besitzverhältnisse von Rosukrenergo war anfangs nicht viel bekannt: 50 Prozent der Anteile der Firma gehören der Gazprom Bank, die andere Hälfte wird von der Raiffeisen Invest AG in Wien verwaltet. Im Februar 2006 erklärte der damalige Präsident Wladimir Putin vor Journalisten: "Wer hinter diesen 50 Prozent und dem Aushängeschild Raiffeisen AG steht, weiß ich so wenig wie Sie." Lange versuchten Journalisten und Anwälte in der Ukraine und Russland herauszufinden, wer hinter Rosukrenergo steckt - auch das FBI und das US-Justizministerium schalteten sich ein.

Im April 2006 wurde das Geheimnis gelüftet: Der ukrainische Geschäftsmann Dmitrij Firtasch besitzt 90 Prozent der "ukrainischen" Hälfte, der Rest gehört einem Iwan Fursin. In einem Interview antwortete Firtasch auf die Frage, weshalb ausgerechnet er zum Vermittler der Geschäfte zwischen Russland, der Ukraine und Turkmenistan wurde: "Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort." Bis heute wird darüber spekuliert, wer hinter Firtasch steht.

Panjuschkin und Sygar zitieren einen ehemaligen Gazprom-Spitzenmanager, wonach der frühere ukrainische Präsident Leonid Kutschma die Gründung der Firma eingefädelt habe. Im Sommer 2004, noch vor der Orangen Revolution, war das Unternehmen auf der Krim im Beisein von Kutschma und Putin gegründet worden. Andere tippen auf Oligarchen aus der Ostukraine, oft taucht der Name Semjon Mogiljewitsch auf - vor seiner Verhaftung im Januar 2008 galt der in Kiew geborene Mafiaboss als einer der meistgesuchten Verbrecher der Welt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, weshalb es im postsowjetischen Raum so viele Zwischenfirmen gibt.

"Skrupellose Schattenfirma"

Seit dem Zerfall der Sowjetunion waren zahlreiche Vermittlerfirmen gegründet worden, um am Geschäft mit Rohstoffen zu verdienen. Der frühere Radsportler Igor Makarow verkaufte Anfang der neunziger Jahre Zucker nach Turkmenistan. Als den Beamten das Geld ausging, boten sie eine Ware an, die in Zentralasien reichlich vorhanden ist: Gas. Auch Firtasch stieg so ins Vermittlergeschäft ein, wie Panjuschin und Sygar schildern. Makarow war eine Zeitlang für das komplette ukrainisch-turkmenische Geschäft zuständig. In Kiew war damals eine Frau für den Energiebereich verantwortlich: die damalige Vize-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die zuvor Millionen im Gasgeschäft verdient hatte.

Gas-Streit zwischen Ukraine und Russland: Der Chef des ukrainischen Naftogaz-Konzerns Oleg Dubina.

Der Chef des ukrainischen Naftogaz-Konzerns Oleg Dubina.

(Foto: Foto: dpa)

Die Ukraine hat eine Schlüsselrolle im ehemals sowjetischen Pipeline-System: Dort entstand in den dreißiger Jahren die Gasindustrie und die Röhren wurden in der ukrainischen Industrieregion Donbass hergestellt. Die beiden Nachbarn waren also eng aneinander gebunden - vor allem, weil die wichtigsten Exportrouten durch die Ukraine laufen. Die Kooperation mit Makarows Firma Itera funktionierte hervorragend, bis Putin Präsident wurde und Gazprom-Chef Rem Wjachirew durch Alexej Miller ersetzte. An die Stelle von Itera trat eine Firma namens Eural Trans Gas, deren Vertrag mit Gazprom schließlich von Rosukrenergo übernommen wurde.

Nützliche Instrumente

Die Politologin Margarita Balmaceda von der Seton Hall University in South Orange, New Jersey, und dem Harvard Ukrainian Research Institute beschäftigt sich mit Energiefragen im postsowjetischen Raum und hat jahrelang ukrainisches Material gesammelt. Balmaceda zufolge haben Zwischenhändler wie Rosukrenergo mehrere wichtige Funktionen: Sie helfen über Liquiditätsengpässe hinweg (durch den in den neunziger Jahren beliebten Tausch von Waren gegen Gas); über sie können Bestechungsgelder gezahlt werden und zugleich dienen sie dazu, Preise kurzfristig niedrig zu halten oder eine schnelle Anpassung ans Weltmarktniveau zu moderieren.

Rosukrenergo dient demnach dazu, die Interessen der Wirtschaftseliten, Oligarchen und Politiker in beiden Ländern sicherzustellen und ihnen Profite zu bescheren. Dabei werde auch in Kauf genommen, dass die Staatshaushalte beider Länder weniger Einnahmen erzielen. Balmaceda verweist auf die offizielle Website des Unternehmens, dort heißt es unter "Mission": "Unser Ziel ist es, auf der Grundlage der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen Russlands und der Ukraine zur Schaffung eines maximal effektiven und stabilen Systems der Versorgung von Verbrauchern in Ost- und Mitteleuropa mit Erdgas beizutragen."

Die ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko kämpft seit langem darum, "die skrupellose Schattenfirma" Rosukrenergo als Zwischenhändler auszuschalten. Es kursierten wiederholt Gerüchte, der Protagonistin der Orangen Revolution gehe es darum, einen ihr nahestehenden Zwischenhändler zu installieren. In Kiew wurden auch Gerüchte gestreut, Firtasch habe den Wahlkampf von Präsident Juschtschenko mitfinanziert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, weshalb Rosukrenergo in naher Zukunft seine Schlüsselrolle verlieren könnte.

"Skrupellose Schattenfirma"

Gas-Streit zwischen Ukraine und Russland: Trafen sich im Oktober 2008 in Moskau: Die Ministerpräsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Julia Timoschenko.

Trafen sich im Oktober 2008 in Moskau: Die Ministerpräsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Julia Timoschenko.

(Foto: Foto: AFP)

Dabei war die resolute Timoschenko 2008 ihrem Ziel sehr nahe gekommen. Im Februar hatten der damalige russische Präsident Putin und sein ukrainischer Amtskollege Juschtschenko nicht nur die Modalitäten für die Gas-Lieferungen der kommenden Monate vereinbart, sondern auch die Ausschaltung von Rosukrenergo beschlossen. Anfang Oktober unterzeichnete Timoschenko in Moskau mit Putin ein Memorandum, wonach von 2009 an Gazprom und Naftogaz ohne einen Zwischenhändler miteinander Geschäfte machen sollten.

Die beiden Ministerpräsidenten vereinbarten zudem, dass die Preise "innerhalb der nächsten drei Jahre" an das Weltmarktniveau angepasst würden - momentan zahlt kein Land mit 179 Dollar pro 1000 Kubikmeter weniger für russisches Gas als die Ukraine. Im Gegenzug sollte Gazprom höhere Transitgebühren zahlen. Doch in den folgenden drei Monaten änderte sich faktisch nichts, was sowohl mit der globalen Finanzkrise als auch mit dem innenpolitischen Chaos in der Ukraine zu tun haben dürfte.

So wird über die Hintergründe des Gas-Streits weiterhin spekuliert. Der schwedische Russland-Experte Anders Aslund sagte am 30. Dezember: "Ich verstehe nicht, wie es sich hier um einen ukrainisch-russischen Konflikt handeln kann. Es ist ein Streit zwischen zwielichtigen Geschäftsleuten." Er findet nur eine Erklärung, weshalb sich Gazprom und die russischen Politiker in den Streit einmischen. Im Kreml sei man besorgt, dass infolge der Finanzkrise Bürger protestieren würden und womöglich eine Art "orangener Revolution" in Russland drohe. Aslund zufolge geht es darum, "die Ukraine zu destabilisieren und die Demokratie zu diskreditieren".

An solchen Spekulationen will sich die Harvard-Expertin Margarita Balmaceda nicht beteiligen. Sie kann sich aber vorstellen, dass Rosukrenergo bald an Einfluss verlieren oder gar verschwinden wird. "Es würde mich nicht verwundern, wenn diese Firma durch eine andere ersetzen werden würde, um so einen Ausweg aus der Krise zu finden." Dieses neue Unternehmen wäre sicherlich kaum transparenter als der Vorgänger - aber die wichtigen Akteure hätten sich ihre Pfründe gesichert.

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