G-20-Gipfel:Mehr Verstand wagen

Es geht um die Zukunft der Finanzwelt: Sie zu retten ist Aufgabe für Staats- und Regierungschefs auf dem G-20-Gipfel. Wie sie das tun könnten: Fünf Thesen für eine bessere Finanzwelt.

Wenn sich die G-20 an diesem Wochenende in Toronto treffen, geht es um nicht weniger als die Zukunft der Geldwelt. Die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer werden in Kanada darüber beraten, wie sich die entfesselte Finanzbranche zügeln lässt. Es geht darum, Märkte, Akteure und Produkte schärfer zu kontrollieren, um eine erneute Finanz- und Bankenkrise zu verhindern.

Vor dem G8/G20-Gipfel

Ist die Finanzwelt noch zu retten? Die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer beraten in Kanada über Lösungsansätze.

(Foto: dpa)

Strittig ist unter anderem die Frage, ob und wie man die Geldhäuser an den Kosten der Wirtschaftskrise beteiligen soll. Oder welche Rolle Ratingagenturen in Zukunft spielen dürfen. Unklar ist auch, ob zu mächtige Finanzkonzerne zerschlagen werden müssen. Grund genug, fünf Forderungen zu den fünf wichtigsten Themen zu formulieren, die zur Diskussion anregen sollen.

Zerschlagt die Geldhäuser

In der Finanzkrise war der Staat erpressbar. Viele Banken galten als too big to fail: Aus Furcht, dass ihre Pleite eine Welle weiterer Insolvenzen nach sich zöge, wurden sie mit viel Geld gerettet. Deshalb sollten Großbanken aufgespalten werden. Das würde zwar den Bankern nicht gefallen, aber dem Wohl ihres Landes dienen.

In der Londoner City oder an der Wall Street hört man solche Vorschläge nicht gern, die übrigens nicht nur in linken Weblogs kursieren, sondern aus der Mitte des konservativen Wissenschaftsbetriebs stammen. Ihr prominentester Verfechter aber ist der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker. Ihm schweben nicht nur schärfere Kontrollen für die Finanzinstitute vor, er plant den kompletten Umbau der Bankenwelt, die das Rückgrat jeder Wirtschaft ist.

Große Geldhäuser sollten in Investment- und Geschäftsbanken zerlegt werden, um künftige Finanzkrisen zu verhindern. Die Geschäftsbanken übernehmen das klassische Privat- und Firmenkundengeschäft, verwahren die Ersparnisse der Bürger und leihen den Unternehmern Kapital. Ihnen ist es verboten, auf eigene Rechnung zu spekulieren, Hedgefonds zu betreiben oder sich als Finanzinvestoren zu betätigen und Firmen zu kaufen.Eigenhandel und Derivate-Abteilungen wandern in Investmentbanken ab, dort darf munter gezockt werden, solange dafür ausreichend eigenes Kapital bereitgehalten wird.

Der große Vorteil dieser Arbeitsteilung: Weder Spareinlagen noch Firmenkredite geraten in Gefahr, wenn Banker an den Kapitalmärkten spekulieren. Je weniger vernetzt und kleiner die Banken sind, umso leichter lassen sich in Schieflage geratene Institute abwickeln. Vor allem aber bringt eine Pleite nicht gleich das ganze Finanzsystem in Gefahr.

Was ketzerisch klingt, war in den USA lange Zeit normal: Nach dem Börsencrash im Jahr 1929 führte Präsident Franklin Roosevelt den Glass-Steagall-Act ein, der es Kreditinstituten verbot, Investmentgeschäfte zu betreiben. Die Wall-Street-Banker liefen Sturm dagegen - vergebens. Der Wirtschaft schadete das Gesetz nicht. Es wurde erst im Jahr 1999 aufgehoben. Catherine Hoffmann

Lasst die Banker zahlen

Was kostet die Krise? Allein in Europa könnte die Rettung maroder Banken im schlimmsten Fall mehr als eine Billion Euro kosten, schätzt die EU-Kommission. Und wer bezahlt dies? Im Zweifel die Steuerzahler. Die Geldhäuser, die den großen Finanzcrash maßgeblich verursacht haben, kommen relativ ungeschoren davon. Und sie haben längst wieder angefangen, riskante Geschäfte zu betreiben, die später neue Finanzkrisen auslösen könnten.

Daher ist es höchste Zeit, die Banken zahlen zu lassen. Für die Kosten der aktuellen Krise. Und für Vorsorgefonds, die die Kosten künftiger möglicher Krisen auffangen.

Grob gesagt gibt es dafür zwei Wege. Europas Regierungen prüfen eine Steuer, die auf alle Geschäfte am Kapitalmarkt erhoben würde. Ein Beispiel: Wer den täglichen weltweiten Devisenhandel mit nur 0,02 Prozent besteuern würde, könnte jährlich mehr als 160 Milliarden Euro einnehmen.

Eine solche Finanztransaktionsteuer hat aber den Nachteil, dass sie sich umgehen lässt, sobald Geschäfte außerhalb der Börse oder einfach in Länder verlagert werden, die keine solche Steuer erheben. Solange wichtige Industriestaaten wie die Vereinigten Staaten gegen eine Transaktionsteuer sind, erscheint dieser Weg wenig vielversprechend.

Möglichkeit Zwei hat mehr Aussicht auf Realisierung: Die Gewinne der Banken mit einer gezielten Abgabe zu belegen. Bei dieser Idee sind sich die Eurostaaten inzwischen grob einig mit Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, die lange gegen jede Belastung des Finanzsektors waren.

Die Gewinne der großen Banken in den Industriestaaten lassen sich auch gut erfassen, die Geldhäuser würden es kaum wagen, ihren Hauptsitz auf eine Karibikinseln zu verlagern, wie das Hedgefonds tun. Die Frage ist, wie hoch eine solche Abgabe ausfallen soll.

Die Bundesregierung hat in einem nationalen Alleingang bereits einen solchen Bankenobolus beschlossen. Er fällt mit 1,2 Milliarden Euro im Jahr allerdings deutlich zu bescheiden aus. Um den Steuerzahler zu entlasten, sollte international ein viel höherer Wert vereinbart werden. Alexander Hagelüken

Zwingt Institute zur Vorsorge

Private Hauskäufer müssen schon 20 bis 30 Prozent Eigenkapital mitbringen, bevor sie von der Bank einen zinsgünstigen Immobilienkredit erhalten. Bei der Bank selbst geht es aufsichtsrechtlich laxer zu: Das Institut muss eine Kapitalquote von acht Prozent vorweisen, davon vier Prozent als Kernkapital.

Eigenkapital bedeutet Erspartes, und wahrscheinlich hat jeder Bürger eine klare Vorstellung davon, was das bedeutet. In der Finanzwelt ist es komplizierter, das beginnt schon beim Kernkapital. Hier gibt es hartes Kernkapital - das Geld der Aktionäre plus die Rücklagen - und weiches Kernkapital. Letzteres bezeichnet stille Einlagen und Hybridkapital, eine besondere Mischform von Eigen- und Fremdkapital.

Hier gibt es Gestaltungsmacht für Wirtschaftsprüfer, auch deshalb weiß niemand genau, wie es der Bank wirklich geht. Ein Beispiel: Die amerikanische Citigroup hatte mitten in der Finanzkrise zwar eine relativ hohe Kernkapitalquote von 11,8 Prozent, doch der Anteil des harten Eigenkapitals betrug nur 1,5 Prozent. Die US-Regierung musste der Bank deshalb mit Geld aushelfen.

Künftig sollen Banken deutlich mehr Kernkapital vorhalten, und davon rund die Hälfte von der harten Sorte. Das ist der Plan im zuständigen Baseler Ausschuss, dessen Umsetzung allerdings schon jetzt verschoben wurde. Die Bankenlobby macht Druck: Sie droht, höhere Kernkapital-Anforderungen würden Millionen Arbeitsplätze kosten und die Kreditvergabe hemmen.

Je mehr Eigenkapital die Banken bei ihren Geschäften vorhalten müssen, desto weniger Risiken können sie eingehen; und desto eher können sie einen finanziellen Verlust selbst schultern ohne auf den Steuerzahler zurückzugreifen. Die Bank macht dadurch weniger Geschäft und weniger Gewinn, doch dafür wird das Finanzsystem stabiler.

Ebenso sinnvoll ist die Einführung einer maximalen Verschuldungsquote für Banken. In der Finanzkrise haben sich manche Institute um das 30 bis 40-fache ihrer Bilanzsumme verschuldet. Solche Schuldenberge, das wissen Privatsparer, steigern die Kasino-Mentalität. Markus Zydra

Kontrolliert riskante Papiere

Großen Schaden haben in der Finanzkrise Produkte angerichtet, die kaum noch jemand verstand und die überwiegend im Schatten außerhalb regulierter Börsen gehandelt wurden. Diese Finanzprodukte müssen entschärft werden. Kleinanleger verloren Geld mit Lehman-Zertifikaten, der Versicherungskonzern AIG brach zusammen, weil er sich mit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, kurz CDS) übernahm und etliche Banken erstickten an verschachtelten Kreditpaketen.

Für all diese Derivate, deren Preise sich von Krediten, Währungen oder anderen Wertpapieren ableiten, sollten drei Grundprinzipien gelten: Erstens sollten Banken die kompliziertesten Produkte vereinfachen oder abschaffen. Darauf dürften viele Kunden ohnehin drängen. Zweitens sollte ein möglichst großer Teil des Handels mit Derivaten künftig nicht mehr zwischen Banken und Investoren direkt ausgehandelt werden, sondern über eine zentrale Stelle, am besten eine Börse. So gewinnen Aufseher einen Überblick, was gehandelt wird.

Außerdem wird die Gefahr einer Kettenreaktion verringert. Der Handel über Börsen funktioniert aber nur mit standardisierten Produkten. Es kann jedoch in manchen Fällen sinnvoll sein, maßgeschneiderte Derivate für einzelne Kunden zu schneidern, etwa um sich gegen Währungsschwankungen abzusichern. Eine dritte Regel sollte daher sicherstellen, dass Banken Finanzprodukte mit umso mehr Kapital in ihrer Bilanz absichern müssen, je riskanter diese sind.

Dadurch wird es für Banken unattraktiver, sich auf zu riskante Geschäfte einzulassen. Wenn eine Bank Kredite vergibt und sie an andere Investoren weitergeben möchte (Verbriefung), sollte sie immer einen Teil der Kredite in der eigenen Bilanz behalten. Nur so hat sie einen Anreiz, die Risiken trotz Verbriefung genau zu prüfen. Martin Hesse

Entmachtet die Ratingagenturen

Ratingagenturen haben in der Krise eine unrühmlich Rolle gespielt. Erst haben sie Finanzkonstrukten beste Zeugnisse ausgestellt, in denen Ramschpapiere steckten. Dann haben sie zur Unzeit die Bonitätsnoten von Griechenland gesenkt und damit eine Spekulationswelle ausgelöst. Immer wieder unterlaufen den Prüfern peinliche Fehler, kommen ihre Urteile zu spät, versagen ihre Modelle. Von Politik und Wirtschaft werden sie dafür heftig kritisiert. Doch zur Rechenschaft gezogen wurden die verschlafenen Wächter bislang nicht.

Von der Staatsanleihe bis zur Schuldverschreibung von Mittelständlern tragen Tausende Wertpapiere die Gütesiegel der Agenturen. Viele Anleger verlassen sich darauf. Das hat weitreichende Konsequenzen: Werden Staaten oder Unternehmen heruntergestuft, wird ihre Kreditwürdigkeit also schlechter beurteilt, dann wird es für Finanzminister oder Firmenlenker schwieriger und vor allem teurer, sich Geld zu leihen. Im schlimmsten Fall wird ihre Zahlungsfähigkeit in Frage gestellt.

Weil die Noten solche Macht haben, muss die Macht der Prüfer gebrochen werden. Das Problem: Drei Agenturen teilen sich den Weltmarkt - die US-Unternehmen Standard & Poor's und Moody's sowie die britische Agentur Fitch Ratings. Sie beherrschen das Geschäft - so wie Coca Cola und Pepsi den Limonadenhandel. Kleine Konkurrenten haben es schwer, sich neben den großen Spielern in den Markt zu drängen. Doch mehr Wettbewerb tut not.

Die Politik macht sich stark für eine europäische Ratingagentur als Gegengewicht zu den großen Drei. Das ist gut so, besser aber wären viele Konkurrenten. Forschungsinstitute und Universitäten sollten ermuntert werden, den Markt mit eigenen Bewertungsmodellen und Risikoanalysen in Schwung zu bringen. Meinungs- und Ideenvielfalt hilft mehr als jede neue Aufsichtsbehörde.

Ohne ihre kritischen Stimmen würde ein Warnsystem für Wirtschaftskrisen fehlen. Wer die Agenturen wirklich bestrafen will, braucht den Markt. Damit Anleger sagen können: Wir glauben euch nicht mehr, wir gehen zur Konkurrenz. Catherine Hoffmann

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